An zwei Gedichten den Unterschied sehen zwischen Klassik und Romantik
Es geht zum einen um Schiller, „Die Worte des Glaubens“
http://www.zeno.org/Literatur/M/Schiller,+Friedrich/Gedichte/Gedichte+(1789-1805)/Die+Worte+des+Glaubens
und um Eichendorff, „Abschied“
Quelle: Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 67-68.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20004734793
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Gleich ein entscheidender Unterschied
- Typisch für die Klassik, dass Schiller gleich am Anfang die Haltung eines Weisheitslehrers einnimmt, die Informationsrichtung geht von oben nach unten.
- Bei Eichendorff ist es ein Wort, das im Wald geschrieben steht. Der Wald steht natürlich für die Natur und das ist ein ganz anderer Ansatz als bei Schiller, der seine Lehren aus sich selbst holt und behauptet, jeder trage das im Herzen (4). Letztlich typischer Idealismus: Er nimmt etwas an, was erst überprüft und ggf. relativiert werden müsste.
- Man hat hier also ein typisches Gedankengedicht oder auch Lehrgedicht. Dort gibt es eine Menge Thesen und Aufforderungen.
- Am problematisch ist die Feststellung in den Zeilen 5 und 6
„Dem Menschen ist aller Wert geraubt, / Wenn er nicht mehr an die drei Worte glaubt.“
So etwas löst bei vielen Menschen automatisch einen Protest gegen einen Überwältigungsversuch aus.
Dazu kommt der Eindruck einer sehr simplen, weil: manichäischen (Es gibt nur zwei gegensätzliche Möglichkeiten) Unterscheidung von schwarz und weiß.
Schillers „drei Worte“
- Das erste Herz-Wort „Freiheit“ in der zweiten Strophe enthält eine schöne Behauptung, die aber all den Menschen nicht hilft, die aus ihren Ketten nicht herauskommen.
- Bedenklich und passend zur Grundhaltung ist dann natürlich der Hinweis auf das „Pöbels Geschrei“. Man fragt sich wirklich, was diese Beschimpfung hier soll und wer gemeint ist. Auf jeden Fall eines Klassikers in der Form unwürdig.
- Im selben Stil geht es weiter, wenn von der „Tugend“ die Rede ist. Auch hier nur Behauptungen, Zielvorstellungen, bei denen der Weg dorthin nur schwach angedeutet wird.
- Etwas seltsam bei einem solchen Gedankengedicht sind die beiden Zeilen 17 und 18. Da tut Schiller plötzlich so, als würde er sich auf die Seite des Kindlichen stellen. Damit ist eine sehr seltsame Erziehungsvorstellung verbunden.
Im Endeffekt würde das bedeuten, dass da, wo die Lehrkraft etwas nicht mehr versteht, die „Einfalt“ der Schüler zu Hilfe kommt.
„Und was kein Verstand der Verständigen sieht, / Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt.“ - Auch beim dritten Wort, nämlich „Gott“, beziehungsweise „heiliger Wille“, gibt es nur Behauptungen, die mit der realen Betrachtung der Naturgeschichte (Erdbeben von Lissabon) und der Geschichte (Hunderttausende Tote der napoleonischen Kriege) wenig zu tun hat.
- Am Ende dann etwas, was wir weiter oben vergessen haben, denn in Zeile 4 ist die Rede davon, dass diese drei Worte aus dem Herzen kommen. Das wird am Ende etwas abgewandelt zum „Inneren“, geht aber in die gleiche Richtung.
- Hier greift Schiller auf ein Element der Epoche des Sturm und Drang zurück, das auch in der Romantik eine Rolle spielt. Aber insgesamt wirkt das angesichts der gesamten Predigt des lyrischen Ichs doch etwas randständig und isoliert.
- In dem Zusammenhang sei noch mal drauf hingewiesen, auf welch schwachem Boden Schiller hier argumentiert. Bei diesem Gedicht ergeben sich jede Menge kritische Nachfragen.
Das Eichendorff-Gedicht zum Vergleich
- Schauen wir uns im Vergleich dazu das Gedicht von Eichendorff jetzt noch genauer an. Gleich am Anfang hat man einen klaren und nachvollziehbaren Gegensatz zwischen der Welt des Waldes und der geschäftigen Welt.
- Im Vergleich zu den theoretischen Überlegungen Schillers gibt es in der zweiten Strophe bei Eichendorf ein persönliches Erlebnis in der Natur, das man in seiner Anschaulichkeit sehr gut nachvollziehen kann.
- In der dritten Strophe dann der schon angesprochene Hinweis, dass ein natürliches Leben im Wald oder allgemein der Natur ein “ernstes Wort“ finden lässt. Im Unterschied zu dem nicht konkretisierten Begriff „Tugend“ bei Schiller wird das hier gleich mit dem „lieben“ verbunden. Und statt irgendeinem überirdischen oder außergewöhnlichen Gott ein besonderes Sinnsystem zuzuschreiben, ist hier nur davon die Rede, dass der Mensch im Wald eine gewisse Heimat findet.
- Dann auch sehr interessant: Das dröhnt hier alles nicht wie bei Schiller von oben herab, sondern Eichendorffs Feststellungen ergeben sich aus intensiver Beschäftigung mit der Natur und werden so als Teil des eigenen Wesens deutlich und eher nachvollziehbar.
