5-Minuten-Tipp zu: Thomas Kling, „Manhattan Mundraum“ II im Vergleich zur ersten Variante

Gefunden haben wir dieses interessante Gedicht hier:

Lyrik nach 1945, Erarbeitet von Norbert Schläbitz, Schöningh 2007, S. 120
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3140223799

Was einem beim Verständnis helfen kann:

  • Das Gedicht „Manhattan Mundraum II“ wurde 2002 veröffentlicht.
  • Es setzt sich erneut mit Manhattan als Sprach- und Wahrnehmungsraum auseinander, nutzt jedoch eine andere Bildsprache als die erste Version.
    Die erste Version haben wir hier kurz vorgestellt:
    https://schnell-durchblicken.de/thomas-kling-manhattan-mundraum
  • Das Gedicht besteht aus drei Abschnitten mit freier Versform.
  • Es weist keine klassische Metrik oder Reimschema auf,
  • sondern arbeitet (wie die andere Variante) mit
    • Enjambements,
    • Unterbrechungen
    • und einem fragmentierten Sprachfluss.
  • Inhaltsbeschreibung:
    • Erste Strophe (Z. 1–3) :
      • Die Stadt wird als „toter Trakt“ bezeichnet, was auf eine sterile oder entseelte Umgebung hingewiesen wird.
      • „Ein Algorithmen-Wind“ verweist auf eine technologische oder digitalisierte Welt.
      • Die Wahrnehmung wird mechanisiert: „stetig das loopende Auge“ könnte für ständige Überwachung oder eine endlose Wiederholung der Wahrnehmung stehen.
    • Zweite Strophe (Z. 4–6) :
      • Das Wort „Loop“ wird ambivalent verwendet: Es kann eine Schraube oder eine Lupe sein, also etwas, das sich windet oder etwas.
      • Die Schraube bewegt sich „aus dem Off“ – dies könnte für eine unsichtbare, äußere Kraft stehen, die in den Wahrnehmungsraum eingreift.
    • Dritte Strophe (Z. 7–10) :
      • Die Sprache wird erneut als Material beschrieben: „zungen-, in manhattan-zeugenschrift“.
      • Der Begriff „Zeugenschrift“ könnte auf eine dokumentierende oder berichtende Funktion der Sprache hinweisen.
      • „Alles aus / alles so gut wie aus / erster geloopter Hand“ – Hier scheint sich die Wahrnehmung durch endlose Wiederholung zu verzerren oder durch Algorithmen geprägt zu sein.
  • Mögliche Aussagen des Gedichtes: Das Gedicht zeigt …
    • … Manhattan als einen Raum der Wiederholung, Kontrolle und algorithmischen Strukturierung.
    • Wahrnehmung ist nicht mehr individuell, sondern durch Technologie und Wiederholungsmechanismen beeinflusst.
    • Sprache wird zu einem Zeugnis dieser veränderten Wahrnehmung, aber auch zu einem Medium der Verfremdung.
  • Sprachliche und rhetorische Mittel
    • Metaphern : „Algorithmen-Wind“ (technologisierte Umgebung), „loopendes Auge“ (ständige Wiederholung oder Überwachung).
    • Mehrdeutigkeit : „Loop“ als Schraube und Lupe – weist auf das doppelte Wesen der modernen Wahrnehmung hin (mechanische Kontrolle vs. Fokussierung).
    • Fragmentierte Syntax : Unterstützt das Gefühl einer zersplitterten Realität.

Vergleich mit „Manhattan Mundraum“

Aspekt „Manhattan Mundraum“ (1996) „Manhattan Mundraum II“ (2002)
Thematischer Fokus Stadt als Sprachraum, Dynamik und Restriktion Wahrnehmung als algorithmisch geprägter Loop
Sprachbild Mund, Zunge, Sprache als Baumaterial Loop, Schraube, Lupe – Wahrnehmung als Mechanismus
Hauptmetaphern Mundraum, Stadtzunge, Maulsperre Loopendes Auge, Algorithmen-Wind, Zeugenschrift
: Einen Kommentar hinterlassen Die Sprache ist formbar, aber auch eingeschränkt Wahrnehmung wird durch digitale Strukturen verändert
Struktur Fragmentiert, aber mit einer klaren Thematik Noch abstrakter und technisch geprägt

Fazit des Vergleichs

  • Während „Manhattan Mundraum“ noch stark mit organischen Metaphern arbeitet (Zunge, Mund, Sprache als Material), bewegt sich „Manhattan Mundraum II“ in eine digitalisierte Wahrnehmungswelt.
  • Das erste Gedicht zeigt Manhattan als lebendigen, aber auch begrenzten Sprachraum, das zweite rückt die algorithmische Kontrolle und Wiederholung in den Mittelpunkt.
  • Beide Texte haben eine fragmentierte, also bruchstückhafte Sprache, aber „Manhattan Mundraum II“ ist noch abstrakter und technischer.
  • Insgesamt könnte man sagen:
    Thomas Kling entwickelt in „Manhattan Mundraum II“ die Thematik weiter: von der Stadt als Sprachraum hin zu einer Wahrnehmung, die durch Algorithmen und Loops geformt wird. Dadurch wirkt das zweite Gedicht distanzierter und konzeptioneller als das erste.

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