Analyse einer Radiosendung zum Thema: „Wie beeinflussen soziale Medien die deutsche Sprache?“ (Mat6202)

Worum es hier geht:

  • Wir sind dem SWR sehr dankbar, dass er ein Radiogespräch zur Beeinflussung der deutschen Sprache durch soziale Medien am 28.5.2019 online gestellt hat – und das immer noch verfügbar ist.
    https://www.swr3.de/aktuell/whatsapp-facebook-so-beeinflussen-soziale-medien-die-deutsche-sprache-102.html
  • Denn es ist ein gutes Beispiel für den Grenzbereich, in dem in diesem Falle eine Wissenschaftlerin ihre Einsichten und Erkenntnisse einem breiten Publikum nahebringt.
  • Wir werden im Folgen die sogenannte „Argumentationsstruktur“ des Gesprächs herausarbeiten und zudem darauf hinweisen, was zur echten Wissenschaftlichkeit noch hinzukommen müsste.
  • Das ist für die Schule ja ziemlich wichtig – während man es bei einer Radiosendung durchaus verstehen kann, dass da Abstriche von der reinen Wissenschaftlichkeit gemacht werden müssen.
  • Noch kurz eine Bemerkung zur „Argumentationsstruktur“
    • Wenn immer man spricht, ist es ein großes Ziel, dabei „bella figura“ zu machen, also gut auszusehen, bei den Zuhörern anzukommen –
      • entweder so, dass sie zustimmend nicken
      • oder aber gewissermaßen kapitulieren angesichts dessen, was da gesagt worden ist.
    • Beispiele:
      • Man meldet sich in einer Diskussion und möchte,
        • dass das eigene Image bestätigt oder vergrößert wird
        • und dass man mit seiner Meinung ankommt, eine Rolle spielt.
      • Jede Beziehung hat in der Regel bei uns damit begonnen, dass man bei dem potenziellen Partner erst mal „ankam“
        • auch hier gibt es viele Wege – von einer besonders charmanten Bemerkung
        • bis hin zur Ausnutzung einer günstigen Situation.
      • Der Klassensprecher oder die Klassensprecherin möchte für die Klasse etwas erreichen, hat sich gut vorbereitet und nutzt eine der drei (sprachlichen (Möglichkeiten.
    • Die drei Ebenen des Erfolgs bei der „Argumentation“
      • Man nutzt sprachliche Mittel, zum Beispiel Metaphern oder Vergleiche.
      • Die können schon in den Bereich der Rhetorik übergehen, indem man bei der Anregung eines Klassenausflugs auf die Parallelklasse verweist, die in der eigenen Wartezeit schon zwei Ausflüge gemacht hat.
        Solange das der Wahrheit entspricht, verwenden wir gerne den Begriff der „Rhetorik im engeren Sinne“.
      • Man darf aber nie vergessen, dass es neben dem „Überzeugen“ auch das „Überreden“ gibt.
        Deshalb gibt es gewissermaßen auch eine „Rhetorik im weiteren Sinne“, die nichts mehr mit einer auf Wahrheit beruhenden Rede zu tun hat, sondern alles nutzt, um das Ziel zu erreichen – auch das Verschweigen von Realität, ggf. Heruntermachen anderer Meinungen und ihrer Vertreter u.ä.
        Da gibt es viele Tricks:

