Beispiel für die Analyse eines Roman-Auszugs :
- Im Folgenden geht es um die Analyse eines Auszugs aus dem Roman „Unter der Drachenwand“.
- Er ist Teil des Kapitels „Den ganzen Tag Schneegestöber“ und
- beginnt auf der EBook-Seite 123 mit den Worten „Noch zweihundert Meter vom Lager entfernt“
- und endet auf der EBook-Seite 126 mit den Worten „Die Bilder und Stimmen, die mich quälten, waren immer noch in der Nähe.“
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Aufgabenstellung:
Analysieren Sie den Textauszug im Hinblick auf die Situation des Protagonisten und seinen Austausch mit Nanni.
Die Textvorlage umfasst etwa 111 Zeilen.
Wir haben den Textauszug dem EBook entnommen, das wir gerne nutzen. Man findet dort einfach ganz schnell, was man sucht.
Als Quelle wird Folgendes angegeben:
– Unter der Drachenwand: Roman von Arno Geiger
https://lesen.amazon.de/kp/kshare?asin=B077JFHSW3&id=crkvfntuurejxb
Hier der Text, damit man die folgende Analyse auch nachvollziehen kann.
Mat7364 Textvorlage komplett
Falage
(Pseudonym eines Schülers, der uns seine Lösung, die uns sehr gefallen hat, erfreulicherweise zum Abdruck zur Verfügung gestellt hat.)
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Einleitung
Der Roman „Unter der Drachenwand“, geschrieben von Arno Geiger und Im Jahr 2018 veröffentlicht, lässt sich der jüngsten Gegenwartsliteratur zuordnen. Er erzählt die Geschichte von Veit Kolbe, einem Soldaten im Jahr 1944, der nach seiner Verletzung mit einem Kriegstrauma zu kämpfen hat. Während er sich in einer kleinen Gemeinde in Österreich erholt, erlebt er die Schrecken des Krieges aus der Ferne und entwickelt Beziehungen zu den Dorfbewohnern. Veit leidet zudem wiederholt unter Panikattacken und muss sich schließlich der Gefahr einer Wiedereinberufung stellen.
In der zu analysierenden Textstelle spaziert Veit am Mondsee entlang und erleidet einen Anfall, der ihn in die Kriegsschrecken zurückversetzt. Erst durch Nanni Schallers Zuspruch kann er sich beruhigen. Die Analyse fokussiert sich auf Veits psychische Verfassung und Nannis Verhalten
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Inhaltszusammenfassung
Inhaltlich lässt sich der vorliegende Text in vier Sinnabschnitte unterteilen. Im ersten Abschnitt (Z. 1-16) gibt Veit einen Einblick in seine Gefühlswelt, während er entlang des Ufers spaziert. So schildert er seine Einsamkeit und das Empfinden, durch den Krieg seiner Jugend beraubt worden zu sein. Während er zu Beginn seiner Zeit als Soldat davon überzeugt gewesen ist, endlich im Leben stehen, sieht er sich nun völlig unfähig, jemals wieder Liebe zu empfinden.
Im Folgenden (Z. 17-35) überkommt Veit ein psychischer Anfall und er durchlebt den Terror des Kriegs in Gedanken aufs Neue. Überwältigt durch die verstörenden Erinnerungen, welche sich mit der Furcht zu sterben vermengen, geht Veit schließlich zu Boden.
Im dritten Abschnitt (Z. 36-79) wird Veit durch das Mädchen Annemarie Schaller überrascht, welche ihn nach dem überstandenen Anfall beschwichtigt. Indem sie seine Hand hält und ihm mit sanften Worten zuredet, gelingt es Veit allmählich seine Atmung zu beruhigen. Es plagen ihn jedoch auch Selbstzweifel, seiner Situation nicht gewachsen zu sein.
Im vierten und letzten Abschnitt (Z. 81-110) zeigt Veit seine Dankbarkeit und fragt das Mädchen nach seinen Lebensumständen. Nanni erwidert, keine Freunde zu haben, und dennoch zu allen eine gute Kameradin sein zu wollen. Als Veit sie auf die Beziehung zu ihrem Cousin anspricht, scheint Nanni zunächst verlegen, offenbart Veit aber schließlich ihre Liebe und bittet ihn, ihre Mutter von der Bedeutung der Beziehung zu überzeugen.
