Goethe, „Der Fischer“ (Mat1588)

Gefunden haben wir den Text hier.

Der Fischer

  1. Das Wasser rauscht‘, das Wasser schwoll,
  2. Ein Fischer saß daran,
  3. Sah nach dem Angel ruhevoll,
  4. Kühl bis ans Herz hinan.
  5. Und wie er sitzt und wie er lauscht,
  6. Teilt sich die Flut empor;
  7. Aus dem bewegten Wasser rauscht
  8. Ein feuchtes Weib hervor.
    • Ein Fischer sitzt ruhig am Ufer eines Flusses und angelt.
    • Während er lauscht, öffnet sich plötzlich das Wasser, und eine Wasserfrau erscheint vor ihm.
    • Man merkt hier deutlich, dass eine friedliche Szene plötzlich gestört wird
    • und zwar durch ein geheimnisvolles Wesen.
    • Dementsprechend baut sich Spannung auf.
  9. Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
  10. »Was lockst du meine Brut
  11. Mit Menschenwitz und Menschenlist (Witz heißt hier Klugheit)
  12. Hinauf in Todesglut?
  13. Ach wüsstest du, wie’s Fischlein ist
  14. So wohlig auf dem Grund,
  15. Du stiegst herunter, wie du bist,
  16. Und würdest erst gesund.
    • Die Wasserfrau wirft dem Fischer vor,
    • dass er mit menschlicher Klugheit, ja List
    • die jungen Fische anlockt
    • und damit in Lebensgefahr bringt.
    • Dieser Gefahr stellt sie das schöne Leben der Fische tief im Wasser gegenüber
    • und schlägt dem Fischer vor, das Leben dort auch mal auszuprobieren.
    • Angeblich würde er dadurch sogar erst mal richtig gesund.
    • Als Leser ahnt man sofort, dass ihm kein Gefallen getan werden soll, sondern es ihm ans Leben gehen würde – denn er kann als Mensch tief im Wasser nicht leben.
  17. Labt sich die liebe Sonne nicht,
  18. Der Mond sich nicht im Meer?
  19. Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
  20. Nicht doppelt schöner her?
  21. Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
  22. Das feuchtverklärte Blau?
  23. Lockt dich dein eigen Angesicht
  24. Nicht her in ew’gen Tau?«
    • Lang und breit führt die Wasserfrau alles auf, was für die Anziehungskraft des Wassers spricht.
    • Vor allem werde man dadurch noch schöner.
    • Am Ende wird die Gefahr verharmlost, indem vom Wasser als „Tau“ gesprochen wird – als wäre das ein bisschen Feuchtigkeit auf Gegenständen am frühen Morgen.
    • Man merkt hier deutlich, dass die Wasserfrau versucht, den Fischer in ihr Element zu locken – und alles verschweigt, was dagegen spricht.
  25. Das Wasser rauscht‘, das Wasser schwoll,
  26. Netzt‘ ihm den nackten Fuß;
  27. Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll,
  28. Wie bei der Liebsten Gruß.
  29. Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
  30. Da war’s um ihn geschehn:
  31. Halb zog sie ihn, halb sank er hin,
  32. Und ward nicht mehr gesehn.
    • Zur Verlockung kommt die Annäherung des Wassers.
    • Dazu kommt eine Art magische Wirkung, die das Herz des Fischers berührt.
    • Interessant der Vergleich mit einer Liebesbegegnung.
    • Wie bei den Sirenen in der Antike ist es letztlich der Gesang der Wasserfrau, die den Fischer zum Gang ins Wasser und damit wohl seinen Tod bewegt.
    • Berühmt und fast sprichwörtlich ist die Zeile:
      „Halb zog sie ihn, halb sank er hin“,
    • Das Wasser steigt und benetzt die Füße des Fischers, während sein Herz von Sehnsucht erfüllt wird, ähnlich wie bei einem Gruß seiner Geliebten. Die Wasserfrau singt und spricht weiter zu ihm, bis er schließlich von ihr ins Wasser gezogen wird oder selbst hineinsinkt. Am Ende verschwindet der Fischer spurlos im Wasser