„Effi Briest“ – wie könnte man sie retten – und ihren Mann gleich mit … (Mat2850)

Effi Briest retten – aber wie?

Mit Effi in Fontanes Roman kann man Mitleid haben – und ein bisschen auch mit ihrem Mann. Zumindest aus heutiger Zeit könnte man sich eine Alternative vorstellen – und beide vielleicht retten.


Das Problem …

  • Wer Fontanes Roman gelesen hat, weiß, dass es ab einer Stelle kein Zurück mehr gibt auf dem Weg in den Abgrund für eine Beziehung, die durchaus zu retten gewesen wäre.
  • Die entscheidende Stelle findet sich in Kapitel 27. Dort möchte Innstetten seinen Kollegen Wüllersdorf als seinen Sekundanten für das Duell gewinnen.
  • Daraus entwickelt sich ein intensives Gespräch, ob das denn wirklich stattfinden muss.
  • An der folgenden Stelle wird es spannend:
  • Von EB264: „Wüllersdorf nickte. ‚Kann ganz folgen …‘
  • Bis EB266: „‚Auf Wiedersehen in Kessin.'“
  • An dieser Stelle haben wir in einem Kurs mal nach einer Alternative gesucht und dabei ist folgende Idee entstanden, die man mal durchspielen könnte:

Dies Cover und das zugehörige Buch gibt es (noch) nicht – und wird es vielleicht auch nie geben.

Es soll nur deutlich werden, dass man literarisch, also spielerisch, einfach mal ausprobieren könnte, welche berühmten Romane, Dramen oder auch Gedichte (bsd. Balladen) auch anders hätten weitergehen können.

Wenn man dann bei dem Versuch scheitert, macht das nichts. Vielmehr verhilft es zu einem vertieften Verständnis dessen, was der Schriftsteller da geleistet hat.

Wir probieren das hier einfach mal bei Fontanes Roman „Effi Briest“ aus – und wir werden sehen, dass es – zumindest aus heutiger Sicht – funktionieren könnte.

 

Allerdings wird jeder, der den Roman kennt, schnell feststellen, dass unsere Idee nur die Hälfte einer möglichen Lösung zeigt.


Eine mögliche Lösung …

In dem noch zu schreibenden Roman von Anders Tivag „Wenn sie es doch geschrieben hätten…“, in dem es sich jemand zur Lebensaufgabe gemacht hat, sich bei literarischen Werken ein anderes Ende auszudenken, könnte Folgendes stehen:

„An diesem Abend, es regnete stark und der Hund musste auch nicht mehr raus, fiel sein Blick auf „Effi Briest“ und er dachte wieder an das Schicksal dieser beiden Menschen. Der jungen Frau hatte er ihr Schicksal nie gegönnt. Bei Innstetten sah das etwas anders aus. Aber irgendwann hatte er sich an dem Gespräch mit Wüllersdorf festgelesen, denn dort hatte Innstetten zumindest kurz Herz gezeigt und ihm als Leser wenigstens ein bisschen Sympathie abgenötigt.

Er war dann enttäuscht gewesen, als es doch beim Duell geblieben war.

War da wirklich nichts zu machen? Er las die Episode noch einmal – und dann hatte er eine Idee.

Das Problem war doch am Ende, dass Innstetten es nicht ausgehalten hätte, immer wieder mal – besonders bei Veranstaltungen einem Mitwisser seines Geheimnisses zu begegnen.

In dem Zusammenhang zeigte sich eine erstaunliche Feinfühligkeit – aber warum sollte es die nicht auch bei Wüllersdorf geben?

Was wäre gewesen, wenn dieser nach einiger Zeit der Nachdenklichkeit gesagt hätte:

‚Ach, Innstetten, Sie haben natürlich Recht – aber Sie haben an eins nicht gedacht. Wenn nun Ihr Mitwisser mit Ihnen im gleichen Boot säße?‘

Innstetten schaute fragend, dann ging ein abweisendes Lächeln über sein Gesicht. ‚Wir wollen es doch nicht so weit kommen lassen, dass auch Sie von Ihrer Gattin betrogen worden sind. Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie mir hier etwas erzählen, was mir wie Verrat vorkommt und mich als Ehrenmann in Schwierigkeiten bringt…‘

