Wie schreibt man eine Erörterung – und zwar ganz praktisch ;-) (Mat7949)

Worum es hier geht:

  • Getreu unserem Grundsatz
    • nicht einfach nur nach Schulbuch-Anweisungen zu arbeiten,
    • sondern alles selbst auszuprobieren
    • und dabei nach noch besseren Lösungen zu suchen  😉
  • spielen wir im Folgenden mal ein Beispiel-Thema in verschiedenen Varianten durch.

Die Grundidee der Praxis

  • Für uns bedeutet praktisches Ausprobieren,
    • dass wir natürlich in Schulbüchern oder auch im Internet die Tipps aufnehmen, die dort vorhanden sind.
    • Es geht dabei um verschiedene Arten von Erörterungen,
      • zum einen die lineare,
      • zum anderen die dialektische
        und da werden zwei Varianten vorgestellt, nämlich

        • das Sanduhr-Verfahren und
        • das Reißverschluss-Verfahren.
  • Für uns bedeutet das: Was hat das mit dem Leben zu tun?
    Also wandeln wir die Varianten einfach in praktische Aufgaben um.
  • Vorher müssen wir uns noch ein bisschen ärgern, denn
    • die Tipps, die man da bekommt, aber weniger etwas mit „Wahrheit“ als mit „Wirkung“ zu tun,
    • denn alles läuft darauf hinaus, den Leser zu überzeugen – oder vielleicht sogar zu überreden.
    • Das ist auch völlig in Ordnung –
    • allerdings brauchen wir keine Freunde, die uns ihre Meinung zu einer Frage möglichst geschickt unterjubeln,
    • sondern wir brauchen eine Klärung aller „Aspekte“ (Gesichtspunkte: z.B. bei unserem Thema: Menschenrechte, Hausordnung, Ansehen in der Klasse, Wirkung auf die Leute, die man für sich einnehmen möchte usw.)
    • Denn am Ende einer Erörterung steht eigentlich, dass alles, was dabei eine Rolle spielt, seinen „Ort“, also seinen Platz im gesamten Feld der Aspekte und Argumente gefunden hat.
  • Aber wir wissen natürlich, dass die meisten Lehrkräfte es nicht schön finden, wenn jemand etwas Eigenes ausprobiert, das macht das Korrigieren von Arbeiten auch schwieriger. Dafür haben wir Verständnis.
  • Aber vielleicht gibt es ja die eine oder andere Lehrkraft, die bereit ist, nach guten Kompromissen zu suchen zwischen
    • Lehrbuch und
    • Leben.
  • Deshalb werden wir die Erörterungen an drei Fällen durchspielen, die im Leben und in der Schule ganz praktisch eine Rolle spielen können.