        • Jemand, der ein Haus verkaufen will, wird nicht unbedingt von sich aus darauf hinweisen, dass die Lage am Fluss auch alle Jahre bedeutet, sich ins Obergeschoss retten zu müssen, weil unten alles überschwemmt ist.
        • Oder: Bei vielen Verkaufsangeboten im Internet wird gerne darauf hingewiesen. Noch 3 Stück auf Lager, weitere Lieferung erwartet. Manchmal „vergisst“ der Anbieter vielleicht auch, die gefährlich kleine Zahl durch eine neue, zum Beispiel 150 – und das seit fast einem Jahr 😉 aus dem Netz zu nehmen. Er weiß genau, dass wir Menschen in bestimmten Situationen nicht gerne warten – und schon sind die letzten Kauf-Hemmungen weggefallen, denn wir wollen eins der drei Exemplare schnell haben 😉
        • In einer Diskussion lässt man dann über einen, der eine andere Meinung hat so etwas fallen: „Ja, ja, Sie mit Ihren Beispielen. Sie haben wirklich für jede Situation eins, ganz gleich, wie groß seine Bedeutung ist. Außerdem gibt es zu jedem Beispiel ein Gegenbeispiel.
    • Fazit:
      • Beim ersten Lesen schon mal schauen, ob eine Argumentation ausgewogen ist oder die Gegenseite möglichst nicht erwähnt oder gar runtergemacht wird. Wenn jemand nur an sich und seine Ziele denkt, hat er kaum gute Lösungen für alle im Auge.
      • Also möglichst schnell „Deutungshypothese“ entwickeln zur Frage: Worum geht es ihm? Was will der Sprecher/Schreiber erreichen?
      • Dabei schon mal achten auf Einseitigkeit, Ausgewogenheit, ggf. Mittel der RiwS (Rhetorik im weiteren Sinne).
      • Dann das ganze Statement einteilen: Welche Unterthemen werden angesprochen. Dazu gehören auch „Exkurse“, die nur am Rand zum aktuellen Thema gehören, aber eben auch eine rhetorische Funktion haben – vielleicht der Ablenkung.
      • Dann erst mal eine Detailanalyse des Argumentationsgangs machen:
        • Was ist der Argumentationsansatz?
        • Wie geht der Sprecher/Redner vor: Begründet er seine Thesen, belegt er sie vielleicht sogar? Oder reiht er nur eine These an die nächste und streut hin und wieder eine kleine „Beschimpfung“ mit ein – oder bringt er Beispiele, die man leicht widerlegen kann?
        • Welche sprachlichen Mittel benutzt er, etwa sprachliche Bilder (Metaphern) oder  Gegensätze. Auch hier ist man schnell im Bereich der RhieS (Rhetorik im engeren Sinne). Eine Metapher ist noch ein eindeutiges sprachliches Mittel – ein Gegensatz ist schon Rhetorik: Wir kämpfen für euch – die da kämpfen nur für sich.“ Da ist sprachlich nichts Besonderes, erst die Kombination ist das Mittel. Verteilt sich der Gegensatz auf das Nebeneinander von zwei ganzen Absätzen, nennt niemand mehr das ein sprachliches Mittel – es ist ganz eindeutig eine Frage des Aufbaus der Rede, also Rhetorik.
        • Zur Analyse gehört aber auch immer schon die Rhetorik im weiteren Sinne, zum Beispiel Behauptungen mit passenden Beispielen, die sich durch den gesunden Menschenverstand leicht widerlegen lassen.
          Zum Beispiel: Wer arbeitet schon gerne am Wochenende? Das ist nun wirklich kein Grund, die Bereitschaft von medizinischem Personal oder auch von Feuerwehrleuten am Wochenende verschwinden zu lassen.
        • Man sieht hier, wie wichtig es ist, im Rahmen des Möglichen das, was da rausgehauen wird, kritisch zu prüfen. Denn – wie wir schon sagten: Menschen wollen nicht in erster Linie die Wahrheit, sie wollen als Sieger vom Platz.
      • Am Ende die Gesamtstrategie und das Ergebnis herausarbeiten.
        Zum Beispiel: Die Vertreter des Vorschlags, kurz vor den Zeugniskonferenzen noch einen Wandertag einzuschieben, wollten anscheinend nur einen schulfreien Tag. Ob es dann mit Klassenarbeiten eng wird – oder Lehrkräfte vielleicht ihren fast freien Tag dringend für Korrekturen brauchen, war und ist ihnen egal. Dementsprechend haben sie ihr Statement aufgebaut: Nur Übertreibungen, Auslassungen und Appell an Gefühle und den Anstand der Lehrkraft.

