Ungewöhnlicher Vergleich: Gretchentragödie aus Goethes „Faust“ und eine Parabel Kafkas (Mat2239)

Aufgabe: Gretchen-Tragödie mit einer Erzählung Kafkas vergleichen

Nehmen wir mal an:

  • Man hat Goethes “Faust” besprochen und dabei besonders die Gretchen-Tragödie
  • Und man ist auf die Parabeln von Kafka eingegangen.
  • Gibt es da eine Parabel, die man mit der Gretchen-Tragödie vergleichen kann?

Schritt 1: Sich die Gretchen-Tragödie klarmachen

  • •Einfache junge Frau, die aber Faust gut abblitzen lassen kann.
  • •Einfache Verhältnisse, sehr fleißig zu Hause, enge moralische Vorstellungen
  • •Mephisto bringt sie und den Faust nach der Hexenküche zusammen.
  • •Der ist von ihr beeindruckt.
  • •Gretchen von ihm auch.
  • •In der Religionsfrage = Differenzenund Gretchen durchschaut Mephisto
  • •lässt sich aber dann doch auf Liebesnacht ein
  • •Mutter stirbt durch Schlaftrunk
  • •Bruder stirbt im Kampf mit Faust
  • •Wird von Faust allein gelassen, der ist mit Mephisto unterwegs
  • •Bringt ihr Kind allein zur Welt und tötet es.
  • •Am Ende im Kerker – vor der Hinrichtung – wahnsinnig – Faust kann sie nicht retten.
  • •Fazit: Opfer einer anscheinend unmöglichen Liebe

Schritt 2: Sich Kafkas Parabeln klarmachen

  • Gleichnisartige Erzählungen= Bildteil von Parabeln
  • Sachteil fehlt
  • Viel spricht dafür, dass der Sachteil die Situation und das Schicksal des Menschen in unterschiedlichen Situationen ist
  • meistens eine aussichtslose Situation
  • passt zur Gretchen-Tragödie
  • Die beste suchen:
    Gute Infos:
    https://textaussage.de/kafka-die-wichtigsten-parabeln

Schritt 3: Prüfung der Parabeln „Kleine Fabel“ und „Der Schlag ans Hoftor“

  • “Kleine Fabel” = zeigt Ausweglosigkeit, aber zu kurz
  • “Schlag ans Hoftor” = interessant
  • Ich-Erzähler mit Schwester auf dem Heimweg
  • Schwester schlägt ans Hoftor – mehr oder weniger
  • Leute im Dorf = ganz besorgt, gleich beginnt Untersuchung
  • Ich-Erzähler unbesorgt
  • Leute = steigern das noch: Er werde auch angeklagt.
  • Schickt Schwester schon mal weg
  • Sieht tatsächlich eine ferne Staubwolke mit Reitern
  • Fragen nach Schwester
  • Interessieren sich dann aber nur für ihn
  • Ich-Erzähler glaubt, als Städter bei diesen Leuten leicht durchzukommen.
  • Soll in die Bauernstube eintreten – sieht eher aus wie eine Folterkammer
  • Richter sagt: “Dieser Mann tut mir leid”.
  • Ich-Erzähler hat keine Hoffnung mehr.
  • Fazit: Mensch ist einer höheren Macht ausgeliefert, die unerklärch, willkürlich zugreift.

Tipps für den Vergleich

  • Grundsatz: Auch Nicht-Übereinstimmendes ist festzustellen.
  • Tipp: Am besten von der Reihenfolge der Parabel ausgehen
  • —————————————————————————–
  • In beiden Fällen: Anfang = Normalität
  • Dann Bruch damit: Kafka = Kleinigkeit
  • Gretchen: etwas Großes = Liebe
  • Gefahr – Bedrängnis: in beiden Fällen,
  • Kafka = nicht nachvollziehbar
  • Gretchen = verbunden mit Liebe
  • Zuspitzung der Situation:
  • Kafka = nicht nachvollziehbar
  • Gretchen wohl
  • Am Ende = Hoffnungslosigkeit:
  • Kafka = immer noch unerklärlich
  • Gretchen entsprechend der Situation
  • Unterschied: Stimme von oben: “Ist gerettet”
  • Fazit: Gemeinsam ist das Schicksal
  • Gretchen = persönliches Schicksal mit Schuld bei Gesellschaft und besonders bei Faust und ein größerer, göttlicher Rettungszusammenhang Idealismus der Klassik
  • Kafka = unerklärlicher, nicht nachvollziehbarer Schlag einer höheren Macht, vgl. “Der Prozess”Mensch ist dem ausgeliefert.

