1970: Willy Brandts Kniefall in Warschau – und die deutsch-polnische Geschichte (Mat8082)

Worum es hier geht:

Willy Brandts Kniefall in Warschau aus dem Jahr 1970 war ein beeindruckendes Beispiel für den Versuch, eine schwierige, ja sehr belastete gemeinsame Geschichte zwischen Deutschland und Polen in eine bessere Zukunft zu überführen.

Stadien deutsch-polnischer Geschichte – ein Kniefall als Wendepunkt

Stadien deutsch-polnischer Geschichte – ein Kniefall als Wendepunkt

Das Besondere an dem Kniefall
Es ist sehr ungewöhnlich, dass Staats- oder Regierungschefs bei einer Auslandsreise spontan etwas machen, was dann die Schlagzeilen bestimmt.

Der historische Anlass: Die neue Ostpolitik
Am 7.12.1970 gab es aber einen solchen Fall: Willy Brand war als Bundeskanzler nach Warschau gereist, um dort den „Warschauer Vertrag“ zu unterzeichnen – das war einer der Verträge, die seine neue, auf Verständigung ausgerichtete Ostpolitik auszeichneten. Besonders heikel waren die Umstände, weil die aus den sog. „Ostgebieten“ vertriebenen Ostpreußen, Schlesier u.a. das natürlich sehr misstrauisch beobachteten.

Der unmittelbare Anlass:Besuch des Ghetto-Denkmals
Im Vorfeld nun des Besuchs stand auch ein Besuch eines Ehrenmals für die „Helden des Ghettos in Warschau“ an. Dabei handelte es sich um die polnische Juden, die mehrere Wochen lang mit unzureichenden Waffen tapfer gegen die deutsche Übermacht kämpften.

Zur Frage der Spontaneität
Willy Brand hat später in seinen Erinnerungen beschrieben, wie es zu dem Kniefall kam, der als Bitte um Vergebung verstanden werden konnte. Er hatte es nicht geplant, aber er war so beeindruckt von der Erinnerung an die Leiden polnischer Menschen während der deutschen Besatzungszeit, dass er sich zu diesem Zeichen entschloss.

Zu den sog. „Ostgebieten“
Was die deutschen Gebiete von Schlesien bis Ostpreußen angeht, auf deren gewaltsamen Rückgewinn im „Warschauer Vertrag“ verzichtet wurde und die dann im Rahmen der Wiedervereinigung 1990 endgültig aufgegeben wurden, so waren sie seit Jahrhunderten deutsch. Ein Teil (Posen und Westpreußen), in dem auch viele Polen lebten, war schon nach dem ersten Weltkrieg verloren gegangen. Polen war damals überhaupt erst mal nach mehr als 100 Jahren neu entstanden – und brauchte natürlich Gebiete, die von den ehemaligen Teilungsmächten Preußen-Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland stammten.

Karte der aus deutscher Sicht verlorenen Gebiete – 1920-1945-1990

Die Westverschiebung Polens
Nach der Niederlage Deutschlands 1945 kam es zu einer schon länger von Stalin geplanten „Westverschiebung“ Polens. Für Gebiete im Osten, die an die Sowjetunion fielen, wurde Polen dadurch entschädigt, dass ihm „zur Verwaltung“ die oben genannten alten deutschen Gebiete übergeben wurden, was eine große Fluchtbewegung auslöste. Es war ein „vergiftetes Geschenk“, das wohl darauf berechnet war, ewigen Streit zwischen Deutschland und Polen zu verursachen – was für die Sowjetunion eine zusätzliche Sicherheitsgarantie gegen mögliche deutsche Revanche-Gedanken bedeutete.

Unterschiede der deutschen Politik nach den beiden Weltkriegen:
Brandts Politik der Versöhnung bedeutete nun, dass diese Strategie fehlschlug – es gab keine regierungsamtliche Politik, die in Polen neue Ängste auslösen musste. Und 1990 sorgte der Zwei-plus-vier-Vertrag zwischen den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges und den beiden deutschen Staaten für die endgültige Sicherheit der polnischen Westgrenze. Man kann jetzt an jeder Wetterkarte sehen, dass Deutschland an der Oder-Neiße-Grenze aufhört.

Nach dem Ersten Weltkrieg hatte das noch ganz anders ausgesehen: Kaum ein Politiker der Weimarer Republik dachte daran, die 1920 Polen zugesprochenen ehemals deutschen Gebiete einfach aufzugeben – aber nach dem Überfall Deutschlands auf Polen zu Beginn des Zweiten Weltkrieges und dem mörderischen Treiben in den deutschen Konzentrationslagern und Ghettos auf polnischem Boden sah die Welt natürlich anders aus.

Weiter Rückblick in die Geschichte: Die deutsche Ostsiedlung im Mittelalter
Erinnert sei auch noch daran, dass es im Mittelalter eine deutsche Ostsiedlung gab, bei der man tief in slawische Gebiete vordrang – von daher kann von polnischer Seite sicher argumentiert werden, dass die deutschen Ostgebiete irgendwann mal „polnisch“ waren – aber  das lag Hunderte von Jahren zurück – und kann nicht gleichgesetzt werden mit der Ausdehnung Polens nach Westen – zunächst nach dem Ersten Weltkrieg – und dann noch stärker nach dem Zweiten Weltkrieg.

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