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Deutungshypothese
Dem ersten Eindruck nach zeigt dieser Textauszug besonders Veits innerliche Zerrissenheit. Trotz seiner Bemühungen sich in das zivile Leben einzugliedern, gelingt es ihm nicht, den Krieg emotional hinter sich zu lassen. Stattdessen nimmt er ihm jedes Selbstvertrauen und belastet ihn zusätzlich durch die Schlagkraft der Anfälle. Auf der anderen Seite tritt Nanni als emotionaler Gegenpol in Erscheinung und kann Veit zumindest kurzfristig von seiner mentalen Belastung befreien. Für Veit ist diese Unterstützung besonders wichtig, da sich Nannis unbeschwerte Worte und fürsorgliche Gesten von der Rauheit des Kriegs abheben, und ihm so möglicherweise neue Hoffnung geben.
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Analyse des ersten Sinnabschnitts
Veit schildert das Erlebte als auktorialer Ich-Erzähler, wodurch eine authentische Perspektive entsteht. Gleichzeitig steht er dem Erzählten jedoch aus einer anderen zeitlichen Distanz gegenüber, was eine gewisse Reflexion und Distanz ermöglicht.
Bereits zu Beginn der Textstelle zeigt Veit in einem inneren Monolog Anzeichen seiner seelischen Unruhe. Er empfindet das Abklingen der fröhlichen Zurufe aus dem Lager Schwarzindien als bedrückend und führt sich so seine eigene Einsamkeit vor Augen. Das Lachen der Kinder weckt in ihm jedoch keine Wehmut an seine Jugend, sondern vielmehr Bedauern, dass diese durch den Krieg ein jähes Ende fand (vgl. Z. 1-5). Stattdessen erwähnt Veit die Belanglosigkeit der „Jahre in Uniform“ (Z. 7-8) und zeigt so metaphorisch, dass diese ihm keinen Lebenssinn geben konnten.
Distanziert betrachtet Veit außerdem die ursprünglichen Erwartungen an seine Jugend. Damals sei er gewiss gewesen, „leidenschaftlich“ (Z. 10) in die Welt zu treten und „Liebe“ (Z. 12) für das Leben empfinden zu können. Durch die wiederholte Verwendung der Plusquamperfekt form „gewesen war“ schafft Veit als Erzähler einen mehrstufigen Rückblick. Auf diese Weise wird die Erfüllung jener Hoffnungen für den Leser besonders unrealistisch dargestellt. Entsprechend gesteht sich auch Veit ein, dass diese der Vergangenheit angehören und sich nie realisiert haben. Bewusst nutzt Veit die ironische Formulierung „zum Ausbruch kommen“ (Z. 15) und impliziert somit, dass Individualität beim Militär keine Bedeutung hat
Stattdessen sieht Veit, die Fähigkeit Freude zu empfinden, nun als verkommen an und fasst den Schuldigen für diese Empfindung in dem generischen Personalpronomen „man“ zusammen (Z. 16). Dies verdeutlicht nicht nur seine verzweifelte Situation, sondern auch das Unvermögen das Erlebte zu reflektieren und emotional aufzuarbeiten.
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Analyse des zweiten Sinnabschnitts
Als Sinnbild für seine Verzweiflung ist die Pose, die er schließlich am Ufer einnimmt: Mit den Händen in er Manteltasche verborgen blickt er auf den weiten See hinaus (vgl. Z. 17-8). Die momentane Unentschlossenheit und Antriebslosigkeit symbolisieren so auch für seine allgemeine psychische Verfassung. Erneut besinnt sich Veit auf die verlorenen Jahre und bezeichnet diese bildlich als „pulverisiert“ (Z. 18). Auf diese Weise setzt er die verschwendete Zeit auch auf der semantischen Ebene in einen militärischen Kontext und zeigt seine verächtliche Sicht dem Krieg gegenüber.
Die Tatsache, dass Veit sich nicht von dem Gedanken an die verlorenen Jahre trennen kann, obwohl er sich gleichzeitig wünscht, in Mondsee einen Neuanfang zu starten, zeigt erneut seine innere Zerrissenheit auf (vgl. Z. 19).
Veits Selbstbewusstsein scheint nicht nur unter der Panikattacke selbst zu leiden, die ihn im Folgenden überkommt, sondern auch unter der Unvorhersehbarkeit, mit der sie zuschlägt. Während er zunächst ein Geräusch als Auslöser vermutet (vgl. Z. 20), zieht er ebenso seine eigene Stimmung in Betracht (vgl. Z. 21) und macht sich so indirekt selbst für den Anfall verantwortlich.