— - Die Schlussstrophe geht dann wieder auf den Anfang ein, nämlich den Gegensatz zwischen dieser Welt des Waldes und der geschäftigen Welt. Die wird jetzt hier vor allem mit dem Aspekt der Fremdheit, des Bunten und des Schauspielartigen verbunden. Und am besten versteht man Letzteres wohl im Sinne von Show, was wohl auch das Element des Unechten, Unnatürlichen enthält.
- Ganz am Schluss dann der Glaube daran, dass die Welt des Waldes und seiner Lehren einen auch in der Welt des geschäftigen Lebens bewahren kann und einen aus Einsamkeit erhebt.
- Ganz am Ende der plötzliche Hinweis auf den Wald als eine Art Jungbrunnen, was sich mit Sicherheit auf das Seelische bezieht.
- Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Eichendorff letztlich damit auffordert, sich wirkliche Kindheit zu bewahren, während bei Schiller nicht sehr überzeugend Kindlichkeit plötzlich mehr leisten soll als seine Predigt.
Zusammenfassung
- Insgesamt zeigen die beiden Gedichte gut die Unterschiede und zum Teil den Gegensatz zwischen der Weimarer Klassik (hier besonders in der Schillerschen Ausprägung des Theoretischen) und der Romantik.
- Bei Schiller haben wir ein reines Gedanken Gedicht mit vielen idealistischen Behauptungen, denen man vor allen Dingen in der radikalen Variante der Wertbestimmung des Menschen nicht so einfach folgen kann.
- Bei Eichendorff dagegen gibt es eine tiefe Naturerfahrung, die das lyrische Ich offensichtlich nicht nur behauptet, sondern zu leben scheint.
- Bezeichnend ist, dass das Wichtigste der drei Worte Schillers, Gott, recht distanziert von Menschen über allem schwebt, während es sich bei Eichendorff in der Natur erleben lässt.
Zwei Ergänzungen zu Schillers „Tugend“
- Zu Schillers hochfahrender Behauptung:
- „Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall, / Der Mensch kann sie üben im Leben“
- kann man sehr schön zwei Zitate heranziehen, die deutlich machen, dass das im konkreten Leben vielfach nicht gilt.
- Da ist zum einen das berühmte Zitat aus der Dreigroschenoper Bertolt Brechts, das man zum Beispiel hier finden kann.
Dort heißt es – und es stimmt natürlich, ganz gleich, wer das sagt:
„Ihr Herrn, die ihr uns lehrt, wie man brav leben / Und Sünd und Missetat vermeiden kann / Zuerst müsst ihr uns was zu fressen geben / Dann könnt ihr reden: damit fängt es an. / Ihr, die ihr euren Wanst und unsre Bravheit liebt / Das eine wisset ein für allemal: / Wie ihr es immer dreht und wie ihr’s immer schiebt / Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. / Erst muss es möglich sein auch armen Leuten / Vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden. - Und in Büchners Dramenfragment „Woyzeck“ beantwortet der arme und unterdrückte einfache Soldat seinem Hauptmann die Frage nach der Moral wie folgt:
„HAUPTMANN.
Woyzeck Er hat keine Tugend, Er ist kein tugendhafter Mensch. Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg, wenn’s geregnet hat und den weißen Strümpfen so nachsehe wie sie über die Gassen springen, – verdammt Woyzeck, – da kommt mir die Liebe. Ich hab auch Fleisch und Blut. Aber Woyzeck, die Tugend, die Tugend! Wie sollte ich dann die Zeit herumbringen? ich sag‘ mir immer: Du bist ein tugendhafter Mensch, Gerührt. ein guter Mensch, ein guter Mensch.
WOYZECK.
Ja Herr Hauptmann, die Tugend! ich hab’s noch nicht so aus. Sehn Sie, wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt einem nur so die Natur, aber wenn ich ein Herr wär und hätt ein Hut und eine Uhr und eine anglaise und könnt vornehm reden, ich wollt schon tugendhaft seyn. Es muß was Schöns seyn um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl. - Diese beiden berühmten Zitate machen noch einmal deutlich, wie undifferenziert, theoretisch und von oben herab Schiller hier seinen klassischen Idealismus verkündet. Unter Kommunikationsaspekten ist das eine äußerst problematische „Selbstkundgabe“, die grundsätzliche kritische Fragen gegenüber dem Idealismus der Weimarer Klassik hervorruft.
- Um so mehr lohnt es sich, vor diesem kritischen Hintergrund durchaus über Elemente nachzudenken wie Goethes Idee von der „Pyramide“ seines Daseins als Beispiel für das Bemühen um Selbst-Vervollkommnung – soweit die Kräfte reichen:
„Das Tagewerk, das mir aufgetragen ist, das mir täglich leichter und schwerer wird, erfordert wachend und träumend meine Gegenwart. Diese Pflicht wird mir täglich teurer, und darin wünscht ich’s den größten Menschen gleich zu thun, und in nichts Größerem. Diese Begierde, die Pyramide meines Daseins, deren Basis mir angegeben und gegründet ist, so hoch als möglich in die Luft zu spitzen, überwiegt alles andre und läßt kaum augenblickliches Vergessen zu. Ich darf mich nicht säumen, ich bin schon weit in Jahren vor, und vielleicht bricht mich das Schicksal in der Mitte, und der Babylonische Turm bleibt stumpf unvollendet. Wenigstens soll man sagen: es war kühn entworfen, und wenn ich lebe, sollen will’s Gott die Kräfte bis hinauf reichen.“
- Da ist zum einen das berühmte Zitat aus der Dreigroschenoper Bertolt Brechts, das man zum Beispiel hier finden kann.
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