‚Nein, natürlich nicht. Aber Sie wissen ja, dass ich zum zweiten Mal verheiratet bin. Ich war einige Jahre an einer Botschaft in Südamerika – und da war ich in einer ähnlichen Situation. Ich wäre bereit, Ihnen etwas zu erzählen, was dann außer Ihnen und mir hier in Berlin kein anderer weiß. Aber nur, wenn es hier drei Leben rettet.‘

Innstetten schwieg lange, er kämpfte sichtlich mit sich. Dann sagte er: ‚Ich hatte wohl vergessen, dass es neben diesem Gesellschafts-Etwas auch noch so etwas wie Menschlichkeit gibt und dass der Austausch von Geheimnissen das sicherste Pfand für eine echte Freundschaft ist. Aber ich möchte nicht, dass Sie etwas tun, was Sie hinterher bereuen, lieber Wüllersdorf.‘

Dieser lächelte, verbunden mit einem sichtbaren Aufatmen: ‚Lieber Innstetten, Sie glauben gar nicht, wie gerne ich es Ihnen unter diesen Umständen erzähle. Nichts ist schlimmer, als einen Teil seines Lebens ganz für sich allein bewahren zu müssen.‘

Es wurde dann ein langer Abend und das Duell fand nicht statt.“


Die Textstelle, bei der es anders weitergehen könnte

Auszug aus Fontane „Effi Briest“, Kapitel 27:

Hier zunächst die Voraussetzungen, dann der Kontext. Die entscheidende Stelle mit dem möglichen Absprung in eine andere Richtung, ist rot markiert.

Innstetten hat durch Zufall Briefe gefunden, den ein Freund an seine Frau Effi gerichtet hat und die auf ein Verhältnis hindeuten. Jetzt hat er seinen Freund Wüllersdorf zu sich gebeten, damit er ihn als Sekundant bei dem geplanten Duell mit dem Liebhaber unterstützt.

Auf die Frage, wie lange das zurückliegt, spricht Innstetten von sechs oder sechseinhalb Jahren.

„Wüllersdorf schwieg. Nach einer Weile sagte Innstetten: ‘Es sieht fast so aus, Wüllersdorf, als ob die sechs oder sieben Jahre einen Eindruck auf Sie machten. Es gibt eine Verjährungstheorie, natürlich, aber ich weiß doch nicht, ob wir hier einen Fall haben, diese Theorie gelten zu lassen.’

‘Ich weiß es auch nicht’, sagte Wüllersdorf. ‘Und ich bekenne Ihnen offen, um diese Frage scheint sich hier alles zu drehen.’

Innstetten sah ihn groß an. ‘Sie sagen das in vollem Ernst?’

‘In vollem Ernst. Es ist keine Sache, sich in jeu d’esprit oder in dialektischen Spitzfindigkeiten zu versuchen.’

‘Ich bin neugierig, wie Sie das meinen. Sagen Sie mir offen, wie stehen Sie dazu?’

‘Innstetten, Ihre Lage ist furchtbar, und Ihr Lebensglück ist hin. Aber wenn Sie den Liebhaber totschießen, ist Ihr Lebensglück sozusagen doppelt hin, und zu dem Schmerz über empfangenes Leid kommt noch der Schmerz über getanes Leid. Alles dreht sich um die Frage, müssen Sie’s durchaus tun? Fühlen Sie sich so verletzt, beleidigt, empört, dass einer weg muss, er oder Sie? Steht es so?’

‘Ich weiß es nicht.’

‘Sie müssen es wissen.’

Innstetten war aufgesprungen, trat ans Fenster und tippte voll nervöser Erregung an die Scheiben. Dann wandte er sich rasch wieder, ging auf Wüllersdorf zu und sagte: ‘Nein, so steht es nicht.’

‘Wie steht es dann?’

‘Es steht so, dass ich unendlich unglücklich bin; ich bin gekränkt, schändlich hintergangen, aber trotzdem, ich bin ohne jedes Gefühl von Hass oder gar vor Durst nach Rache. Und wenn ich mich frage, warum nicht?, so kann ich zunächst nichts anderes finden als die Jahre. Man spricht immer von unsühnbarer[246] Schuld; vor Gott ist es gewiss falsch, aber vor den Menschen auch. Ich hätte nie geglaubt, dass die Zeit, rein als Zeit, so wirken könne. Und dann als zweites: ich liebe meine Frau, ja, seltsam zu sagen, ich liebe sie noch, und so furchtbar ich alles finde, was geschehen, ich bin so sehr im Bann ihrer Liebenswürdigkeit, eines ihr eignen heiteren Charmes, dass ich mich, mir selbst zum Trotz, in meinem letzten Herzenswinkel zum Verzeihen geneigt fühle.’