Aus erzählerischer Perspektive fällt besonders der abrupte Wechsel der Zeitformen auf: Während Veit den Anfall selbst im Präteritum schildert (vgl. Z. 20–25), äußert er die Vermutung zum Auslöser des Anfalls als Einschub im Präsens (vgl. Z. 20–21). Diese Technik macht Veit Kolbe als Erzähler besonders deutlich sichtbar und vermittelt dem Leser den Eindruck, dass ihn das Erlebte mental weiterhin beschäftigt.
Entsprechend wird auch der Anfall selbst in seiner gesamten emotionalen Schlagkraft geschildert. Die Metapher „Schacht namens Krieg“ (Z. 23) und der Vergleich „Wie eine Sturzwelle kamen die Bilder“ (Z. 23), verdeutlichen die Intensität der Kriegserfahrungen. Markant ist ebenfalls, dass die persönlichen Erlebnisse, wie etwa „der Kamin in Schytomyr“ (Z. 27) mit Veits noch bestehenden Ängsten in der Panikattacke verschmelzen. So berichtet Veit „alle Erniedrigungen des Sterbens“ zu erleben (Z. 24) und zeigt so, dass der Krieg auch zur Zeit des Erzählten noch eine akute Bedrohung darstellt. Darüber hinaus erstreckt sich die Wirkung des Anfalls nicht nur auf Veits Geist, sondern versetzt ihn parallel auch physisch zurück in den Krieg. So schnürt ihm die Attacke beispielsweise „die Luft ab“ (Z. 30) und er geht „in die Knie“ (Z. 32-33). Dass Veit den Gegenstand dieses Anfalls nicht vollständig verarbeitet hat, zeigt sich auch in seinem Schreibstil als Erzähler. Er spricht von einer „Anflutung von Bildern“ (Z. 33) und berichtet gleichzeitig „Es waren ungemein kraftvolle Bilder, während ich selbst in die Knie ging, in den Schnee, minutenlang“ (Z. 31-33). Auf der einen Seite wird durch diese Klimax zunehmende Intensität erzeugt und die Panikattacke wird eindrucksvoller dargestellt. Auf der anderen Seite erhält der Leser durch die elliptische Form den Eindruck, dem Erzähler schnürt das Erlebte auch zum Zeitpunkt des Schreibens noch „die Luft ab“ (Z. 30).
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Analyse des dritten Sinnabschnitts
Der nächste Sinnabschnitt markiert einen Bruch in der Erzählung: Veit überspringt die vollständige Darstellung des Anfalls und schildert stattdessen, dass ein Mädchen neben ihm steht. (vgl. Z. 36). Dieser plötzliche Übergang könnte Anzeichen davon sein, dass Veit die Schrecken dieser Panikattacke schlicht verdrängt hat, oder das Erzählen ihm auch während des Schreibens zu große Schrecken bereiten würde. Stattdessen begnügt er sich mit der metaphorischen Beschreibung „als es mir gelungen war, aus dem kalten Schacht wieder heraufzukommen‘ (Z. 36-37). Diese Formulierung deutet auf eine gewisse Passivität hin und verdeutlicht Veits mangelndes Selbstvertrauen, da er sich nicht als direkten Verursacher dieses Ergebnisses sieht, sondern das Gelingen als etwas betrachtet, das ihm widerfährt.
Veit empfindet die Präsenz von Nanni als beruhigend und scheint erleichtert, dass sie sein Verhalt nicht als sonderbar empfindet (vgl. Z 40-41). Er selbst ist so offenbar von der Unannehmbarkeit seines Anfalls überzeugt und zeigt so indirekt, dass auch er nicht unverschont von der Indoktrinierung durch das Militär geblieben ist. Mit der Intention, keine Schwäche zeigen zu wollen, nimmt Veit eine Hand von der Brust, um zu verdeutlichen, dass es ihm besser geht (vgl. Z. 43-44). Nanni hingegen verlässt sich auf ihren kindlichen Instinkt, und greift ungefragt seine Hand, um ihm emotional beizustehen (vgl. Z. 45-46). Veit empfindet diese unkonventionelle Art als beruhigend und fühlt nun offensichtlich keinen Scham mehr, sich über die Brust zu streichen (vgl. Z. 49-50).
Im gleichen Zug plagen Veit jedoch auch Selbstzweifel und er befürchtet, seiner Situation nicht gewachsen zu sein. Durch Veits rhetorische Fragen an sich selbst erhält der Leser einen direkten Einblick in seine Gefühlswelt (vgl. Z. 50-60). Erneut lässt sich eine klimaktische Struktur erkennen und Veit scheint sich emotional mitreißen zu lassen. Im Gegensatz zur ersten Klimax, ändert sich jedoch nicht das zeitliche Erzählverhältnis. Veit wirkt als Erzähler so distanzierter und gewinnt an innerlicher Stärke.
