Herders Bedeutung für die Entstehung der Romantik
Auswertung des Kapitels 1 aus dem Romantik-Buch von Rüdiger Safranski:
Rüdiger Safranski, Romantik. Eine deutsche Affäre, Carl Hanser-Verlag, München 2007/2020
E-Book: ISBN 978-3-446-26658-2
Klärung, bei welchen Themen Herder der Romantik den Weg bereitet hat
- Dynamisches Geschichtsverständnis
- Geschichte als offener, sinnhafter Prozess
- Entwicklung durch Brüche und Umbrüche
- Jede Epoche hat eigene Herausforderungen und Wahrheiten
- Zitat:
EB28: „Alles ist Geschichte. Das gilt nicht nur für den Menschen und seine Kultur, sondern auch für die Natur.„ - EB29: „Herder hat dem 19. Jahrhundert den Begriff einer dynamischen, offenen Geschichte vermacht.“
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- Individualismus und Pluralität
- Radikaler Personalismus: Fokus auf den Einzelnen
- Vielfalt der Individuen als Reichtum der Menschheit
- EB31: „Herder aber und das ist nach dem Begriff der dynamischen Geschichte sein zweiter wirkungsmächtiger Gedanke – hat den Individualismus oder Personalismus und daraus folgend die Pluralität entdeckt.“
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- Volksgeist und Kulturelle Vielfalt
- Sammlung von Volksliedern und kulturellen Zeugnissen
- Wertschätzung verschiedener Volkskulturen
- Ablehnung von Chauvinismus, Betonung kultureller Gleichwertigkeit
- EB33: „Um diesen Volksgeistern auf die Spur zu kommen, hat Herder auf seiner Schiffsreise den Plan gefaßt, Volkslieder und sonstige kulturelle Zeugnisse der Völker zu sammeln. Er wird ihn in die Tat umsetzen und damit den Romantikern Anstoß und Vorbild sein, diese Sammeltätigkeit fortzusetzen.“
- EB33: „Viele Völker, viele Stimmen. Die Vielfalt erst läßt den Reichtum des Menschlichen blühen.“
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- Lebendige Vernunft
- Kritik an abstrakter Vernunft (z.B. Kants)
- Betonung von Intuition, Gefühl und Erfahrung
- Verbindung von Rationalität und Emotionalität
- EB25: „Herder spricht von der lebendigen im Gegensatz zur abstrakten Vernunft. Die lebendige Vernunft ist konkret, sie taucht ein ins Element der Existenz, des Unbewußten, Irrationalen, Spontanen, also ins dunkle, schöpferische, treibend-getriebene Leben. ›Leben‹ bekommt bei Herder einen neuen, enthusiastischen Klang.“
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- Naturverständnis
- Natur als schöpferische, sich entwickelnde Kraft
EB28: „Herders Begriff der lebendigen Natur umfaßt das Schöpferische, dem man sich euphorisch überläßt, aber auch das Unheimliche, das einen bedroht.“ - Mensch als Teil und Höhepunkt der Naturentwicklung
- Natur als schöpferische, sich entwickelnde Kraft
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- „Jede Stufe hat ihr Recht in sich, aber enthält zugleich den Keim zur jeweils höheren.
- Und alle Stufen sind Vorstufen des Menschen. Dessen Auszeichnung besteht darin, daß er die schöpferische Potenz, die in der Natur wirkt, nun in eigene Regie nehmen kann und muß.
- Er kann es aufgrund seiner Intelligenz und der Sprache, und er muß es, weil er instinktarm und darum ungeschützt ist.
- Die kulturschaffende Potenz ist also Ausdruck sowohl einer Stärke wie einer Schwäche.
- Mit diesem Gedanken ist Herder der Vorläufer der modernen Anthro-pologie, mit dem Menschen als dem kulturschaffenden Mängelwesen.