Aus Rücksicht auf das Urheberrecht nennen wir hier nur die Abschnittsgrenzen. Damit kann jeder sich im Internet den Originaltext anschauen – wir präsentieren hier nur die Analyseergebnisse und die weiterführenden Hinweise:

Abschnitt 1: Einführung durch die Moderatorin

von
Emojis, Kürzel und scheinbar verkrüppelter Satzbau“
bis
„Aber ist das schlimm?“

  • Der Text beginnt mit der Frage, ob die andere Ausdrucksweise in sozialen Medien wie Facebook oder WhatsApp etwas Schlimmes sei – im Vergleich zu dem Deutsch des Deutschunterrichts.
  • Festgemacht wird das an drei Phänomenen:
    • „Emojis“
    • „Kürzel“
    • „und scheinbar verkrüppelter Satzbau“
  • Der erste Begriff ist jedem sofort klar, der sich in den sozialen Medien auskennt.
  • Beim zweiten geht es um „Abkürzungen“, wie sie zum Beispiel beim Militär oder in der Medizin verwendet werden.
  • Die letzte Formulierung ist sehr problematisch, weil sie unnötigerweise einen Begriff enthält, der heute als eher diskriminierend im Umgang mit Behinderungen verwendet wird.
  • Außerdem ist sehr unklar, was das mit Satzbau zu tun hat. Hier wäre es sinnvoller gewesen, etwa von einem verkürzten oder vereinfachten Satzbau zu sprechen.
Abschnitt 2: Einbeziehung einer Sprachwissenschaftlerin mit ihren Thesen zugunsten der Sprache in den sozialen  Medien  als Ausgangspunkt

von:
Für die SWR3 Morningshow haben wir mit Konstanze Marx“
bis
„als beispielsweise in einer formellen Situation im Beruf.“

  • Bei einem Gespräch ist es selbstverständlich, dass die Beteiligten vorgestellt werden.
  • Dies wird gleich verbunden mit deren Argumentationsansatz, der sehr pauschal feststellt:
    • „Wie wir uns in den sozialen Medien mitteilen, hat eigentlich gar nichts mit dem zu tun, wie wir auf Standarddeutsch schreiben oder reden.“
    • Daraus ergibt sich für die „Expertin“ die Konsequenz: „„Da kann nichts verloren gehen und nichts kaputt gehen.“
    • Stattdessen wird auf den Vorteil verwiesen, es „sogar förderlich, wenn Menschen lernten, sich im Internet anders mitzuteilen als beispielsweise in einer formellen Situation im Beruf.“
  • Wir zeigen hier, wie man bei der Analyse auch sofort kritische oder weiterführende Ideen festhalten kann. Die braucht man ggf. für eine Erörterung:
    • Die Wissenschaftlerin entfernt sich hier weit von Wissenschaft, denn dort wird so gut wie nie mit solchen pauschalen 100%-Behauptungen gearbeitet, weil es meistens auch Einschränkungen der Gültigkeit gibt.
    • Außerdem sagt einem der gesunde Menschenverstand und die entsprechende Erfahrung, dass das, was Menschen besonders viel tun, auch Spuren im Gehirn hinterlässt.
    • Das merkt man spätestens dann, wenn ein typischer WhatsApp-Kommunizierer plötzlich ein formalisiertes Bewerbungsschreiben abliefern will. Hätte er in der Zwischenzeit ein bisschen mehr das trainiert, was er im Deutschunterrichte auch in dem Bereich kennengelernt hat, hätte er größere Kompetenzen.
    • Also Gegenthese: „Natürlich wirkt sich die Quantität einer Beschäftigung mit einer bestimmten Form von Sprache aus – wie alles andere, was man tagtäglich macht und damit übt.
Abschnitt 3: Einbezug hilfreicher Infos
Thesen der Sprachwissenschaftlerin zu den Kompetenzen]

Um die Frage möglicher Gefahrenquellen für die Sprache genauer betrachten zu können, werden drei Kompetenzen unterschieden.

  1. Da gibt es natürlich einmal die „schriftliche formelle Kommunikation“. Als Beispiel wird ein Bewerbungsschreiben genannt.
  2. Dann gibt es natürlich auch die „informelle Kommunikation“. Verwiesen wird hier auf den Austausch von WhatsApp-Nachrichten.
  3. Schließlich gibt es die mündliche Kommunikation: Als Beispiel wird eine Unterhaltung unter Freunden genannt.
Abschnitt 4:
Weitere Unterteilung bei der mündlichen Kommunikation: Situationen

Anschließend geht es um die verschiedenen Situationen, in denen man unterschiedlich spricht. Als Beispiel wird auf den Unterschied verwiesen, ob man mit dem Chef spricht oder abends mit Freunden. Interessant ist der Hinweis, dass das unbewusst abläuft.