Nanni bildet einen emotionalen Gegenpol zu Veits irrationalen Befürchtungen und kann ihn mit den einfachen Worten „Es ist alles gut“ (Z. 60) beruhigen. Auf ihre Nachfrage „Ist es von der Lunge?“ (Z. 71) gibt Veit sogar den wahren Grund für seinen Anfall zu und scheint froh zu sein, sich jemandem anvertrauen zu können (vgl. Z. 71).
Nanni reagiert pragmatisch auf dieses Geständnis und fordert Veit auf, Traubenzucker zu sich zu nehmen (vgl. Z. 72). Während sie Ratschläge und Fragen zuvor nur in parataktischer Struktur formuliert hat, beantwortet sie Veits Frage ausführlich. Nicht nur zeigt sie so ihre offene Haltung, sondern lenkt so ebenfalls vom Ernst der Situation ab (vgl. Z. 85-90).
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Analyse des vierten Sinnabschnitts
Auf Veits Nachfrage erklärt Nanni schließlich „eine gute Kameradin“ sein zu wollen“ (Z. 90) und offenbart somit eine weitere Handlungsabsicht, die im Kontext des Kriegs steht und sich von einem freundschaftlichen Dienst abhebt.
Im letzten Sinnabschnitt geht Veit näher auf Nannis Situation ein und versucht mit der Aussage „Du hast es im Moment ja auch nicht ganz leicht“ (Z. 92-93) eine emotionale Verbindung zu schaffen. Der folgende Dialog zwischen Nanni und Veit wird von Veit als Erzähler wiederholt unterbrochen und kommentiert. Der Leser erhält jedoch kaum Einblick mehr in Veits Empfindungen, der Fokus liegt somit eindeutig auf Nanni.
Während Nanni zunächst verblüfft durch Veits Forschheit wirkt, öffnet auch sie sich und erklärt, sie sei verliebt (vgl. Z. 98). Veit selbst ist durch diese Direktheit irritiert und antwortet neutral „Nun ja, Verliebtsein ist etwas Schönes“ (Z. 100). Einerseits möchte er Nanni verhalten Mut zusprechen, ohne dabei irrationale Hoffnungen zu wecken. Andererseits zeigt Veits Unbeholfenheit jedoch auch, dass er durch die harten Jahre im Krieg selbst nicht mehr vertraut mit dem Konzept Liebe ist.
Nanni ist zunächst durch diese Aussage überfordert, entscheidet sich jedoch pragmatisch, Veits Zuspruch für ihre Zwecke zu nutzen, und bittet ihn, auch ihre Mutter zu überzeugen (vgl. Z. 105-107). Abschließend ist Veit wieder von den Nachwirkungen seiner Panikattacke eingenommen und geht nicht auf Nannis Bitte ein (vgl. Z. 105-110). Möglicherweise erschwert es ihm diese plötzliche Stresssituation, die Schrecken des Anfalls endgültig zu verdrängen.
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Zusammenfassung der Analyseergebnisse
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Veits psychische Verfassung und Nannis Verhalten im Roman in starkem Kontrast stehen. Veit wird als innerlich zerrissener Charakter dargestellt, der durch seine Kriegserfahrungen tief traumatisiert ist. Die erzählerischen Mittel, wie das wechselnde Erzählverhalten und eine bildhafte Sprache, unterstreichen seine Ängste und Unsicherheiten. Obwohl die Panikattacke durch Nannis beruhigendes Zureden abklingt, hinterlässt der Anfall und das damit verbundene Kriegstrauma einen tiefgreifenden Eindruck bei Veit.
Nanni selbst verkörpert Stabilität und zumeist emotionale Ruhe. Ihr pragmatisches Verhalten und ihre einfühlsame Art bieten Veit eine Form von Trost und unterstützen ihn dabei, seine Panik zu überwinden. Die schlichte, aber wirkungsvolle Sprache, die Nanni verwendet, unterstreicht ihren positiven Einfluss und zeigt, dass sie Veit eine gewisse Normalität bietet. Möglicherweise kann diese Begegnung Veit auch im weiteren Verlauf des Romans nachhaltig bestärken, und ihm das Gefühl geben, nicht allein mit seinen Sorgen zu sein.
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Infos, Tipps und Materialien zum Rroman „Unter der Drachenwand“
https://schnell-durchblicken.de/themenseite-roman-unter-der-drachenwand
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