- Für Herder gehört die Kulturgeschichte der Menschheit zur Naturgeschichte, aber einer Naturgeschichte, in der die bisher ohne Bewußtsein wirkende Naturkraft im menschlichen Denken und seiner absichtsvollen Schöpferkraft zum Bewußtsein ihrer selbst durchgedrungen ist.“
- Kultur als Fortsetzung der Naturgeschichte
EB28: „Es ist ein neuer Gedanke, Naturgeschichte als Entwicklungsgeschichte zu verstehen, welche die Vielfalt der natürlichen Gestalten hervorbringt, denn damit wird die göttliche Weltschöpfung in den Naturprozeß hinein-genommen. Natur ist selbst jene schöpferische Potenz, die früher in einen außerweltlichen Bereich verlagert wurde.“
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- Humanitätsideal
- Selbstgestaltung des Menschen als offener Prozess
- Beförderung der Humanität als Ziel menschlicher Entwicklung
EB29: „Die Umgestaltung des Menschen durch sich selbst und die Bildung der Kultur als Lebensmilieu nennt Herder die Beförderung der Humanität. Humanität steht nicht gegen Natur, sondern ist in bezug auf den Menschen die wahrhafte Realisierung seiner Natur.“ - Gemeinschaft als Rahmen für individuelle Entfaltung
EB20: „Die Verwirklichung der Humanität ist eine Art experimentum mundi, ein offener Prozeß, dessen Verlauf vom Menschen abhängt, auch wenn im Hintergrund eine Naturabsicht wirkt. Da diese aber nicht explizit zu erfassen ist, bleibt nichts anderes übrig, als das Werk der Selbstgestaltung nach den Maßstäben zu vollbringen, die sich der Mensch selber setzt. Sie wirken als innerer Kompaß, der die jeweilige Richtung anzeigt, in der ein Höchstmaß an gemeinschaftlicher Selbstentfaltung gefunden werden kann.“
—- EB32: „Der Einzelne, der sich zum Individuum bildet, ist und bleibt das Sinnzentrum, auch wenn er, was nicht zu leugnen ist, stets einer Gemeinschaft bedarf.
- Sie aber, so Herder, sollte so organisiert sein, daß jeder seinen individuellen Lebenskeim entfalten kann.
- Die Gemeinschaft ist eine Verbindung zur gegenseitigen Hilfe bei dieser Entwicklung. Dabei ergibt die Vereinigung der Einzelnen in der Gemeinschaft nicht einfach eine Summe, sondern sie bildet durch das Zusammenwirken einen jeweils besonderen Geist, der aus der Vereinigung entspringt und dem Einzelnen eine geistige Lebensluft gibt.
- Für Herder ist der Mensch als Individuum eingebettet in der Gemeinschaft, einer Art größerem Individuum.
- Herder sieht konzentrische Kreise, von der Familie, den Stämmen, den Völkern, Nationen bis hinauf zu der Gemeinschaft von Nationen, die auf ihrem Niveau eine geistige Synthese bilden. In bezug auf die Völker spricht Herder von den Volksgeistern.
- Wichtig aber ist: Diese größeren Einheiten werden vom Individuum her gedacht. Wie die einzelnen Individuen unterein-ander, so bilden auch diese größeren Einheiten eine Pluralität – die der Volksgeister.
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- Sprachphilosophie
- Sprache als Ausdruck des Volksgeistes
- Interesse an Ursprüngen und Entwicklung von Sprachen
- Poesie als authentischer Ausdruck kultureller Identität
- EB33: „Engherziger Patriotismus liegt ihm fern.
- Er will helfen, die anderen Völker in ihren Traditionen besser zu verstehen.
- Der Denkart der Nationen bin ich nachgeschlichen, und was ich ohne System und Grübelei herausgebracht, ist: daß jede sich Urkunden bildete, nach der Religion ihres Landes, der Tradition ihrer Väter, und den Begriffen der Nationen: daß diese Urkunden in einer dichterischen Sprache, in dichterischen Einkleidungen, und poetischem Rhythmus erscheinen: also mythologische Nationalgesänge vom Ursprunge ihrer ältesten Merkwürdigkeiten.“
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- Gesamturteil:
EB36: „Die Entdeckung der dynamischen Geschichte mit allem was daraus folgt, vom stolzen Individualismus bis zur Demut vor den alten Zeugnissen der Volkskultur, bewirkte eine wirkliche Zäsur des abendländischen Geistes.“
Weitere Infos, Tipps und Materialien
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