Was man sich merken könnte…

  1. Erst mal den Ausgangstext (hier: ”Der Schlag ans Hoftor” sorgfältig analysieren,vielleicht schon mit Blick auf die zweite Aufgabe
  2. Dann die einzelnen Punkte des Textes im Hinblick auf den 2. Text (Faust, Gretchen) durchprüfen
  3. Dabei nicht nur Gemeinsamkeiten suchen, Unterschiede zählen auch.
  4. Am Ende: Das wesentliche auf den Punkt bringen:Hier: Die Ausweglosigkeit, vielleicht sogar Sinnlosigkeit der Situation des Menschen heute im Vergleich zum Idealismus der Klassik:Konzentration auf das Zitat: Der Herr zu Mephisto über Faust:“Nun gut, es sei dir überlassen! / Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab, / Und führ‘ ihn, kannst du ihn erfassen, / Auf deinem Wege mit herab, / Und steh beschämt, wenn du bekennen musst: / Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange / Ist sich des rechten Weges wohl bewusst.
  5. Das gilt auch für Gretchen, die auf ihre Weise mindestens so sehr auf dem rechten Weg ist wie Faust – sogar noch mehr – denn der ist am Ende von Faust I noch nicht gerettet.
  6. Für den Menschen bei Kafka gibt es diese “göttliche Rückversicherung” nicht mehr.Er ist auf sich allein gestellt und muss sein Schicksal für sich erleiden.

Nachtrag: Kafkas Parabel „Der Geier“ – eine Alternative?

  • In einer Klausur ist die Gretchentragödie mit Kafkas Parabel „Der Geier“ verglichen worden.
  • Schauen wir uns das mal kurz an.
  • Wir selbst haben uns mit dieser Parabel näher auf der folgenden Seite beschäftigt:
  • http://schnell-durchblicken2.de/kafka-der-geier
  • Dort geht es um einen Geier, der dem Ich-Erzähler die Füße zerhackt.
  • Es kommt ein Herr vorbei, der die naheliegende Frage stellt, warum der Ich-Erzähler sich nicht wehrt.
  • Die Reaktion entspricht ansatzweise dem Verhalten des alten Mannes in „Vor dem Gesetz“, der auch nicht alles versucht, um sein Ziel zu erreichen, sondern vor der vermeintlichen Stärke der Gegenseite kapituliert.
    Erinnert wird man hier auch an Brechts Parabel „Der hilflose Knabe“, wo jemand die Situation des Kindes sogar ausnutzt.
  • Der Herr greift dann auch nicht direkt ein, sondern bringt ein Gewehr ins Spiel, das er aber erst holen muss.
  • Kaum ist der Herr weg, vollendet der Geier, der aus Sicht des Opfers wie ein Mensch das Gespräch angehört und kurz abgewartet hat, sein Vernichtungswerk am Ich-Erzähler.
  • Rätselhaft ist dessen Schlussbemerkung, der sich „befreit“ fühlt, während der Geier in seinem Blut ertrinkt.

Frage des Vergleichs mit der Gretchen-Tragödie:

  • Sinn macht das ja wohl nur, wenn der Ich-Erzähler in Kafkas Parabel gleichgesetzt wird Gretchen,
  • das sich angeblich nur zerhacken lässt, während es von Goethe ja als jemand gezeichnet wird, der wirklich liebt und eher zerrissen wird von den Verhältnissen.
  • Dann die Frage, wer der vorbeikommende Herr in der Gretchentragödie sein könnte: Die Mutter passt genauso wenig wie die Gesellschaft allgemein, denn niemand weiß ja etwas von der heimlichen Verbindung mit Faust.
  • Mephisto passt auch nicht, denn der verspricht ja nicht einmal Hilfe, sondern erklärt ganz offen seine Freude angesichts des Leidens von Menschen.
  • Auch das Gefühl des Befreitseins am Ende passt nicht. Gretchen leidet bis zum Schluss und bekommt nur den Rettungsspruch von oben.
  • Insgesamt zeigt diese Geschichte nur ansatzweise und scheinbar Vergleichsmöglichkeiten.
  • Vor allem aber übersieht sie die zentrale Regel der Parabel, dass sie eben kein Gleichnis ist, bei dem man alle Teile der Sach- und der Bildseite miteinander abgleichen kann. Vielmehr kommt es auf den „gemeinsamen Punkt“, letztlich also den intentionalen Kern an.
  • Und der ist kaum vergleichbar:
  • Hier in der Parabel die relative Hilflosigkeit gegenüber einer zudringenden Gewalt, ohne jedes positive Gegengewicht, wie sie die Liebe eben doch gewährt.
  • Bei Gretchen ein leider typischer Ablauf eine Liebesbeziehung dieser Art in früheren Zeiten. Die Verhinderung auch nur der Möglichkeit, eine Beziehung auszuprobieren, einfach weil die Gesellschaft keine „unordentlichen“ Verhältnisse zulässt.
  • Dazu kommt das Problem von doch sehr unterschiedlich strukturierten und auch kontextualisierten Figuren, die eine glückliche Verbindung zusätzlich unwahrscheinlich machen.
  • Was den Schluss der Parabel angeht, sei noch einmal darauf hingewiesen, dass Gretchen sich keineswegs von sich aus „befreit“ fühlt. Auf der anderen Seite ertrinkt der Täter, also Faust, nicht in ihrem Untergang, sondern verschwindet wieder mal mit Mephisto und erlebt zu Beginn des zweiten Teils einen doch recht schnell und umfassend funktionierenden Heilschlaf.
Fazit:

Vor diesem Hintergrund erscheint „Der Schlag ans Hoftor“ doch deutlich ergiebiger für einen Vergleich mit der Gretchentragödie.

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