Geschichtliche Quelle: Rabelais zeigt das neue Denken der Renaissance (Mat8277-rab)

Worum es hier geht:

Das Bild haben wir uns von Gemini zeichnen lassen – natürlich mit unseren speziellen Wünschen. Es bezieht sich vor allem auf die Quelle weiter unten, die wir vorstellen – aber man bekommt schon einen guten Eindruck, worum es geht.

  • In der Geschichte Europas ändert sich um 1500 herum viel. Das Mittelalter geht zunehmend zu Ende und die sogenannte Neuzeit beginn.
  • Dabei geht es vor allem um tiefgreifende Veränderungen im Denken der Menschen.
  • Natürlich galt das nicht für alle Menschen. Die einfachen Leute hatten genug mit dem Überleben zu tun.
  • Aber bei den sogenannten intellektuellen Schichten Europas setzte sich ein neues Denken durch.
  • Vor allem die Wiederentdeckung antiker Texte und der Buchdruck eröffneten neue Möglichkeiten des Lernens und Forschens.
  • Auch der Blick auf den Menschen verändert sich: Statt sich allein auf religiöse Autoritäten zu stützen, gewinnt die eigene Erfahrung und Vernunft an Bedeutung.

Die Quelle

  • Ein eindrucksvolles Beispiel für diesen Wandel findet sich in einem Text von François Rabelais, einem französischen Humanisten und Arzt des 16. Jahrhunderts.
  • In seinem Werk „Gargantua und Pantagruel“ schildert er, wie ein Vater seinem Sohn eine neue Art von Bildung ans Herz legt.
  • Den vollständigen Textzusammenhang kann man z. B. hier nachlesen:
    Eine leichter zugängliche Fassung kann hier angeschaut werden:
    Unser Fokus liegt dabei auf dem Abschnitt, der mit „Alle Künste und Wissenschaften sind bei uns wieder heimisch“ beginnt und mit „Gottes Huld und Gnade sei über Dir!“ endet.

Auswertung:

  1. Rabelais beschreibt, dass in seiner Zeit die alten Wissenschaften, besonders das Griechische, wiederentdeckt werden. Diese Rückkehr zur Antike ist ein zentrales Element des Humanismus.
  2. Er lobt den Buchdruck als göttlich inspiriert und stellt ihm das dunkle Mittelalter gegenüber, in dem auch Räuber und Söldner als ‚Gelehrte‘ galten. Damit kritisiert er die Unbildung früherer Zeiten.
  3. Die alte Gelehrsamkeit, so Rabelais, war voller Aberglauben. Besonders deutlich wird das in seiner Ablehnung der Astrologie, die er als ‚Lug und Trug‘ bezeichnet – ein deutliches Schlüsselelement des Textes.
  4. Der Vater ruft seinen Sohn auf, sich die alten Sprachen, besonders Griechisch und Latein, anzueignen. Bildung ist für ihn kein Selbstzweck, sondern ein Weg zu Einsicht und Verantwortung.
  5. Auch naturwissenschaftliche Bildung soll nicht zu kurz kommen: Anatomie, Naturkunde und praktische Studien sollen den jungen Menschen zur Erkenntnis führen.
  6. Gleichzeitig betont Rabelais die Bedeutung von körperlicher Bildung und sozialer Verantwortung – der Sohn soll sich selbst und andere im Notfall verteidigen können.
  7. Religion spielt weiterhin eine Rolle: Der Sohn soll Gott im Herzen tragen und seine Gaben nicht im ‚haltlosen Gebaren‘ verschwenden. Damit verbindet Rabelais humanistische Bildungsideale mit christlicher Ethik.
  8. Der Text endet mit einem persönlichen Segenswunsch des Vaters an den Sohn – ein Zeichen dafür, dass Bildung auch ein Ausdruck von Fürsorge und Hoffnung ist.

Rabelais’ Text zeigt beispielhaft, wie sich das Bildungsverständnis in der Renaissance verändert: Bildung soll nicht nur den Glauben festigen, sondern zur Entfaltung des ganzen Menschen führen – sprachlich, naturkundlich, moralisch und sozial. Der Weg führt heraus aus der dunklen Enge des Mittelalters – hinein in eine neue, offenere Zeit.

Leicht lesbare „Übersetzung“ des Briefes

Wir haben uns mal die Originalfassung angesehen – und das war eine alte Übersetzung, die in der Form heute kaum noch jemand versteht.

Wenn man den Inhalt in die heutige Zeit überträgt, könnte sich das ungefähr so anhören. Wir setzen mal jeweils Zwischenüberschriften, damit die entscheidenden Punkte schnell zu finden sind.

François Rabelais: Brief an Pantagruel – Schülergerechte Version

Liebster Sohn,

[Ausgangspunkt: Ein Vater freut sich, dass er in seinem Sohn weiterlebt]
Gott hat dem Menschen viele großartige Gaben mitgegeben. Eine der schönsten ist es, dass wir durch unsere Kinder ein Stück Unsterblichkeit gewinnen können. Denn wenn wir sterben, leben wir in unseren Kindern und Enkelkindern weiter. Deshalb freue ich mich so sehr, in deiner Jugend meine eigene Kraft wieder aufblühen zu sehen.

