Börries von Münchhausen, „Strassenbild“ (Mat4142-msl)

Worum es hier geht:

Es geht um das Gedicht „Strassenbild“ von Börries von Münchhausen. Das präsentiert zum einen eine sehr negative Sicht auf den Lärm und das Menschengewimmel der Großstadt, hebt am Ende aber etwas sehr Aktuelles hervor: Hektik, Überforderung und Zeitmangel in der modernen Welt.

Zu finden ist das Gedicht hier.

1. Einleitung
  • Das Gedicht „Straßenbild“ stammt von dem deutschen Dichter Börries von Münchhausen (1874–1945)
  • Es handelt sich um ein Großstadtgedicht, das das hektische, anonyme und oberflächliche Leben in einer urbanen Umgebung kritisch betrachtet.
  • Thema ist die Frage, was die moderne Großstadtwelt mit den Menschen macht.
  1. Äußere Form, Reim und Rhythmus
  • Das Gedicht besteht aus dreißig Verszeilen, die in Paaren gereimt sind (Paarreim, aabbcc…).
  • Was den Rhythmus angeht:
    „Es glänzt der Asphalt im Regennass,“
    x   X        x   X  x       x   X  x   X
    Hier sieht man, dass es keinen regelmäßigen Wechselrhythmus gibt.
    „Trüb schimmert darauf das rötliche Gas,“
    x      X    x          x X     x    X x x    X
Vorstellung und Auswertung der Versgruppen

Börries von Münchhausen

Strassenbild

  1. Es glänzt der Asphalt im Regennass,
  2. Trüb schimmert darauf das rötliche Gas,
  3. Und bläulich fliesset von oben her
  4. Aus gewaltigen Kuppeln ein Lichtesmeer.
    • Das Gedicht beginnt mit einer atmosphärischen Beschreibung der Stadt bei Regen und Gaslicht.
    • Die Wirkung ist trüb und unwirklich, beinahe fantastiscsh – ein erstes Signal für die Verfremdung der städtischen Welt.
    • Zwischenfazit: Der Leser betritt eine fremdartige, glänzende, aber kühle Stadtwelt – eine Mischung aus Technik und Anonymität.
  5. Und über die Strassen dröhnen und rasseln
  6. Rollwagen hin mit betäubendem Prasseln,
  7.  Da donnern stolze Kutschen vorbei,
  8. Und Droschken und Fuhrwerk hunderterlei,
  9. Dazwischen ein gellendes Glockensignal:
  10. Die Strassenbahn hält am Hotelportal.
    • Die Großstadt ist laut, hektisch, mechanisiert.
    • Das lyrische Ich beobachtet die Kutschen, Fuhrwerke und die Straßenbahn – Zeichen der Industrialisierung und Urbanisierung.
    • Zwischenfazit: Das Bild wird nun bedrängender, der Lärm wirkt bedrohlich. Der Mensch ist nur noch ein Element im Getriebe.
  11. Unheimlich fliegen hin und her
  12. Fahrräder im drängenden Strassenverkehr,
  13. Ein leises Rauschen, – du fährst zurück,
  14. Im Gewühl schon sind sie entschwunden dem Blick.
    • Fahrräder rasen lautlos und unkontrolliert durch die Menge, was Angst und Zurückweichen auslöst.
    • Zwischenfazit: Die Stadt wird als ein Geflecht aus Bewegung beschrieben, das den Einzelnen überfordert, ja gefährdet – man hat den Eindruck von Rücksichtslosigkeit.
  15. Und auf den Trottoiren, da eilt es und drängt
  16.  Im wirren Strome, der ewig sich mengt.
    • Hervorgehoben wird das ungeordnete Gedränge auf den Bürgersteigen.
  17. Gleichgültig eilen nach hier und dort
  18. Die vermummten Gestalten flüchtig fort
  19. Und sehen kaum, was ihnen zur Seit
  20. In den prunkenden Läden dem Auge sich beut,
  21. Aus Persien Stoffe und Schmuck aus Paris,
  22. Aus Rom das Bild man kommen liess,
  23. Die Edelsteine der neuen Welt
  24. Sprühn neben dem Bernstein vom nordischen Belt,
  25. Und Gold und Silber liegen dazwischen
  26. Auf widerspiegelnden gläsernen Tischen.
    • Ein seltsamer Kontrast zwischen der gleichgültigen Bewegung der Passanten und den reichen Angeboten aus fernen Ländern.
  27. Doch sie sehen nicht die verführende Pracht,
  28. Die gleissend das Elend da draussen verlacht,
  29. Sie eilen zur Bahn, zum Geschäfte, nach Haus,
  30. In die wimmelnden grossen Fabriken hinaus.
    • Die Reizüberflutung macht sie blind für Schönheit.
    • Auch wird der Kontrast zwischen Reichtum und Elend nicht wahrgenommen.
    • Für die Menschen gibt es nur die Ziele, die ihnen die moderne Welt vorgibt.
    • Zwischenfazit: Konsum und Pracht prallen auf eine emotionslose Masse. Die Menschen haben den Sinn für das Besondere und auch das Schicksal armer  Menschen verloren.
  31. Sie drängen ins Schauspiel, zum Vortrag, zum Wein
  32.  In die Variétés, in die Keller hinein. – –
  33. Und über dem Ganzen liegt öde und breit
  34. Das Wort unsrer Tage: »Ich hab keine Zeit!«
    • Am Ende dann eine kurze Zusammenfassung der Betriebsamkeit
    • Im Kontrast zum zentralen Problem der Überforderung, der Unfähigkeit, sich auch Zeit zu nehmen für etwas Besonderes.
4. Aussagen des Gedichts

Das Gedicht zeigt:

  • Die anonyme Hektik und den Lärm der modernen Großstadt.
  • Die Verlorenheit des Individuums im Massenstrom.
  • Die Blindheit für Schönes und Bedeutsames im Alltag.
  • Die Unfähigkeit zur Muße, das Leben bewusst wahrzunehmen.
5. Sprachliche und rhetorische Mittel
  • Synästhesien (z.B. „Trüb schimmert“ – visuelle + emotionale Wahrnehmung) erzeugen eine vielschichtige Sinneserfahrung (Z. 2).
  • Lautmalerei („dröhnen und rasseln“, „betäubendem Prasseln“, Z. 5–6) unterstreicht die Lautstärke.
  • Anaphern und Wiederholungen (z.B. „Und über die Straßen… Und Droschken… Und auf den Trottoiren…“) schaffen Rhythmus und verstärken den Eindruck von Monotonie.
  • Symbolik: Der Glanz der Warenwelt steht symbolisch für Täuschung und Oberflächlichkeit.
  • Zynismus in der Pointe: „Ich hab keine Zeit!“ steht für eine Kritik an der modernen Lebensweise – prägnant und entlarvend.
Mögliche spontane Reaktionen

Könnte man austeilen und dann feststellen, welche der Reaktionen gewissermaßen am meisten Anklang finden.

  • Ich finde das Gedicht beeindruckend bildhaft – man „sieht“ die Stadt förmlich vor sich.
  • Der Lärm ist beim Lesen fast hörbar – das macht das Gedicht sehr lebendig.
  • Die Menschen wirken alle so gleichgültig – das fand ich irgendwie traurig.
  • Die Konsumkritik mit den Auslagen fand ich ziemlich aktuell – obwohl das Gedicht alt ist!
  • Das Ende mit „Ich hab keine Zeit“ hat mich echt getroffen – das sagt man ja ständig…
  • Es regt zum Nachdenken an: Lebe ich selbst zu gehetzt?
  • Die düstere Atmosphäre hat mich an Großstädte bei Nacht erinnert.
  • Es ist ein gutes Gedicht für den Unterricht, weil man viele Themen diskutieren kann.
  • Ich hätte Lust, das mit einem heutigen Rap- oder Poptext zu vergleichen.
  • Mir gefällt der Rhythmus – aber es ist auch ein bisschen schwer zu lesen beim ersten Mal.
6. Was kann man mit dem Gedicht anfangen?

Das Gedicht kann helfen, das Leben in der Großstadt kritisch zu reflektieren. Es bietet Anknüpfungspunkte für Themen wie:

  • Entfremdung in der modernen Welt
  • Reizüberflutung
  • Konsumkritik
  • Zeitnot und Beschleunigung
Kreativer Ansatz:

Es kann gut sein, dass die moderne Welt auch anders gesehen wird.
Eine gute Gelegenheit, ein Gegengedicht zu schreiben.
Das etwa die erste Erfahrung einer Großstadt mit ihrem pulsierenden Leben thematisiert.
Es muss ja nicht gleich ein Ausflug nach New York sein, in die Stadt, die angeblich nie schläft.
Anregend könnte ein Videoausschnitt sein, in dem diese Welt positiv-anregend präsentiert wird.

Vergleichsmöglichkeit

Es lässt sich auch gut mit heutigen Erfahrungen vergleichen oder mit aktuellen Pop-Texten wie dem vorgeschlagenen Lied „Hamburg im Regen“ von Mary Roos in Beziehung setzen.

https://lyricstranslate.com/de/mary-roos-hamburg-im-regen-lyrics.html

Beim Vergleich könnte herauskommen:

  1. Beide Texte spielen in einer verregneten Großstadt, mit glänzendem Asphalt und nasser Atmosphäre – doch der emotionale Zugang ist gegensätzlich.
  2. Münchhausen konzentriert sich auf die äußere Welt, die anonym, hektisch und sinnentleert wirkt. Mary Roos hingegen beschreibt eine intime Innenwelt, in der Liebe die Umgebung aufhellt.
  3. In „Straßenbild“ geht der Einzelne im Massenstrom verloren. In „Hamburg im Regen“ geht es um zwei Menschen, die in ihrer Zweisamkeit Geborgenheit finden.
  4. Während bei Münchhausen Bewegung, Dröhnen und Lärm dominieren, vermittelt Mary Roos eine entspannte, entschleunigte Stimmung trotz Regen.
  5. Bei Münchhausen ist die Kälte ein Symbol für Lebensleere und Entfremdung. Bei Mary Roos wirkt sie harmonisch und romantisch, da sie durch Nähe überwunden wird.
  6. Münchhausens Gedicht endet mit dem gesellschaftskritischen Satz „Ich hab keine Zeit!“ – Mary Roos hingegen beschreibt, wie Zeit füreinander bewusst erlebt wird.
  7. Münchhausen übt Kritik an der modernen Gesellschaft – Roos’ Text ist eher ein Liebeslied, das auch in einer grauen Umgebung Freude und Wärme findet.
  8. Beide Texte arbeiten mit Wiederholungen („Mit dir, mit dir…“ / „Und… Und…“) – bei Roos wirkt es liebevoll und wie ein Refrain, bei Münchhausen monoton und bedrückend.
  9. Bei Münchhausen spiegelt die Stadt innere Leere und Überforderung, bei Mary Roos wird sie zur romantischen Bühne für Nähe und Geborgenheit.
  10.  „Straßenbild“ ist ein typisches Produkt früher Kritik an der Entwicklung von Großstädten, während „Hamburg im Regen“ ein zeitloses Liebeslied ist – das eine dokumentiert, das andere emotionalisiert.

Weitere Infos, Tipps und Materialien