Anregender Kommentar zum Video: Profi Freistein: „Rennbahn“ und „Taube“ – Unterschiede zwischen Metapher, Symbol und (Leit-)Motiv (Mat5033-fms-kom)

Worum es hier geht:

  • Da macht man ein Video zur  Erklärung der Begriffe „Metapher“, „Symbol“, „Motiv“ und „Leitmotiv“ …
    https://youtu.be/tTgdpun5anQ
  • … und dann bekommt man nicht nur den „gefühlt längsten“ Kommentar, der einem unserer Videos je gewidmet wurden,
  • sondern dieser Kommentar ist nicht „aufregend“ (was auch in Ordnung wäre), sondern „unglaublich anregend“.
    • Unglaublich deshalb, weil wir so etwas fast schon nicht mehr für möglich gehalten hätten, dass sich jemand so intensiv mit unserer Sicht auf die Dinge beschäftigt,
    • und „anregend“ deshalb, weil er uns zu weiterführenden Überlegungen verholfen hat.

Unsere „alte“ Sicht

  • Metapher = ein Bild, das man präsentiert, um an etwas anderem seine eigene Vorstellung von etwas zu zeigen.
    • Es geht um das Leben – und man holt sich den  Begriff und die Vorstellung von einer „Rennbahn“, um z.B. Anstrengung, Hetze, Druck, Erwartung von etwas zwischen Sieg und Niederlage, vielleicht sogar Zusammenbruch deutlich zu machen.
    • Man kann auch allgemeiner sagen: Eine Metapher ist die Übertragung eines Begriffs (Rennbahn) auf einen anderen Bereich (Leben), um diesen zweiten zu veranschaulichen.
    • Das ist dann meistens eine individuelle Sicht.
  • Symbol = Taube, zufällig ausgewähltes Ding (hier die Taube aus der biblischen Geschichte von der Sintflut), die dann auf etwas Größeres, Allgemeineres (Frieden) verweist.
  • Motiv = wiederkehrendes Element z.B. in einem Roman, aber auch in Gedichten, z.B. das Motiv des Wassers. Das hat damit eine gewisse Bedeutung, sagt etwas aus.
    Wie z.B. die Waschbären in einer Großstadt, die immer wieder erwähnt werden und für den Lebensraum-Wechsel von Lebewesen stehen.
  • Wenn ein Motiv auch noch etwas Wichtiges für Thema und Aussage eines Textes immer wieder deutlich macht, dann nennt man so etwas ein „Leitmotiv“. Z.B. eine Taube in einem Roman, der die Schwierigkeiten eines Jungen mit Freundschaften thematisiert. Und die Taube ist ein zentrales Motiv für die schwierige Beziehung zwischen Lebewesen.

Dann die Denkanstöße/Anregungen des Kommentars

Verfasser des Kommentars: @ChrisSchu

„Vielen Dank für das Video. Gerade die Erklärung des Symbols fand ich sehr gut gelungen.“

  • So etwas freut natürlich den „einsam vor sich hin Publizierenden“ immer.
  • Aber auch wenn das Lob mal nicht so hoch angesetzt wird, ist ein solcher Einstieg sehr empfehlenswert, weil es einfach die Bereitschaft, sich auch an einer Stelle in Frage stellen zu lassen, erhöht.
  • Man wünscht sich diesen Ansatz von Kommentaren in der heutigen Diskussionslandschaft häufiger, statt gleich in die Kontroverse zu gehen.

„Ich würde Leitmotiv, Symbol und Metapher etwas weiter voneinander trennen, da in meinen Augen das Leitmotiv auf der Ebene des Vertextungsmusters, sprich auf strategischer Ebene und Symbol und Metapher zunächst auf der Ebene der rhetorischen Mittel und damit in taktischer Hinsicht verwendet werden. Oder anders, wenn eine Metapher bzw. ein Symbol singulär zur Verbildlichung genutzt werden, dann ist es ein taktisches Motiv (oder auch rhetorisches Mittel), werden sie jedoch zur Strukturierung (Leitung) des Textes verwendet, dann werden sie zu Leitmetaphern bzw. Leitsymbolen. Das Leitmotiv selbst halte ich für etwas komplexer. Dafür reicht ein Kommentar nicht aus.“