Abschnitt 5: Vertiefung – Abweichungen können ein bewusstes Ziel verfolgen

Hier werden zwei unterschiedliche Situationen genannt, die gut zum Thema passen. Einmal ist da das Gespräch mit den eigenen Eltern – da grenzen sich Jugendliche gerne ab, indem sie jugendsprachliche Begriffe und Wendungen nutzen. Die gleichen Leute sprechen dann aber mit den Eltern von Freunden ganz anders. Da möchte man sich verständlicherweise nicht gleich abgrenzen.

Abschnitt 6: Autoritätsargument: Kein Problem, sind nur Varietäten

Hier zieht sich die Wissenschaftlerin darauf zurück, dass die Nutzung solcher Varietäten etwas ganz Normales sei. Auf das naheliegende Problem, dass die häufige Nutzung einer Varietät sich auf die Gesamtkompetenz auswirken könnte, wird nicht eingegangen.

Abschnitt 7: Beispiele für Varietäten

Hier wird auf Fachsprachen und Soziolekte eingegangen. Auch das soll wohl die Ungefährlichkeit häufiger Verwendung zum Beispiel von WhatsApp-Sprache deutlich machen. Nicht eingegangen wird auf die Vermischung, wie sie zum Beispiel beim Lernen von Fachbegriffen stattfindet. Eine Klasse, die da weiter ist, schafft in gewisser Weise eine eigene Varietät – zumindest wäre das zu diskutieren. Verstärkt werden können Unterschiede, wenn es Spitznamen oder ähnlich funktionierende Nomina gibt, die nur einer Gruppe bekannt sind.

Abschnitt 8: “Untermauerung“ durch Hinweis auf Youtube-Kanal

Hier ist sehr erstaunlich, dass die Wissenschaftlerin auf einen Youtube-Kanal verweist, der natürlich keinen wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Offensichtlich begibt sie sich hier auf eine allgemeine Zuhörerebene, was natürlich nachvollziehbar iste.

Abschnitt 9: Wiederholung der These, Sprache könne nicht kaputt gemacht werden, weil sie komplex sind

Hier wird Komplexität gleichgesetzt mit Nicht-Anfälligkeit für Sprachverfall. Das erscheint von der Argumentation her aber nicht überzeugend. Denn natürlich kann auch ein hochkomplexes Flugzeug zum Beispiel „verfallen“, wenn es nicht mehr im High-End-Betrieb geflogen wird.

Abschnitt 10: Nicht nachvollziehbarer Verweis auf andere Sprachen:

Nicht nachvollziehbar erscheint ist, dass etwas was eben als nicht überzeugend dargelegt worden ist, jetzt dadurch überzeugender sein soll, dass behauptet wird, das sei in anderen Sprache auch so.

Außerdem kann dagegen eingewendet werden – was allerdings geprüft werden müsste, dass das Englische zum Beispiel keine Gendersprache kennt und wohl auch keine Rechtschreibreform hinter sich hat.
Beim Französischen hat man noch im Gedächtnis, dass die Académie française sehr auf ein bestimmtes Sprachniveau geachtet hat.

Abschnitt 11: Ablenkung von der eigentlichen Problematik: Abkürzungen sind nicht das Problem.

Man ist ganz erstaunt, dass ein möglicher Verfall der Sprache jetzt an Abkürzungen festgemacht wird. Dabei wird zugleich etwas behauptet, worauf jeder auch ohne wissenschaftliche Ausbildung kommen kann: Abkürzungen sind etwas ganz Normales – und zwar nur die verkürzte Form einer im Prinzip hochentwickelten Sprachform. Ein Grund mehr, sich hier zu notieren, dass man nach wirklichen Verfallsproblemen suchen sollte. Aber dafür muss man wohl die Leute ehrlich und ergebnisoffen heranziehen, die einen echten Verfall zu sehen meinen.

