Ungewöhnliche Verbindung – Goethes „Iphigenie“ und das Verhältnis von Religion und Humanität (Mat7266)

Worum es hier geht:

Vor kurzem wurden wir mit einer ungewöhnlichen These im Hinblick auf Goethes „Iphigenie auf Tauris“ konfrontiert:

Die Aufgabenstellung wurde in zwei Varianten präsentiert:

Einmal als These:
„Echte Humanität geht nur ohne Religion“!?

Und dann als Frage:
„Kann echte Humanität ohne Religion existieren?“ Die Frage sollte mit Blick auf Goethes „Iphigenie auf Tauris“ geklärt werden.

Was man dazu sagen kann:, ohne Experte zu sein
  • Wir kennen Goethes Werk und haben und immer für den Barbarenkönig Thoas eingesetzt. Unserer Meinung nach ist er nicht nur ein Beispiel für die Annahme der griechischen Kultur, die im Werk offensichtlich als vorbildlich präsentiert werden soll.
  • Jedes literarische Werk enthält ja mehr, als der Dichter hineinlegen wollte. So kamen wir auf den Gedanken, dass nicht nur oder gar allein Iphigenie hier zur „schönen Seele“ im Sinne Schillers wird. Natürlich wagt sie in einer entscheidenden Situation den Sprung in die Wahrheit und verlässt den Weg von Heimlichkeit und Lüge. Aber das größere Opfer bringt Thoas:
    • Er verzichtet weiter auf das traditionelle Menschenopfer,
    • verzichtet auch auf weitere segensreiche Tätigkeit der Priesterin
    • und lässt am Ende die Griechen nicht nur widerstrebend gehen, sondern ringt sich zu einem echten einvernehmlichen Abschied durch.
    • Als Barbar im Sinne des Griechenfreundes Goethe zeigt er damit den größten Zuwachs an Bildung im Sinne von Humanitätsbewusstsein.
  • Damit sind wir bei der Frage:
    • Uns geht es hier nicht um eine der heutigen Religionen, sondern wir verstehen die Frage so, dass Thoas seine innersten Überzeugungen und Traditionen opfern muss, um dieses Happy End zu ermöglichen.
  • Aber es geht noch um mehr:
    Das war aber für uns nicht der eigentliche Grund für diese Seite. Uns fiel nämlich in diesem Zusammenhang ein Fall ein, der 2014 im Spiegel vorgestellt wurde.

    • Da zeigte nämlich der ganz reale Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, eine ähnliche Bereitschaft zur Veränderung der eigenen Position im Sinne von Humanität.
    • Zur traditionellen Haltung der christlichen Kirchen gehört nämlich auch die Überzeugung, dass man nicht selbst seinem Leben ein Ende setzen darf.
    • Dennoch hat dieser Mann sich durchgerungen, seiner unheilbar krebskranken Frau „auch dann zur Seite“ zu „stehen“, wenn sie das „Geschenk des Lebens an Gott zurückgeben“ will.
    • Es wäre – wie er sagt: „zwar völlig gegen meine Überzeugung, und ich würde es sicher noch mit Anne diskutieren. Aber am Ende würde ich sie wohl gegen meine Überzeugung aus Liebe begleiten.“
  • Was kann man all dem entnehmen?
    • Eine Religion und überhaupt jede feste Überzeugung ist erst mal etwas Gutes, was dem Leben Stabilität gibt und Sinn verleihen kann.
    • Aber Humanität bedeutet eben im Sinne der Aufgabe, dass man sich im Zweifel für den leidenden Menschen entscheidet.
    • Nur so verstehen wir die These bzw. die Frage. Es geht nicht gegen die Religion, ganz gleich in welcher Form, sondern es geht darum, dass man sich im richtigen Moment für das Menschliche entscheidet.
    • Und in diesem Sinne werden wir diesen Nikolaus Schneider nie vergessen und wollen ihm hier gerne ein kleines Denkmal setzen.

Fazit:
Insgesamt war das ein schönes Beispiel, dass der Umgang mit guter Literatur eigentlich endlos ist – weil es immer wieder neue Interpretationen gibt, auch wenn sie wie hier nur eine Detail-Frage betreffen – aber eine mit großer Bedeutung.

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