Goethe – oder nicht? Ein Gedicht in einem Roman
Wenn man nach einem Goethe-Gedicht sucht, kann man z.B. dieses finden:
https://www.aphorismen.de/gedicht/264
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Und dann fängt man an zu analysieren. Was macht das lyrische Ich?
- Wer nie sein Brot mit Tränen aß,
- Wer nie die kummervollen Nächte
- Auf seinem Bette weinend saß,
- Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.
- In den ersten drei Zeilen geht sie auf Menschen ein, die so etwas wie Kummer, Not und Tränen nicht kennen.
- Es folgt eine These, dass diese Leute angeblich die „himmlischen Mächte“ nicht kennen, die vom lyrischen Ich angeredet werden.
- Als Leser ist man hier erst mal ratlos.
- Ganz kluge Leute können darauf kommen, dass diese Mächte etwas mit der Not der anderen Leute zu tun haben.
- Hoffen wir mal, dass sie eher hilfreich eingreifen – und damit ein Glaubens- und Vertrauensgefühl erzeugen, dass die Glücklichen nicht kennen.
- Ihr führt ins Leben uns hinein,
- Ihr laßt den Armen schuldig werden,
- Dann überlaßt ihr ihn der Pein,
- Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.
- Doch dann der Schock: Das lyrische Ich zählt drei Verhaltensweisen auf, die das lyrische Ich und ähnliche Leute, die wohl zu den Unglücklichen gezählt werden, den himmlischen Mächten zuordnet – und die alle mehr oder weniger negativ sind.
- Das heißt: Die Erwartungshaltung war falsch – diese Mächte sind zwar für den Sprung ins Leben zuständig – aber die sehen einfach zu, wie die Armen unter ihnen „schuldig werden“ – und dann überlassen sie diese Menschen auch noch der „Pein“ – zwischen Schuldgefühl und Strafe.
- Am Ende dann eine These, die eigentlich für alle Menschen gelten sollte, wohl aber nur die Armen trifft.
Insgesamt ein Gedicht, das die himmlischen Mächte eher negativ sieht. Sie kümmern sich nicht um die Menschen, die sie ins Leben haben kommen lassen – und die Armen haben damit ein Problem, die Reichen (angeblich) nicht.
Man könnte dieses Gedicht gut erweitern durch eine Strophe, in der ein Glücklicher deutlich macht, dass auch sein Glück nicht so klar und dauerhaft ist, wie es aus der Perspektive der eindeutig Unglücklichen aussieht.
Wenn man sich die Aussage des Gedichtes ansieht, kann man es mit Goethes „Das Göttliche“ vergleichen. Denn die Interesse- und Mitleidlosigkeit der „himmlischen Mächte“ passen dort gut zum Schicksal. Denn von dem heißt es eindeutig:
https://textaussage.de/goethe-das-goettliche
13 Denn unfühlend
14 Ist die Natur:
15 Es leuchtet die Sonne
16 Über Bös und Gute,
17 Und dem Verbrecher
18 Glänzen wie dem Besten
19 Der Mond und die Sterne.
20 Wind und Ströme,
21 Donner und Hagel
22 Rauschen ihren Weg
23 Und ergreifen
24 Vorüber eilend
25 Einen um den andern.
26 Auch so das Glück
27 Tappt unter die Menge,
28 Fasst bald des Knaben
29 Lockige Unschuld,
30 Bald auch den kahlen
31 Schuldigen Scheitel.
Am Ende aber kommt dann doch das Klassische – denn der Mensch wird aufgefordert, „edel, hilfreich und gut“ zu sein – gewissermaßen das Göttliche als Gegenstück zum blinden Schicksal möglichst stark ins Leben einzubringen.
Ist Goethe hier nur negativ?
Wer dem Link hier unten gefolgt ist, hat schon gesehen, dass Goethe dieses Gedicht einer Figur in einem Roman in den Mund legt.
Wir zitieren hier mal in Auszügen perplexity.ai:
Die kompletten Fragen und Antworten gibt es hier:
https://www.perplexity.ai/search/es-geht-um-das-gedicht-wer-nie-HKpuOpapSBKlHuqCIpDPpg#1
und
https://www.perplexity.ai/search/es-geht-um-das-gedicht-wer-nie-HKpuOpapSBKlHuqCIpDPpg?login-source=oneTapThread#2
und
https://www.perplexity.ai/search/es-geht-um-das-gedicht-wer-nie-HKpuOpapSBKlHuqCIpDPpg#3
Die Kommunikationssituation des Gedichts „Wer nie sein Brot mit Tränen aß“ im Kontext von Goethes Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ lässt sich folgendermaßen beschreiben:
Das Gedicht wird von der Figur des Harfenspielers vorgetragen, einer geheimnisvollen und tragischen Gestalt im Roman. Es handelt sich also um einen Gesang innerhalb der Erzählung, der die Gefühle und Erfahrungen dieser Figur zum Ausdruck bringt.
Der Harfner, auch als Harfenspieler [… ] bekannt, ist eine tragische Gestalt im Roman:
- Er ist ein geheimnisvoller Wandermusiker, der mit seiner Harfe umherzieht.
- Später stellt sich heraus, dass er der Vater von Mignon und der Bruder des Marchese Cipriani ist.
- Er trägt eine schwere Schuld mit sich, da er unwissentlich eine inzestuöse Beziehung mit seiner Schwester hatte, aus der Mignon hervorging.
- Diese Schuld und sein Schicksal haben ihn in den Wahnsinn getrieben.
Wenn man das weiß, wird man verstehen, dass es sich hier eher um eine Anklage handelt, wie sie auch Prometheus dem antiken Gott Zeus entgegenschleudert.
Im Sinne des Gedichtes „Das Göttliche“ wird ihm aber im Roman freundlich begegnet. Das heißt er erfährt dort zumindest ansatzweise das „Edle, Hilfreiche und Gute.“
Fazit:
Wir haben hier den interessanten Fall eines Gedichtes, das zwar von Goethe stammt, das er aber einer Figur im Roman in den Mund legt. Aber man kann das Gedicht natürlich auch für sich allein nehmen – und dann wird man mit der negativen Sicht des Harfners auf die Welt konfrontiert und kann sich dazu eine eigene Meinung bilden – z.B. eine ergänzende Strophe bilden – die die einfache Glück-Unglück-Situation in Frage stellt.