Abschnitt 12: Nächste Ablenkung von der eigentlichen Problematik: Emojis sind nicht das Problem.

Hier kann man der Wissenschaftlerin auch nicht so richtig folgen.
Emojis sind bildhafte Abkürzungen bzw. Ergänzungen. In wissenschaftlichen Texten haben Gefühle überhaupt nichts zu suchen. Und in journalistischen Texten wurde früher mal zwischen Nachricht und Kommentar unterschieden. Und bei letzteren haben gute Schreibis es immer geschafft, ihre Gefühle auch ganz ohne Emojis rüberzubringen. Und wenn Jugendliche und jung Gebliebene in kurzen Chatbeiträgen sicher gehen wollen, dass die andere Seite etwas richtig zu verstehen, ohne lange drüber nachdenken zu müssen, ist das doch völlig okay. Auch hier wieder die Frage: Wäre es nicht besser, sich mit dem auseinanderzusetzen, was die Sprachverfallskritiker äußern, statt selbst etwas in die Welt zu setzen, um es anschließend zu widerlegen.

Abschnitt 13:  Ausbreitung von Selbstverständlichem.

Auch hier wieder eine These, über die vielleicht nicht genug nachgedacht werden sollte:
„Es geht aber niemals so weit, dass wir nur noch über Bilder kommunizieren, weil wir dann nicht mehr eindeutig sein können. “

Was ist das für eine Vorstellung von Sprache: Die wurde doch noch ein paar Zeilen früher als „komplex“ bezeichnet – und das ist sie auch. Sie dient niemals nur oder ganz der „Wahrheit“, sondern dem Bemühen, sein Image aufzupolieren oder seine Interessen durchzusetzen.

Und wie ist das eigentlich mit poetischen Texten: Seit wann sind die auf Eindeutigkeit aus, wenn doch „Kunst erst in den Augen des Betrachters“ entsteht.

Oder wie ist das mit Karikaturen: Wollen die etwas predigen oder zum eigenen Nachdenken veranlassen?

Abschnitt 14: Wohl Falsche Annahme:

Auch hier wieder so eine Behauptung, über die man noch viel nachdenken könnte:
„Und Eindeutigkeit ist wichtig, weil wir verstanden werden wollen“.

Gibt es nicht auch Situationen, in denen man einfach Lust hat, spielerisch etwas in die Welt zu setzen. Man will dabei nur gut aussehen und schauen, wie die andere Seite reagiert.

Sehr beliebt sind schließlich Sprüche wie:
„Ja, ja, die Welt ist weit.“ oder
„Das Leben ist halt nicht immer einfach.“
Man möchte auf gar keinen Fall so verstanden werden, wie man wirklich denkt. Dieser Satz könnte zum Beispiel stehen für:
„Kannst du nicht endlich mal die Klappe halten – hoffentlich reicht dir der Spruch zum Nachdenken – ganz gleich – worüber – und du lässt mich in Ruhe.“ 😉

Abschnitt 15: Wenig überzeugende Behauptungen
Auch das Folgende wird manchen zu einem Kopfschütteln veranlassen, der sich darum bemüht, dass ein möglichst qualifiziert wirkendes Sprechen und Schreiben geübt wird:
„In sozialen Netzwerken wird oft die Groß- und Kleinschreibung nicht eingehalten, Punkte und Kommata werden ebenfalls oft weggelassen. Selbst hier sieht die Wissenschaftlerin keine negativen Auswirkungen auf die Sprache. Es habe Studien gegeben, die genau damit befasst haben, „und es gab tatsächlich keine Effekte.“

Das kann schon sein, dass diese Wissenschaftlerin hier keine „negativen Auswirkungen“ sieht. Man hätte aber gerne Näheres über die Studien gewusst, die das bestätigen.

