Strobel, „Manu“ (Mat662mp3)

Strobel, „Manu“ – Kurzgeschichte richtig verstehen

In der mp3-Datei wird eine Kurzgeschichte vorgestellt, in der der Leser lange im Unklaren darüber gelassen wird, was für ein zweites Leben eine Bankangestellte führt. Umso überraschender dann die Auflösung.
Weiter unten dann das Transkript, das wir noch ein bisschen optimiert haben.
  1. So, heute geht es um eine besonders interessante Kurzgeschichte. Sie trägt den Titel Manu.
  2. Das soll hier ein Frauenname sein und ist von Arno Strobel.
  3. Schauen wir uns die Geschichte mal ganz kurz an, welche Signale da aufgebaut werden, um hinterher etwas über die Aussage der Geschichte sagen zu können.
  4. Das beginnt damit, dass Irmgard, die Hauptfigur es geschafft hat. So heißt es. Sie macht ihre „Tagesendverarbeitung“. Das heißt: Sie befreit sich von Kreditanträgen, Termingeldern, Überweisungsträgern und schimpfenden Kunden. Sie ist also offensichtlich eine Bankangestellte.
  5. Und sie lebt in zwei Welten. Die eine Welt ist klar und dicht, liegt hinter ihr und die andere Welt, die bleibt erstmal im Ungefähren.
  6. Das ist das Besondere. Darauf gehen wir gleich noch genauer ein. Auf jeden Fall sind diese beiden Welten sehr unterschiedlich und sie versteht diesen Austritt aus der ersten Welt wie das Durchschreiten eines kleinen Tores, einer winzigen Öffnung in der chinesischen Mauer zwischen der Welt von Irmgard Kindel, so heißt sie also mit ihrem bürgerlichen Namen, und der Manus. Das heißt: Manu ist der Name für das, was sie so nebenbei betreibt.
  7. Lassen wir das mal auch offen, um die Spannung zu erhalten.
  8. Dann im zweiten Teil der Geschichte verlässt der Filialleiter auch noch die Bank und das gibt seiner Bankangestellten dann Gelegenheit drüber nachzudenken, was ihre männlichen Kollegen wohl sagen würden, wenn sie wüssten, was sie heimlich so noch treibt.
  9. Viele Leser werden jetzt mehr und mehr auf dem Tripp sein, dass es sich in der anderen Welt um etwas ganz ganz Schlimmes, etwas ganz Schreckliches handelt, was man verstecken muss.
  10. Und wenn dann auch noch die Rede ist von einem engen Korsett, einem Keller, Leidenschaft und dazu passenden Gerätschaften dann geht das alles scheinbar in eine dunkle Richtung. Immerhin hat sie auch noch einen Manager namens Klaus, der schafft ihr da Leute ran, der akquiriert Leute.
  11. Heute erwartet sie einen Benno von Diemeier, einen steinreichen Bauunternehmer, dem man das gar nicht zutrauen würde.
  12. Da spätestens hat man den Eindruck, dass es sich bei dieser Frau wohl um so etwas wie eine Domina handelt, die seltsame Sexpraktiken mit ihren Kunden betreibt.
  13. Auch von innerer Unruhe ist dann noch die Rede, so dass man das Gefühl hat, da kommt wirklich etwas Besonderes auf sie zu.
  14. Und dann wird die Geschichte plötzlich unterbrochen. Zwei Wochen später ist man plötzlich in einem großen Raum mit leisem Gemurmel, gut gekleideten Frauen und Männern und die stehen vor Plastiken, also vor dem, was Bildhauer schaffen, und diskutieren über die Botschaft, die sie übermitteln sollen und über die bewundernswerte geheimnisvolle Künstlerin.
  15. Das ist genau jetzt diese Manu und irgendwann erhebt Benno von Dimeier seine Stimme, also der Typ, der abends zu dieser Bankangestellten gekommen ist, die heimlich noch was anderes betreibt.
  16. Er bittet um Ruhe und sagt, er sei hoch erfreut, diese Ausstellung eröffnen zu können. Und die begnadete Künstlerin, das wisse man ja, wolle inkognito, also geheim bleiben, er könne aber verraten, dass sie an diesem Abend unter ihnen weile.
  17. Da kommt natürlich Gemurmel auf im Saal, jeder guckt jeden an und fragt, ob der es wohl ist.
  18. Irmgard nutzt aber einfach die Gelegenheit, um sich zufrieden auf den Heimweg zu machen.
  19. Dort zieht sie wieder ihren Arbeitsanzug im Keller an, um die neue Skulptur mit einem Schweißgerät anzugehen.
  20. Anscheinend arbeitet sie mit Metall und gibt ihm so den den letzten Schliff.
  21. Das ist ja wohl eine ganz überraschende Auflösung. Diese Frau ist keine Domina, was man als Leser so erwartet hat. Vielmehr ist sie Bildhauerin, die aus irgendeinem Grunde heimlich arbeiten möchte.
  22. Das ist nicht so ganz überzeugend und man hat auch schon den Eindruck so, dass der Verfasser den Leser gerne auf eine falsche Fährte geführt hat.
  23. Da werden ja alle möglichen Signale gesetzt, die in eine falsche Richtung gehen.
  24. Das ist nicht ganz unproblematisch, aber natürlich sehr unterhaltsam und auch eine schöne Sache, wenn man hier plötzlich mit den eigenen Vorurteilen konfrontiert wird.
  25. Auf jeden Fall wird hier als Aussage ganz eindeutig klar, wie wichtig ein zweites Leben ist.
  26. Die meisten Menschen brauchen wohl neben dem sogenannten Brotberuf noch etwas anderes, das man durchaus als zweites Leben bezeichnen kann.
  27. Und die Geschichte zeigt eben, dass es wirklich anscheinend auch ganz hervorragend gehen kann, denn diese Bankangestellte freut sich ja den ganzen Arbeitstag lang auf den Abend. Sie ist dann deutlich weniger kaputt als andere, nach der Arbeit höchstens Entspannung vorfinden, aber nichts, was sie in eine ganz andere Welt führt.
  28. Ob so etwas heimlich geschehen muss, darüber kann man sicher streiten.
  29. Aber entscheidend ist die doppelte Zufriedenheit, nämlich die bei der Arbeit und die, wenn man die Reaktion der Leute sieht.
  30. Vielleicht ist das der Grund für das Inkognito – dass sie eine ehrliche Reaktion sehen möchte, ohne dass sie dabei angestarrt wird.
  31. Fast könnte man den alten Satz abändern in: „Die Lady genießt und bleibt unsichtbar.“
  32. Hinzufügen möchten wir nachträglich, dass gerade Leute in der Schule sich fragen sollten: Was für ein zweites Leben könnte ich führen oder würde ich gerne führen. Das ist doch eine schöne Anregung, um kreativ zu werden.

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