Wüllersdorf nickte. ‘Kann ganz folgen, Innstetten, würde mir vielleicht ebenso gehen. Aber wenn Sie so zu der Sache stehen und mir sagen: ›Ich liebe diese Frau so sehr, dass ich ihr alles verzeihen kann‹, und wenn wir dann das andere hinzunehmen, dass alles weit, weit zurückliegt, wie ein Geschehnis auf einem andern Stern, ja, wenn es so liegt, Innstetten, so frage ich, wozu die ganze Geschichte?’

‘Weil es trotzdem sein muss. Ich habe mir’s hin und her überlegt. Man ist nicht bloß ein einzelner Mensch, man gehört einem Ganzen an, und auf das Ganze haben wir beständig Rücksicht zu nehmen, wir sind durchaus abhängig von ihm. Ging‘ es, in Einsamkeit zu leben, so könnt ich es gehen lassen; ich trüge dann die mir aufgepackte Last, das rechte Glück wäre hin, aber es müssen so viele leben ohne dies ›rechte Glück‹, und ich würde es auch müssen und – auch können. Man braucht nicht glücklich zu sein, am allerwenigsten hat man einen Anspruch darauf, und den, der einem das Glück genommen hat, den braucht man nicht notwendig aus der Welt zu schaffen. Man kann ihn, wenn man weltabgewandt weiterexistieren will, auch laufenlassen. Aber im Zusammenleben mit den Menschen hat sich ein Etwas ausgebildet, das nun mal da ist und nach dessen Paragraphen wir uns gewöhnt haben alles zu beurteilen, die andern und uns selbst. Und dagegen zu verstoßen geht nicht; die Gesellschaft verachtet uns, und zuletzt tun wir es selbst und können es nicht aushalten und jagen uns die Kugel durch den Kopf. Verzeihen Sie, dass ich Ihnen solche Vorlesung halte, die schließlich doch nur sagt, was sich jeder selber hundertmal gesagt hat. Aber freilich, wer kann was Neues sagen! Also noch einmal, nichts von Hass oder dergleichen, und um eines Glückes willen, das mir genommen wurde, mag ich nicht Blut an den Händen haben; aber jenes, wenn Sie wollen, uns tyrannisierende Gesellschafts-Etwas, das fragt nicht nach Charme und nicht nach Liebe und nicht nach Verjährung. Ich habe keine Wahl. Ich muss.’

‘Ich weiß doch nicht, Innstetten…’

Innstetten lächelte. ‘Sie sollen selbst entscheiden, Wüllersdorf. Es ist jetzt zehn Uhr. Vor sechs Stunden, diese Konzession will ich Ihnen vorweg machen, hatt ich das Spiel noch in der Hand, konnt ich noch das eine und noch das andere, da war noch ein Ausweg. Jetzt nicht mehr, jetzt stecke ich in einer Sackgasse. Wenn Sie wollen, so bin ich selber schuld daran; ich hätte mich besser beherrschen und bewachen, alles in mir verbergen, alles im eignen Herzen auskämpfen sollen. Aber es kam zu plötzlich, zu stark, und so kann ich mir kaum einen Vorwurf machen, meine Nerven nicht geschickter in Ordnung gehalten zu haben. Ich ging zu Ihnen und schrieb Ihnen einen Zettel, und damit war das Spiel aus meiner Hand. Von dem Augenblicke an hatte mein Unglück und, was schwerer wiegt, der Fleck auf meiner Ehre einen halben Mitwisser, und nach den ersten Worten, die wir hier gewechselt, hat es einen ganzen. Und weil dieser Mitwisser da ist, kann ich nicht mehr zurück.’

‘Ich weiß doch nicht’, wiederholte Wüllersdorf. ‘Ich mag nicht gerne zu der alten abgestandenen Phrase greifen, aber doch lässt sich’s nicht besser sagen: Innstetten, es ruht alles in mir wie in einem Grabe.’