Wir kontern hier mal mit einer allgemeinen Lebensweisheit: „Natürlich verlernt man alles, was man nicht übt.“ Oder man lernt es gar nicht erst. Im Sport nennt man so etwas Training – und wenn ein Profi-Fußballer in der Sommer- oder Winterpause nur noch Fußball spielt mit denen, die Bälle gerne mal mit der „Pike“ schießen, dann könnte er mit ihnen im Krankenhaus landen – wie der folgende Fach-Artikel zeigt:
https://www.kicker.de/pike-962764/artikel

Abschnitt 16: Wieder Ablenkung, das bezweifelt doch keiner …

Einen Satz wie
„Menschen könnten sich genauso extrem gewählt ausdrücken via Messenger, wenn sie das wollen und es für sinnvoll halten. “
muss man sich auch mal genauer anschauen:
Warum haben Menschen Angst vor einem Bewerbungsgespräch oder später beim Small-Talk unter Business-Leuten, wenn sie problemlos von der Messenger-Sprache auf eine anspruchsvollere Variante umschalten können?

Warum gibt es überhaupt Deutschunterricht, wenn Leute es auch ohne „Belehrung“ und Training schaffen, sich so auszudrücken, dass andere es nicht nur verstehen, sondern sogar vor Begeisterung platt auf dem Boden liegen?
Und das „Platt-Sein“ auf der anderen Seite weiß jeder zu schätzen, der rhetorisch glänzen will oder muss.

Abschnitt 17: Wieder Ablenkung durch einfache, unbelegte Behauptungen

„Auswirkungen der Kommunikation in sozialen Medien auf die Sprache sind also erst einmal nicht durch Studien zu belegen, so bestätigen es viele Wissenschaftler aus der Linguistik.“

Was heißt hier „erst einmal“ – ist damit gemeint, dass das die Meinung ist, solange man nicht genauer hingeschaut oder nachgeforscht hat?

Und kluge Schülis wissen, dass es der einfachste Trick ist, auch völlig falsche Behauptungen in die Welt zu setzen und sich dabei auf ungenannte Wissenschaftler zu berufen.

Das wollen wir dieser Wissenschaftlerin nicht unterstellen, denn sonst hätte sie den Job nicht bei einem anerkannten Institut. Wir wollen nur darauf aufmerksam machen, was Kommunikation bei einem solchen Radio-Interview ist und worauf eine anspruchsvolle Auseinandersetzung über Sachfragen achten müsste.

Schließlich sollen Schülis ja lernen, mit jeder Art von Kommunikation umzugehen – und auch Schwächen zu erkennen, die sich aus der Situation ergeben. Vielleicht ist ja irgendwo ein Gespräch zu finden, in dem sich diese Wissenschaftlerin mit Leuten auseinandersetzt, die auch Ahnung von der Sache haben, wenn auch eine andere Einschätzung der Situation.

Abschnitt 18: Hinweis auf das Phänomen von Sprachwandel und Norm, ohne das genauer zu betrachten.

„Die deutsche Standardsprache (was wir umgangssprachlich als Hochdeutsch bezeichnen) verändert sich durchaus mit der Zeit.“

  • Bezweifelt das einer der Sprachverfallskritiker?

„Sprachwissenschaftler sprechen von einem ständig voranschreitenden Sprachwandel, den gibt es aber schon länger als soziale Medien oder die aktuellen Jugendsprachen.“

  • Bezweifelt die erste Feststellung einer der Sprachverfallskritiker?
  • Was sagt der zweite Teil aus über die Gefahr, dass zu viel Beliebigkeit und Bequemlichkeit bei der Nutzung der Sprache höhere Levels beeinträchtigt bzw. verkümmern lässt?

„Sprache ändert sich, je nachdem, wie Sprecher und Hörer es miteinander aushandeln.“

  • Das stimmt grundsätzlich – leider muss man das weiterdenken – wieder in konkrete Situationen hinein.
  • Zum Beispiel könnte ein solches Aushandeln in einem Bewerbungsgespräch so enden:
    • Personalchef:
      Was interessiert Sie eigentlich an unserer Firm?“
    • Antwort des Bewerbis:
      „Ach, ich weiß schon. Sie wollen wissen, ob ich mir heute morgen noch mal schnell Ihre Homepage reingezogen habe. Ach wissen Sie, im Internet ist so viel Shit zu finden. Da erzählen Leute so richtig Stuss, den wir glauben sollen. Aber so was – nicht mit mir. Ich mache mir meine eigenen Gedanken …“
    • Personalchef nach einem kurzen Blickaustausch mit den anderen Beteiligten:
      Dann bedanken wir uns hier mal für die offenen Worte und machen uns gleich unsere eigenen Gedanken dazu. Schönen Tag noch.
Abschnitt 19: Wieder Diskriminierung der Sprachkritiker, die nicht als Wissenschaftler ernst genommen werden.

