Goethe, „Das Göttliche“ – Hilfen zum Verständnis einzelner Textstellen

Wir versuchen hier denen zu helfen, die eine bestimmte Stelle im Gedicht „Das Göttliche“ von Johann Wolfgang von Goethe nicht verstehen:

Dies unterstützt unsere Interpretation des Gedichtes auf der folgenden Seite:
https://textaussage.de/goethe-das-goettliche

Strophe 1:

Mia-Tipp:
Es beginnt mit einer Aufforderung, dann folgt eine Begründung. Dabei geht es darum, das Besondere des Menschen im Vergleich zu allen anderen Wesen hervorzuheben.

Edel sei der Mensch,
Hülfreich und gut!
Denn das allein
Unterscheidet ihn
Von allen Wesen,
Die wir kennen.

  • Zeile 1 – „Edel“:
    → „Edel“ bedeutet hier nicht adlig, sondern moralisch hochstehend, tugendhaft.

  • Zeile 2 – „Hülfreich“:
    → Veraltete Schreibweise für „hilfreich“.

  • Zeile 4 – „Unterscheidet ihn“:
    → Gemeint ist: Das unterscheidet den Menschen von allen anderen bekannten Lebewesen (Tiere, Natur).


Strophe 2:

Mia-Tipp:
Jetzt geht es um höhere Wesen, die aber unbekannt sind, aber man ahnt sie. Dann kommt eine interessante Aufforderung: Wenn man ihnen gleicht (ohne sie genau zu kennen), dann hilft das, an diese Wesen zu glauben.
Eine ganz seltsame Konstruktion:
Man soll etwas nachahmen, das man nicht kennt, um dann daran zu glauben.
Goethe meint, siehe die Überschrift, dass in uns Menschen unbekannte Kräfte sind, die uns zum Guten leiten, uns helfen, „edel, hilfreich und gut“ zu sein.
Es kommt also nicht auf die Götter an, sondern auf das, was in uns ist und uns leitet, auch das Gute auszuüben, das man bei den Göttern annimmt.

Heil den unbekannten
Höhern Wesen,
Die wir ahnen!
Ihnen gleiche der Mensch;
Sein Beispiel lehr uns
Jene glauben.

  • Zeile 1 – „Heil“:
    → Ausdruck der Verehrung oder des Segens – heute ungebräuchlich oder negativ konnotiert.

  • Zeile 2 – „Höhern Wesen“:
    → Gemeint sind göttliche oder übernatürliche Wesen.

  • Zeile 3 – „ahnen“:
    → Wir können sie nicht erkennen, aber vermuten oder spüren ihre Existenz.

  • Zeile 5 – „Sein Beispiel lehr uns“:
    → Umstellung: „Sein Beispiel lehre uns“ – also: Möge das Beispiel des Menschen uns lehren…


Strophe 3:

Denn unfühlend
Ist die Natur:
Es leuchtet die Sonne
Über Bös‘ und Gute,
Und dem Verbrecher
Glänzen wie dem Besten
Der Mond und die Sterne.

  • Zeile 1 – „unfühlend“:
    → Bedeutet „gefühllos“, nicht im emotionalen Sinn, sondern im Sinne einer neutralen Natur.

  • Zeile 4 – „Bös’“:
    → Abkürzung für „Böse“.

  • Zeile 6 – „dem Besten“:
    → Hier als moralisch guter Mensch gemeint, nicht als „der Beste“ im sportlichen Sinne.


Strophe 4:

Wind und Ströme,
Donner und Hagel
Rauschen ihren Weg
Und ergreifen,
Vorübereilend,
Einen um den andern.

  • Zeile 4 – „ergreifen“:
    → Im Sinne von „mitreißen“ oder „unerwartet treffen“.

  • Zeile 5 – „Vorübereilend“:
    → Schnell vorbeiziehend – Naturgewalten passieren, ohne Rücksicht auf das Einzelne.


Strophe 5:

Auch so das Glück
Tappt unter die Menge,
Faßt bald des Knaben
Lockige Unschuld,
Bald auch den kahlen,
Schuldigen Scheitel.

  • Zeile 2 – „Tappt unter die Menge“:
    → „Tappen“ bedeutet hier: Das Glück bewegt sich blind oder zufällig durch die Menschenmenge.

  • Zeile 4 – „Lockige Unschuld“:
    → Bild für ein unschuldiges Kind.

  • Zeile 6 – „Schuldigen Scheitel“:
    → „Scheitel“ = Oberkopf; gemeint ist ein schuldiger, möglicherweise alter Mann – Kontrast zur kindlichen Unschuld.


Strophe 6:

Nach ewigen, ehrnen,
Großen Gesetzen
Müssen wir alle
Unseres Daseins
Kreise vollenden.

  • Zeile 1 – „ehrnen“:
    → Alte Form von „eisern“ – steht für unveränderlich und fest.

  • Zeile 5 – „Kreise vollenden“:
    → Poetisches Bild für das Leben von Geburt bis Tod, das sich wie ein Kreis schließt.


Strophe 7:

Nur allein der Mensch
Vermag das Unmögliche:
Er unterscheidet,
Wählet und richtet;
Er kann dem Augenblick
Dauer verleihen.

  • Zeile 2 – „Vermag“:
    → Veraltete Form von „vermag zu“ = „ist in der Lage zu“.

  • Zeile 6 – „dem Augenblick Dauer verleihen“:
    → Gemeint ist: Der Mensch kann Erinnerungen schaffen, Geschichte schreiben, Werte erhalten.


Strophe 8:

Er allein darf
Den Guten lohnen,
Den Bösen strafen,
Heilen und retten,
Alles Irrende, Schweifende
Nützlich verbinden.

  • Zeile 5 – „Irrende, Schweifende“:
    → Gemeint sind Dinge oder Menschen, die ohne Ziel umherirren – durch den Menschen können sie geordnet werden.


Strophe 9:

Und wir verehren
Die Unsterblichen,
Als wären sie Menschen,
Täten im Großen,
Was der Beste im Kleinen
Tut oder möchte.

  • Zeile 3 – „Als wären sie Menschen“:
    → Götter oder höhere Wesen werden anthropomorph gedacht – wie Menschen vorgestellt.

  • Zeile 4–6 – „Täten im Großen …“:
    → Die göttlichen Taten erscheinen nur größer als die guten Taten eines tugendhaften Menschen.


Strophe 10:

Der edle Mensch
Sei hülfreich und gut!
Unermüdet schaff er
Das Nützliche, Rechte,
Sei uns ein Vorbild
Jener geahneten Wesen!

  • Zeile 3 – „schaff“:
    → Verkürzte, poetische Form von „schaffe“.

  • Zeile 6 – „geahneten Wesen“:
    → Wiederbezug auf die „höheren Wesen“, die man nur ahnt – der edle Mensch soll ihnen ähneln.

Wer noch mehr möchte …