‘Ja, Wüllersdorf, so heißt es immer. Aber es gibt keine Verschwiegenheit. Und wenn Sie’s wahr machen und gegen andere die Verschwiegenheit selber sind, so wissen sie es, und es rettet mich nicht vor Ihnen, dass Sie mir eben Ihre Zustimmung ausgedrückt und mir sogar gesagt haben: ›Ich kann Ihnen in allem folgen.‹ Ich bin, und dabei bleibt es, von diesem Augenblicke an ein Gegenstand Ihrer Teilnahme (schon nicht etwas sehr Angenehmes), und jedes Wort, das Sie mich mit meiner Frau[248] wechseln hören, unterliegt Ihrer Kontrolle, Sie mögen wollen oder nicht, und wenn meine Frau von Treue spricht oder, wie Frauen tun, über eine andere zu Gericht sitzt, so weiß ich nicht, wo ich mit meinen Blicken hin soll. Und ereignet sich’s gar, dass ich in irgendeiner ganz alltäglichen Beleidigungssache zum Guten rede, ›weil ja der Dolus fehle‹ oder so was Ähnliches, so geht ein Lächeln über Ihr Gesicht, oder es zuckt wenigstens darin, und in Ihrer Seele klingt es: ›Der gute Innstetten, er hat doch eine wahre Passion, alle Beleidigungen auf ihren Beleidigungsgehalt chemisch zu untersuchen, und das richtige Quantum Stickstoff findet er nie. Er ist noch nie an einer Sache erstickt‹… Habe ich recht, Wüllersdorf, oder nicht?’

Wüllersdorf war aufgestanden. ‘Ich finde es furchtbar, dass Sie recht haben, aber Sie haben recht. Ich quäle Sie nicht länger mit meinem ›muss es sein‹. Die Welt ist einmal, wie sie ist, und die Dinge verlaufen nicht, wie wir wollen, sondern wie die andern wollen. Das mit dem ›Gottesgericht‹, wie manche hochtrabend versichern, ist freilich ein Unsinn, nichts davon, umgekehrt, unser Ehrenkultus ist ein Götzendienst, aber wir müssen uns ihm unterwerfen, solange der Götze gilt.’

Innstetten nickte.

Sie blieben noch eine Viertelstunde miteinander, und es wurde festgestellt, Wüllersdorf solle noch denselben Abend abreisen. Ein Nachtzug ging um zwölf.

Dann trennten sie sich mit einem kurzen: ‘Auf Wiedersehen in Kessin.’“

Dass es auch damals schon Menschlichkeit gab und nicht nur Verbeugungen vor dem Gesellschafts-Etwas, zeigt das Verhalten der Ministerin, als Effi sich an sie wendet.


Wichtig ist das Gespräch zwischen Innstetten und Wüllersdorf, nachdem Roswitha in einem Brief um Rollo gebeten hat:

Hier zeigt zunächst Innstetten eine späte Einsicht:

„Es geht mir schon lange durch den Kopf, und diese schlichten Worte mit ihrer gewollten oder vielleicht auch nicht gewollten Anklage haben mich wieder vollends aus dem Häuschen gebracht. Es quält mich seit Jahr und Tag schon, und ich möchte aus dieser ganzen Geschichte heraus; nichts gefällt mir mehr; je mehr man mich auszeichnet, je mehr fühle ich, daß dies alles nichts ist. Mein Leben ist verpfuscht, und so hab ich mir im stillen ausgedacht, ich müßte mit all den Strebungen und Eitelkeiten überhaupt nichts mehr zu tun haben und mein Schulmeistertum, was ja wohl mein Eigentlichstes ist, als ein höherer Sittendirektor verwenden können.“ (EB323)

Aber er schafft es nicht, die Konsequenz daraus zu ziehen und gegenüber Effi so großzügig zu sein, wie sie es am Ende ihres Lebens ist.

Dafür bekommen wir von Wüllersdorf den Hinweis, den er in dem Gespräch vor dem Duell schon hätte bringen sollen:

„Sie wissen, ich habe auch mein Päckchen zu tragen, nicht gerade das Ihrige, aber nicht viel leichter.“ (EB324)

Aber auch er schafft es in Fontanes Roman nicht, wenigstens jetzt seinem Freund Innstetten über die Hürde zu helfen.

So kann man am Ende nur feststellen, dass in dieser Figurenkonstellation die Ministerin Recht hat, wenn sie feststellt:

„Denn wir Frauen, wenn wir’s klug einleiten und den Bogen nicht überspannen, wissen mancherlei durchzusetzen.“ (EB304)

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