  • Das ist genau der erste Denkanstoß, der einen zwingt (im besten Sinne des Wortes) auch über andere „Definitionen“ (Abgrenzungen, die etwas deutlicher machen) nachzudenken.
  • Hier wird unterschieden
    • zwischen „taktischen“ Mitteln, die ein Autor bewusst verwendet oder die sich aus dem Text einfach ergeben,
    • und „strategischen“, die eine Bedeutung für das gesamte Aussagesystem des Textes haben.
  • Das hatten wir grundsätzlich auch für eine wichtige Unterscheidung gehalten.
  • Sehr interessant, dass der allgemein gebräuchliche Begriff des Leitmotivs hier auf die Metapher („Leitmetapher“) ausgedehnt wird.
  • Hier sehen wir eine gewisse Gefahr einer Begriffsinflation, die dem „Leitmotiv“ als einem das konkrete Mittel übersteigenden Begriff die  allgemeine Bedeutung nimmt oder einschränkt.
  • Anderseits wenn man zwischen „Motiv“ und „Leitmotiv“ auch schon unterscheidet … aber es bleibt das Problem: Die Metapher ist ein Mittel und kann zu einem strategischen Leitmotiv werden, das „Motiv“ geht gleich schon auf eine etwas andere Ebene.
  • Aber da sind wir mit dem Nachdenken noch nicht zu Ende – und das ist doch auch etwas Positives.

„Beim Symbol folgt die Rhetorik, wie richtig dargestellt, eher der Auffassung des Semiotikers Peirce, bei dem keine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Ausdruck/Vergleichssubjekt (hier Frieden etc.) besteht, das ist ein Unterschied zum Symbolbegriff von Saussure, der noch gewisse Ähnlichkeitsbeziehungen vermutet. (Dies macht es für Schüler auch schwierig Symbole zu erkennen.)“

  • Hier müssen wir zugeben, dass wir eher Schulpraktiker sind und uns nicht so sehr auf die wissenschaftlichen Grundlagen beziehen. Schauen wir uns also an, was hier von auch praktischem Nutzen ist:
    • Unzweifelhaft ist die „fehlende Ähnlichkeitsbeziehung“ bei der Taube.
    • Den guten de Saussure lassen wir hier mal raus, aber der Hinweis macht deutlich, was im Deutschunterricht manchmal zu kurz kommt: Es geht nicht um absolute (wissenschaftliche) Wahrheiten, sondern um „relative“ – zum Autor und zur Zeit, die mit ihren Erkenntnissen fortschreitet (Personifizierung 😉

„Dem gegenüber steht der Vergleich, der in Form von Komparativ (als) und Äquivalenz (wie) eine klare Parallelisierung zwischen Vergleichsobjekt (das, womit verglichen wird) und Vergleichssubjekt (das, was verglichen wird) herstellt.“

  • Genau das ist der Punkt, den wir im Video nur angedeutet haben: Wenn ich sage: „Du verhältst dich mal wieder wie ein Esel.“ Dann wird hier keine Identität vorausgesetzt, sondern nur eine Ähnlichkeit, die sich auf das konkrete Verhalten bezieht, also eingeschränkt ist auch im Beleidigungsgehalt – im Vergleich „Du Esel!“ (um nicht schlimmere Varianten aufzuführen.

„In einem hybrid wäre dann die Metapher zu sehen, in der die Beziehungen (Äquivalenzen/ Ähnlichkeiten) zwischen den beiden Ebenen formal bestehen, aber vom Rezipienten erst hergestellt werden müssen.“

  • Hier hat uns der  Kommentator (wohl erst im weiteren Verlauf) auf einen interessanten Gedanken gebracht, der hier noch nicht aufgenommen wird.
  • Es ist richtig, dass bei der Metapher die Beziehung im Kopf des Rezipienten hergestellt werden muss, manchmal verbunden mit einer Phase des Nachdenkens.
  • Wir hatten hier aber schon die Gedichtzeile im Kopf, wo es heißt:
    „Das Leben kommt mir vor als eine Rennebahn““
    Das macht nämlich einen entscheidenden Unterschied zum Vergleich deutlich:
    Das lyrische Ich interpretiert sich hier selbst bzw. gibt etwas ganz explizit von sich preis.
    Es nutzt diesen Satz nicht wie beim Vergleich zur Veranschaulichung, also als Unterstützung des Verständnisses beim Leser:
    Nach dem Motto: Ich stelle mal zur Diskussion, dass man das Leben wie eine Rennbahn betrachten kann.
    Sondern: „Mir kommt das Leben so vor.“ Das heißt: Diese Vorstellung ist Teil des Bewusstseins und nicht nur Veranschaulichungshilfsmittel.
    Hier geschieht etwas Spannendes, was wir so klar nicht gesehen haben.
    Die Formulierung ist durch das „als“ auf der Vergleichsebene und durch das „kommt mir vor“ auf der Betroffenheitsebene.
    Für diese Anregung werden wir dem Kommentator ewig dankbar sein 🙂