Das Problem

  • Stellen wir uns vor: In einer Schule laufen im Sommer einige Mädchen so freizügig herum,
  • dass sich Lehrkräfte oder auch Eltern beim Schulleiter oder der Schulleiterin beschweren.
  • Ziel ist: Regelungen zu vereinbaren, die das Problem möglichst lösen.
  • Das geschieht in den Schulen nicht durch einen „Erlass“, also ein Diktat der Schulleitung, sondern das Problem wird in die sogenannten „Gremien“ getragen. Das sind die Versammlungen, die die Interessen verschiedener Gruppen vertreten:
    • Vertretung der Schülis (= männlich oder weiblich oder div – um das hier mal zu vereinfachen. Alle sollen mit angesprochen werden ;-), meistens Versammlung der Klassensprechis 😉
    • Vertretung der Lehrkräfte
    • Vertretung der Eltern
    • Alles zusammen in einer Schulkonferenz o.ä.
Die lineare Erörterung – nur das Ziel im Auge
  • Bei der linearen Erörterung geht es darum, sich eine gemeinsame Meinung zu bilden und die dann möglichst kraftvoll zu vertreten.
    Wir gehen davon aus, dass die Schülis keine Regelung wollen – und darum gegen entsprechende Beschlüsse sind.
    Das, was der Schüli-Sprechi 😉 dann vorträgt, soll zügig zum gewünschten Ziel führen. Gegenargumente spricht man da lieber nicht an – soll die Gegenseite doch von selbst drauf kommen – oder man kommt leichter durch.
Die dialektische Erörterung – ein bisschen Manipulation darf sein?
  • Bei der dialektischen Erörterung soll man Pro und Contra berücksichtigen. Da schlagen praktisch alle Schulbücher und Internet-Seiten ein bisschen Propaganda und Manipulation vor, denn man soll:
    • zunächst auf die Gegenseite eingehen
      • dabei mit dem stärksten Argument beginnen, das dann möglichst bald vergessen wird.
      • So macht man weiter
        und am Ende sieht die Gegenseite einfach jämmerlich aus, weil man am Ende ihr schwächstes Argument im Kopf behält.
    • Und dann läuft man selbst zu Höchstform auf:
      • Deshalb beginnt man mit dem schwächsten eigenen Argument
      • und steigert sich dann immer mehr
      • bis man am Ende den größten Hammer hervorruft
      • und sich bei einer Rede in der Konferenz mit stolzem Blick in die Runde hinsetzt.
  • Diese Methode nennt man „Sanduhrverfahren“, weil es oben stark beginnt, in der Mitte schwächer wird, dann schwächer, aber wachsend weitergeht, bis der ganze Sand der Argumente unten im wahrsten Sinne des Wortes „schwer wiegt“ und den Ausschlag gibt.
  • Diese Methode könnte ein Schüli-Vertreter auch anwenden – aber es bleibt natürlich ein Hauch von Manipulation.
  • Deshalb sind wir für die letzte Variante, wenn es nicht nur um „Siegen“, sondern um die „beste Lösung“ geht.
Die dialektische Erörterung im Reißverschlussverfahren
  • Bei dieser Lösung heißt es, sollen jeweils Pro- und Contra-Argumente gegenübergestellt werden.
  • Damit könnte zum Beispiel die Schulleitung eine Lehrkraft oder auch mehrere beauftragen – aber bitte ohne Manipulation, denn jetzt ist erst mal ein breiter Überblick gewünscht, bei dem möglichst kein wichtiges Argument vergessen wird.
  • Unserer Meinung ist dies Verfahren am besten – aus einem einfachen Grund heraus: Jedes Contra-Argument schränkt ja ein Pro-Argument ein und umgekehrt.
  • Deshalb gehören Argumente zu ein und demselben Aspekt (Gesichtspunkt) auch zusammen.
  • Natürlich wird weiter empfohlen, am Ende auf Sieg zu arbeiten, aber das dient eigentlich nicht der Sache. Wenn man wirklich an der besten  Lösung interessiert ist, dann stellt man alles sachlich vor – natürlich kann man am Ende sagen, was man zur Zeit selbst favorisiert.
    Und unsere von der Schulleitung beauftragte Lehrkraft wird sich hüten, der Schulleitung das Gefühl zu geben, manipuliert zu werden 😉
  • Auch ganz allgemein sollte es einer Demokratie (zumindest in der Schule) so sein, dass man dann offen ist für alle Argumente der Gegenseite – und sie nicht vorher durch Manipulation oder Rhetorik (Überredungstricks) „mundtot“ bzw. platt gemacht hat.
  • Leider ist die Demokratie in den Parlamenten auf einfaches „Wer bekommt irgendwie die Mehrheit“ angelegt. Das muss vielleicht so sein – aber die Mehrheit hat nicht immer die beste Lösung, vor allem dann nicht, wenn in der Debatte gar kein Kompromiss gesucht wird, sondern es nur um Gewinnen oder Verlieren geht.