Wie müsste der folgende Abschnitt aussehen, wenn er ernsthaft etwas zur Klärung der Sache bzw. der Problemfrage beitragen soll?

„Konservative Sprachkritiker bewerten das anders.

  • Welche? Das ist eine reine Behauptung, die in einer ernsthaften Diskussion sofort zu einer Nachfrage führen müsste.

Sie kritisieren immer wieder, dass die Jugendsprache – inklusive der Ausdrucksweise im Internet – zu einem Sprachverfall führen könnte.

  • Wie wäre es, wenn hier auf die Argumente eingegangen würde, die von Sprachverfallskritikern vorgebracht werden?
  • Zum Beispiel: Dass

Die meisten Sprachwissenschaftler sehen eher einen Ausbau der Sprache. Gerade das viele Schreiben im Internet wird teilweise als positiver Aspekt verbucht:“

Abschnitt 20: Eine seltsame Verbindung von Quantität und Qualität

„Auch wenn allgemein über die schlechter werdende Schreibkompetenz der Jugend geklagt wird,“

  • Interessant: Gibt es auch andere Leute als diese konservativen Sprachkritiker, die man anscheinend nicht ernst nehmen kann, auch noch andere Leute, die das beklagen?
  • Wie kommt das?
  • Wäre das nicht eine bessere Grundlage gewesen, um die Themafrage zu klären?
  • Ach ja, und wie sieht es denn mit der „Sprechkompetenz“ aus – ist die aus geheimnisvollen Gründen von diesem Verfall an sprachlichen Kompetenzen nicht betroffen?
  • Das wäre aber spannend gewesen, das zu erfahren – und die Gründe.
  • Und was passiert, wenn die „Jugend“ sich das Nur-Jung-Sein nicht mehr leisten kann?

ist vermutlich noch nie so viel geschrieben worden wie heute in den neuen Medien: SMS, Chats und Blogs sind schriftliche Formen des Sprechens, die sehr viel Zeit sehr vieler Menschen in Anspruch nehmen.“

  • Moment, jetzt ist man ganz verwirrt: Wieso sinkt denn die Schreibkompetenz, wenn die Leute so viel SMS schreiben, chatten und Blogs füllen. Da haben  die doch Übung ohne Ende.
  • Und warum werden Klausuren in der Schule und an der Uni nicht genauso geschrieben wie man halt chattet?
  • Nun kann man sagen, dass die Chatter situationsbezogen zwischen den Niveaus wechseln.
  • Damit sind wir wieder bei der Frage: Was ist, wenn sie das gar nicht üben, weil Schülis wenig Gelegenheit haben, sich auf anspruchsvollem Niveau mit Geschäftspartnern oder offiziellen Institutionen auszutauschen.
  • Oder können sie nach dem Abitur plötzlich etwas in den möglicherweise 8 oder gar 10 Stunden, in denen man in verantwortungsvoller und gut bezahlter Position auf höherem Sprachlevel sprechen muss – um kein Stirnrunzeln auszulösen?
  • Aber vielleicht gibt es ja bald ein Institut für den erfolgreichen Irgendwie-Gebrauch-der-deutschen-Sprache, in dem sich alles wie von selbst entwickelt. Dann sollte dieses Institut aber nicht den folgenden Spruch als Motto auf die Homepage setzen: „Ohne Fleiß kein Preis!“ Dann kommen vielleicht nur noch die, die in diesem Institut wenig Hilfe erhalten können, denn dort sitzen ja die, die eher glauben, dass Sprachqualität sich irgendwie von selbst ergibt. Ach ja, das Aushandeln: Dann sind wir wieder beim Bewerbungsgespräch: Dumm nur, dass da einer was hat und der andere was will. Wie sieht es denn da mit dem Aushandeln  aus?

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