Wenn ich einmal sterbe, wird es mir nicht so vorkommen, als ob ich ganz verschwinde – denn ich weiß, dass du mich weiterträgst: durch dein Aussehen, dein Handeln, dein Denken. Aber das funktioniert nur, wenn du nicht nur meinen Körper, sondern auch meine Haltung und meine Werte weiterführst.

[Wie der Vater seinen Sohn gerne haben möchte]
Ich weiß, dass du ein guter Mensch bist. Und ich schreibe dir diesen Brief nicht aus Misstrauen, sondern weil ich dich ermutigen will, das Beste aus dir zu machen. Ich habe mein ganzes Leben darauf ausgerichtet, dich gut zu erziehen – in Anstand, Wissen und Stärke. Du sollst einmal ein Spiegelbild deines Vaters sein – vielleicht nicht vollkommen, aber doch so, dass man stolz auf dich sein kann.

[Rückblick des Vaters auf die eigene Entwicklung]
Mein Vater hat sich ebenfalls bemüht, mich gut auszubilden. Aber zu seiner Zeit war das schwieriger – die Zeiten waren düster, das Wissen war fast verschwunden. Heute ist das anders: Du hast die besten Lehrer, großartige Bücher und eine Umgebung, in der das Lernen geschätzt wird. Ich sehe, dass selbst einfache Leute heute mehr wissen als früher viele Gelehrte.

Sogar Frauen und Mädchen interessieren sich heute für das Wissen – etwas, das früher kaum denkbar war. Ich selbst habe im Alter noch begonnen, Griechisch zu lernen, weil es mir wichtig ist, die großen Werke der alten Denker zu verstehen.

[Forderungen an den Sohn: viel lesen, vor allem in alten Sprachen, aber auch arabisch]
Darum bitte ich dich: Nutze deine Jugend, um zu lernen. Du bist in Paris, du hast gute Lehrer – nutze das! Lerne die alten Sprachen gründlich: Griechisch, Latein, Hebräisch, vielleicht sogar Arabisch. Lies viel und präge dir das Gelesene gut ein.

[Aufzählung einiger Künste – Warnung vor Aberglauben]
Lerne die freien Künste wie Musik, Mathematik, Geometrie und besonders auch Astronomie. Aber beschäftige dich nicht mit Aberglauben wie der Astrologie – das ist Unsinn.

[Hinweis auch auf die Bedeutung der Naturforschung und Medizin]
Kenne dich auch mit der Natur aus: mit Fischen, Vögeln, Bäumen, Kräutern, Steinen und Metallen. Lies die Bücher der großen Ärzte – und hab keine Scheu, auch jüdische und arabische Quellen zu nutzen. Lerne durch Beobachtung und Forschung, wie der menschliche Körper funktioniert.

[Hervorhebung der Bibellektüre in den Originalsprachen]
Und vergiss nicht die Bibel: Lies das Neue Testament auf Griechisch, das Alte auf Hebräisch – wenn du kannst. Tauche ein in das Meer des Wissens!

[Aber auch Notwendigkeit der körperlichen Ertüchtigung zur Selbstverteidigung]
Denn eines Tages wirst du dein friedliches Gelehrtenleben verlassen müssen und lernen, dich und deine Freunde zu verteidigen. Es wird Zeit sein, auch das Rittertum zu erlernen, um unser Haus zu schützen.

[Bedeutung des Austausches mit Gleichgesinnten]
Ich wünsche mir, dass du bald dein Wissen mit anderen teilst – in Diskussionen, bei Prüfungen oder im Austausch mit anderen Gelehrten.

[Hinweis, dass Wissen nicht alles ist – es geht auch um Weisheit, die von Gott kommt, und Liebe zu den Menschen]
Aber vergiss nie: Wissen allein reicht nicht. Weisheit kommt nur zu den Guten. Glaube an Gott, vertraue ihm und liebe deine Mitmenschen. Hänge dein Herz nicht an Reichtum oder Ruhm – diese Welt ist vergänglich. Was zählt, ist das Wort Gottes und ein Leben in Liebe.

[Abschluss: Warnung vor schlechten Einflüssen und Vorfreude auf ein Wiedersehen nach erfolgreichem Studium]
Hilf anderen, ehre deine Lehrer, halte dich fern von schlechten Einflüssen und verschwende nicht die Talente, die Gott dir gegeben hat. Und wenn du einmal das Gefühl hast, du hast genug gelernt – dann komm zurück zu mir, damit ich dich noch einmal sehen und dir meinen Segen geben kann.

Gott segne dich, mein Sohn.

Dein Vater Gargantua – geschrieben am 17. März in Utopien.
[Hier am Ende merkt man, dass dieser Roman spielerisch fiktiv gehalten ist, denn Utopia bedeutet ja wörtlich: Kein (realer) Ort.]

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