„Der Vorteil der Metapher ist, dass sie gegenüber einem Vergleich unkonkreter, gegenüber einem Symbol aber konkreter ist. Am Beispiel der Rennbahn: „Das Leben kommt mir vor als eine Rennebahn“ leitet einen Vergleich ein, weshalb es zunächst korrekter als Vergleich bestimmt werden müsste (wobei hier grammatisch „wie“ auch korrekter wäre um die Ähnlichkeiten hervorzuheben, was eine spannende Interpretation einleiten könnte, warum hier der Komparativ gewählt wurde). Da die Ähnlichkeitsbeziehungen aber nicht ausgeführt wird und unkonkret bleibt, muss es korrekterweise eher als Metapher bewertet werden. (üblich sagt man bei Vergleichen „stark wie ein Bär“ oder „größer als ein Baum“.) Wie die Metapher nun interpretiert wird, hängt vom Interpreten ab, also ob die Notwendigkeit des Laufens, der Konkurrenzkampf, das kontinuierliche Laufen auf ein Ziel hin oder oder oder bedeutsamer sind, kann nur im Kontext einer Interpretation bestimmt werden.

  • Über den Vergleich von Metapher und Symbol müsste man noch mal nachdenken.
  • Wir haben uns hier auf den Unterschied zwischen persönlicher Betroffenheits-Äußerung und Verweis auf etwas Allgemeines, Höheres, eine Idee konzentriert.
  • Das mit dem „konkreter“ würden wir so verstehen, dass die Metapher auch dem Unkundigen (der die Symbolverwendung) nicht kennt, einen Hinweis auf den Bezug zwischen realer Vorstellung und veranschaulichenden Bild gibt.
  • Hier könnte man übrigens überlegen, ob nicht viele Begriffe auf diesem Wege sich aus Metaphern herausgebildet haben und dann zu „Alltagsmetaphern“ geworden sind.
    Beispiel „ein erfahrener Liebhaber“ ist einer, der viel herumgekommen ist in seiner Welt der Liebschaften oder auch Affären. Daran denkt heute keiner mehr – aber in höheren Klassen kann man mit diesem Hinweis durchaus Nachdenklichkeit erzeugen 😉

„PS: Metaphern für das Leben (als Leitmetaphern) sind gerade in der Philosophie häufiger anzutreffen und beliebt: Zum Beispiel der „Irrweg, Labyrinth oder eine Suche in der Dunkelheit“ werden unter anderem von Nietzsche und Kierkegaard genutzt, um Unsicherheit und Angst darzustellen, da man nicht weiß, was vor einem liegt (der Schleier der ungewissen Zukunft). Daher sucht man sich Orientierungspunkte (Halt), wie einen Handlauf, an denen man sich entlang bewegen kann (bei Nietzsche wäre dies etwa die Religion).“

  • Hier fühlen wir uns bestätigt – denn hier wird im Bereich der Philosophie der Übergang beschrieben vom Erfahrungs-Bild zum Begriff.

Halten wir fest:

So entsteht „in nuce“ (an einer kleinen, scheinbar unbedeutenden, aber fruchtbaren Stelle) echter wissenschaftlicher Austausch, der einen zu neuen oder weiteren Erkenntnissen führt.

Wer die Wissenschaft kennt und natürlich noch mehr den „normalen“ Austausch zwischen Menschen mit unterschiedlichen Auffassungen, der weiß, dass das nicht immer selbstverständlich ist.

Aber wenn man dann darauf stößt, lohnt es sich, die andere Meinung sorgfältig zu prüfen. So kommt man dann auch von These und Antithese zur Synthese. 🙂

Weitere Infos, Tipps und Materialien