Praxis-Variante 1: Schüli-Rede auf Konferenz

  • Wir stellen uns also vor:
    • Die Schülerschaft hat die Frage beraten, ob man „angemessene“ Kleidung schriftlich an der Schule regeln sollte.
    • Man hat sich mehrheitlich dagegen entschieden.
    • Ein Schüler oder eine Schülerin ist beauftragt worden, in einem Statement die Sicht der Schülis vorzutragen.
    • Wir versetzen uns hier in eine praktische Situation, d.h. wir achten zum Beispiel am Anfang darauf, „fishing for compliments“ zu machen, d.h. erst mal die Zuhörer positiv einzustimmen.
    • In diesem Sinne werden wir die Redeschritte im Folgenden kommentieren:
  1. Grundsätzlich finden wir Schüler und Schüler es gut, wenn über Dinge geredet wird, die von manchen Leuten als störend empfunden werden.
    • Es ist immer gut, wenn man nicht gleich auf Konfrontation aus ist, sondern die Gemeinsamkeit betont.
  2. Aber am besten ist es, wenn die Lösung im Gespräch gesucht werden und in der konkreten Situation.
    • Hier bleibt der Sprecher beim gemeinsamen Ziel, verschiebt es nur in seine Richtung.
  3. Das ist grundsätzlich besser, als wenn man irgendwelche Regeln aufstellt. Die dann als Zwang empfunden werden. Und manche Leute reagieren einfach allergisch auf so etwas und das dient ja dann nicht im gut Ziel.
    • Hier hat man jetzt das erste Argument, das auch deutlich einen Gegenakzent setzt.
    • Zugleich enthält es wirklich bedenkenswerte Überlegungen aus der Sicht der Schülerschaft.
  4. Außerdem haben solche konkreten Lösungen, die auf Einvernehmen beruhen, den Vorteil, dass man sich nicht lächerlich macht.
    • Dieses Argument ist ein bisschen gewagt, aber sehr realistisch, wie dann gleich ausgeführt wird.
  5. Man stellte sich etwa vor, das geht wie in einem Land, in dem man angeblich die Abstände zwischen Schülern auf dem Schulhof mit dem Zentimeter Maß misst – wohl gemerkt, aus moralischen Gründen.
    • Gemeint sind hier wahrscheinlich die USA. Zumindest berichten manche Schülis nach einem Austausch von sehr viel stärkeren Einschränkungen beim persönlichen Kontakt, als es in Deutschland üblich ist.
    • Aber es geht auch hier gar nicht um „Wahrheit“, sondern um „Wirkung“, zumal ja auch kein Land konkret erwähnt wird – um keine negativen Reaktionen beim Publikum auszulösen.
  6. Außerdem vermeidet man so eine Situation, in der allein die Diskussion über Regeln, Leute von einer Lösung abschreckt, die sie für lächerlich halten.
    • Hier ein etwas kompliziertes, aber durchaus richtiges Argument.
    • Wenn eine möglicherweise gute Lösung sich in lächerlich wirkenden Details verstrickt, sinkt ihre Akzeptanz.
  7. Eine konkrete Möglichkeit ist, dass man im Unterricht über die Bedeutung der Rücksichtnahme spricht. Das führt dann dazu, dass manche Leute überhaupt erst einmal über die Problematik nachdenken und nicht gleich auf Widerstand eingestellt sind.
    • Hier geht es jetzt nach der Ablehnung von festen Regeln
    • um die notwendige Alternative.
    • Geschickt ist hier, darauf hinzuweisen, dass die hier vertretene Position zu mehr Nachdenklichkeit führt – und damit auch im Sinne der Gegenseite sein kann.
  8. Es kann auch gut sein, dass vielen Schülern dann erst bewusst wird, welche Signale sie mit ihrer Kleidung aussehenden.
    • Hier wird noch einen Schritt weiter gegangen, nämlich die Frage der Kleidung grundsätzlich angesprochen.
  9. In diesem Zusammenhang fanden wir den Hinweis von Herrn Miller hilfreich. Der erzählte uns nämlich von einem Witz, der mal im Fernsehen präsentiert wurde: ein Pärchen sitzt im Kino, und das Licht geht aus. Plötzlich ruft die Frau erbost: „Nimm die Finger weg.“ Und anschließend etwas leiser: „Du doch nicht.“
    • Dies ist sicher ein ungewöhnliches Element.
    • Aber wenn es stimmt,
    • dann wirkt es auch.
    • Siehe den nächsten Punkt.
  10. Dadurch ist uns deutlich geworden, dass bestimmte Signale, die wir aussenden, eben alle erreichen, was wir aber unter Umständen gar nicht wollen.
    • Hier wird der Witz erklärt und in den Zusammenhang der Rede gestellt.
  11. Außerdem ist es sicherlich hilfreich, dass wir heute eine Zeit leben, in der man sich zum einen um Vielfalt und zum anderen um Rücksichtnahme bemüht.
    • Sehr geschickt – der Bezug zu einem aktuellen Mainstream-Trend.
  12. Das muss aber hier in beide Richtungen gehen, es geht nicht nur um Rücksicht auf Leute, die zu viel Anstoß nehmen, sondern  auch um Rücksicht auf die, die sich in der von Ihnen gewählten Bekleidung am wohlsten fühlen.
    • Geschickt ist es hier, ein bisschen zum Gegenangriff überzugehen.
    • Es gibt auch auf der Seite der hier von einer Regelung bedrohten Schülis berechtigte Gefühle.
  13. Insgesamt sind wir der Meinung, dass wir dieses Problem nicht über die Hausordnung regeln sollten, sondern es zum Thema im Unterricht machen sollten.
    • Hier wird der positive Vorschlag geschickt in Richtung Unterricht erweitert.
  14. Auch hier ist offene Diskussion besser als die Verkündigung von Vorschriften. Damit wird auch verhindert, dass ein Lehrer, der aufgrund dieser Vorschriften sich da möglicherweise gegen die Schüler stellen muss, seine Situation und Akzeptanz in der Klasse nicht gerade verbessert.
  15. Dabei kann auch darauf eingegangen werden, dass in anderen Fällen schon lange Toleranz erwartet und gezeigt wird – etwa bei Piercings, die manche Leute schockierend finden. Dennoch ist bisher niemand auf den Gedanken gekommen, hier etwas zu verbieten. Vielmehr konnte man hier schon in der Schule lernen, auch mit Anblicken fertig zu werden, die ihn nicht gefallen.
  16. Oder sollte es bei der angemessenen Kleidung doch eher eine Haltung gehen, die für die 50er und 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts galt – ab den 1968er Jahren hat sich doch einiges im allgemeinen Bewusstsein geändert – das sollten wir nicht aufgeben.
    • Etwas gewagt am Ende, man kann auf die Lehrkraft verweisen, die den Schülis bei der Vorbereitung den historischen Zusammenhang aufgezeigt hat..

Wir setzen das hier noch mit der praktischen Umsetzung fort.
Bitte etwas Geduld!

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