Herder und sein Begriff der Humanität – was kann man damit wirklich anfangen? (Mat1876-hum-herder-sys)

Herder und der Begriff der Humanität – was ist da wirklich im Angebot?

Ausgangspunkt bei uns: hohe Meinung zu Herder
  • Wir hatten schon seit langem eine hohe Meinung von Goethes Freund Herder.
  • Das hängt vor allem damit zusammen, dass einer der besten deutschen Sachbuch-Schriftsteller, Rüdiger Safranski, sein Buch über die Romantik mit diesem Mann anfangen lässt.
    Infos in diesem Datensatz der Deutschen Nationalbibliothek:
    https://d-nb.info/1184416915
Dann die Überraschung: „Sinnloser“ Text von Herder
  • Umso erstaunt waren wir, als wir in einem Oberstufenbuch einen Text von Herder zum Thema Humanität fanden, dem wir fast nichts Vernünftiges entnehmen konnten.
    P.A.U.L. D. – Persönliches Arbeits- und Lesebuch Deutsch – Oberstufe /
    ISBN: 978-3-14-028261-1
    Seite: 192
  • Wenn das am Verlag gelegen hätte, hätten wir uns hier natürlich sehr vorsichtig geäußert. Denn dort sitzen ja kluge Leute, die wahrscheinlich mehr Ahnung von diesen Themen haben als wir.
  • Wir haben uns dann die Originalquelle von Herder angeschaut und festgestellt, dass der berühmte Schriftsteller direkt selbst für diese Schulbuchquelle verantwortlich ist.
    http://www.zeno.org/nid/20005053048
Unsere Kritik an diesem Text von Herder
  • Im wesentlichen bezieht sich unsere Kritik darauf, dass die erste Hälfte des Textes völlig unsinnig ist. Sinnvoll wäre gewesen, wenn Herder sich erst mal mit der Bedeutung des lateinischen Begriffs Humanitas auseinandergesetzt hätte.
    Hier kann man Näheres dazu finden:
    https://epub.ub.uni-muenchen.de/1273/1/senior_stud_2006_11_01.pdf

    • Interessant übrigens, dass sich daraus Folgendes ergibt:
      Er bedeutete zunächst vor allem Mitmenschlichkeit und Mitgefühl, besonders in Zeiten politischer Gewalt und Grausamkeit.
      Es ging um das „Empfinden für das gemeinsame Menschsein“ (sensus humanitatis).
      Das war übrigens unser erster Gedanke, als wir versuchten, die Lücke bei Herder zu füllen. Warum kam der nicht auf so etwas Selbstverständliches – bzw. warum druckt man einen Text von Herder ab, den man nur kritisieren kann?
    • Später wurde der Begriff erweitert in Richtung Bildung und Kultiviertheit.
    • „Humanitas“ umfasste nun sowohl Mitmenschlichkeit (φιλανθρωπία) als auch geistige Bildung (παιδεία).
  • Nun zu Herder zurück:
    Nach der Klärung des lateinischen Begriffs hätte Herder – wie jeder Übersetzer versuchen können, den lateinischen Begriff mit einem passenden deutschen zu übersetzen.
  • Stattdessen überschwemmt Herder in seinem fiktiven Brief die Leser, mit allen möglichen Konnotationen und zum Teil Vorurteilen gegenüber bestimmten deutschen Begriffen und verwirrt damit mehr, als dass er Klarheit schafft.
    Unsere Hypothese: Wir sehen hier ein grundsätzliches Problem, dass große Geister wie Herder, aber auch Lessing und Schiller dazu neigen, von der Höhe ihres Denkmalpodestes aus ganz gerne mal ihre ganz persönlichen Überzeugungen allen anderen aufzudrücken. Siehe Schiller: „Die Worte des Glaubens“ oder Lessing in seinem Essay über die Erziehung des Menschengeschlechtes.
    Wenn diese Hypothese mehr Eingang in den Deutschunterricht finden würde, würde dort vielleicht eine regelrechte Bildungsexplosion stattfinden. Von ihr könnten Schüler und Schülerinnen, aber auch die Lehrkräfte profitieren. Denn Lernen ist ja bekanntermaßen ein – wenn es gut läuft – lebenslanger Prozess.
  • Im nächsten Teil des Textes von Herder folgen dann die üblichen Behauptungen über die Herkunft und Entwicklung eines nicht geklärten Begriffes. Da es sich nur um Thesen handelt, die weder hergeleitet noch konkretisiert werden, ist auch dieser Teil allenfalls eine Anregung für einen guten Deutschunterricht.
  • Dann zählt Herder in demütiger Haltung alle möglichen Gruppen von Leuten auf, die Einfluss hatten. Und Einfluss scheint für ihn identisch zu sein mit Humanität. Wer auch nur ein bisschen die Geschichte der Menschheit kennt, weiß, dass das eher ein Sonderfall war. Ansonsten gilt wohl für die Mächtigen der Geschichte der schöne Satz:
    „Je höher man auf einer Leiter steigt, desto schmutziger werden die Hände.“ Natürlich nicht bei allen in gleicher Weise. Hier hätte der gute Herder gerne mal konkret ein paar Namen nennen können, damit wir wirklich etwas von ihm lernen können.
  • Am Ende des Textes von Herder dann noch eine Bemerkung, die wahrscheinlich witzig sein soll, die wir aber im Sinne des Kommunikationsquadrates von Schulz von Thun für keine gelungene „Selbstkundgabe“ halten – eher für den schwachen Abschluss eines schwachen Textes.
Konsequenzen für einen lehrreichen Deutschunterricht
  • Soviel also zum negativen Ausgangsstand:
    Wir finden es wichtig, dass man im Deutschunterricht nicht in erster Linie die Meinung über Texte thematisiert, sondern ihnen wirklich auf den Grund geht.
  • Denn für Schüler und Schülerinnen dürfte es eine wunderbare Erfahrung sein, dass auch große Geister nicht immer groß sind in dem, was sie von sich geben.
  • Das ermutigt nämlich eine nachwachsende Generationen,
    • alles zu prüfen,
    • das Gute zu behalten
    • und darauf aufbauend sich eigene Gedanken zu machen.
    • Das wäre dann Tradition im Sinne von Weitergabe von Kultur im besten Sinne des Wortes – keine 1:1-Weitergabe, sondern Weiter-Entwicklun.g
  • Wir werden uns hier jedenfalls um ein faires Urteil aus heutiger Sicht über Herders Humanitätsbegriff bemühen.
  • Dabei werden wir zum einen noch einen anderen wichtigen Text von ihm heranziehen und dann natürlich auch schauen, was der von uns hoch verehrte Rüdiger Safranski denn bei Herder Gutes gefunden hat.

Ausblick: Herders Bedeutung für die Romantik

Herders Bedeutung (Wissenschaft)

  • •Humanität verstand Herder als Wesenskern des Menschseins.
    Aufnahme von lateinisch: humanitas = Menschenfreundlichkeitspäter dann auch Mensch als Mittelpunkt der Kultur
  • Sie war aber etwas, was jeder Mensch in seinem Leben umsetzen muss (Bildungsprozess)
  • Geschichte wird verstanden als Prozess, der immer mehr Humanität hervorbringt (das führte zu Enttäuschungen wie bei der Aufklärung insgesamt).
  • Vielfalt der Völker und ihrer Kulturen (Sammlung von Texten)
  • Toleranz und Völkerverständigung
  • Insgesamt: Unterstützung der Bestrebungen um Menschenrechte, kulturelle Vielfalt und globale Verständigung.

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