Goethe, „Eins und alles“ (Mat7410)

Der Mensch der Klassik zwischen Individualität und Auflösung im Unendlichen

Wir stellen hier ein Gedicht von Goethe vor, das u.a. hier zu finden ist:

Quelle: Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 540-541.

Permalink: http://www.zeno.org/nid/20004842863

Goethe

Eins und Alles

  1. Im Grenzenlosen sich zu finden,
  2. Wird gern der Einzelne verschwinden,
  3. Da löst sich aller Überdruß;
  4. Statt heißem Wünschen, wildem Wollen,
  5. Statt läst’gem Fordern, strengem Sollen
  6. Sich aufzugeben ist Genuß.
  • In der ersten Strophe beschreibt das lyrische Ich den Wunsch des Individuums, sich im Grenzenlosen aufzulösen.
  • Es präsentiert die Idee, dass der Einzelne bereit ist, seine Individualität aufzugeben, um Teil von etwas Größerem zu werden.
  • Dieser Prozess wird als befreiend dargestellt, da er von allen Belastungen des individuellen Daseins erlöst.
  • Statt persönlicher Wünsche, Begierden und Verpflichtungen wird die Selbstaufgabe als Genuss empfunden.
  1. Weltseele, komm, uns zu durchdringen!
  2. Dann mit dem Weltgeist selbst zu ringen
  3. Wird unsrer Kräfte Hochberuf.
  4. Teilnehmend führen gute Geister,
  5. Gelinde leitend, höchste Meister,
  6. Zu dem, der alles schafft und schuf.
    • Die zweite Strophe ruft die „Weltseele“ an und beschreibt den Wunsch, mit dem „Weltgeist“ in Verbindung zu treten.
    • Das lyrische Ich sieht es als höchste Berufung an, mit dieser kosmischen Kraft zu ringen oder in Wechselwirkung zu treten.
    • Es stellt vor, wie gute Geister und höchste Meister den Menschen sanft zu dem Schöpfer allen Seins führen.
  7. Und umzuschaffen das Geschaffne,
  8. Damit sich’s nicht zum Starren waffne,
  9. Wirkt ewiges lebendiges Tun.
  10. Und was nicht war, nun will es werden
  11. Zu reinen Sonnen, farbigen Erden,
  12. In keinem Falle darf es ruhn.
  • In der dritten Strophe präsentiert das lyrische Ich die Idee einer ständigen Umwandlung und Neuschöpfung.
  • Es beschreibt einen ewigen Prozess des Wandels und der Erneuerung, der notwendig ist, um Stagnation zu verhindern.
  • Dieser schöpferische Prozess wird als unaufhörlich dargestellt, der ständig Neues hervorbringt – von Sonnen bis zu farbigen Erden.
  1. Es soll sich regen, schaffend handeln,
  2. Erst sich gestalten, dann verwandeln;
  3. Nur scheinbar steht’s Momente still.
  4. Das Ewige regt sich fort in allen:
  5. Denn alles muß in Nichts zerfallen,
  6. Wenn es im Sein beharren will.
    • Die letzte Strophe führt den Gedanken der ständigen Bewegung und Veränderung weiter.
    • Das lyrische Ich betont, dass alles sich regen, gestalten und verwandeln muss.
    • Es präsentiert die paradoxe Idee, dass selbst scheinbarer Stillstand nur eine Illusion ist.
    • Die Strophe gipfelt in der Erkenntnis, dass alles vergänglich sein muss, um im Sein zu verharren – eine tiefgründige Reflexion über die Natur der Existenz und des Wandels.

Zusammenfassung / Intention

Das Gedicht zeigt…

  • die Sehnsucht des Individuums, sich im Unendlichen aufzulösen und Teil eines größeren Ganzen zu werden.
  • den Kontrast zwischen den Begrenzungen des individuellen Daseins und der Freiheit, die in der Vereinigung mit dem Universum liegt.
  • die Vorstellung einer alles durchdringenden Weltseele, mit der der Mensch in Verbindung treten möchte.
  • den ewigen Kreislauf von Schöpfung, Wandel und Vergänglichkeit als fundamentales Prinzip des Universums.
  • die paradoxe Natur der Existenz, in der Beständigkeit nur durch ständige Veränderung erreicht werden kann.
  • die philosophische Idee, dass wahre Erfüllung in der Aufgabe des Selbst und der Verschmelzung mit dem Kosmos liegt.
  • die Überzeugung, dass alles Sein einem ständigen Prozess der Umgestaltung und Erneuerung unterworfen ist.
  • die Vorstellung, dass selbst scheinbarer Stillstand nur eine Illusion ist und alles in ständiger Bewegung bleibt.
  • die tiefe Verbundenheit zwischen dem Einzelnen, der Natur und dem gesamten Universum.
  • die Auffassung, dass das Streben nach Vereinigung mit dem Weltgeist die höchste Berufung des Menschen ist.

Weitere Infos, Tipps und Materialien