Anders Tivag Blogbeitrag, „Kafka als Retter aus dem Gedächtnis heraus“ (Mat6249)

Anders Tivag

Kafka als Retter aus dem Gedächtnis heraus

Die Auseinandersetzung mit einem Autor und seinem Werk setzt ein Minimum an Transparenz der Quellen und Bezüge voraus.

Was macht man, wenn man sich an einen Text erinnert, der einen äußerste interessanten Gedanken enthielt. Aber nur die Gedächtnisvariante ist geblieben. Sie wird auch möglicherweise dem Autor und seiner Intention nicht ganz gerecht.

Aber, wie im Titel schon angedeutet, der Gedanke kann vielleicht nur so gerettet werden, indem man ohne nähere Hinweise das Erinnerte aus dem Gedächtnis wiedergibt. Man kann sich trösten damit, dass das früher, als es weder Internet noch Buchdruck gab, etwas ganz Normales war. Soweit ich weiß, war es bei den Autoren der Antike in keiner Weise üblich, wissenschaftlich zu zitieren. Vor diesem Hintergrund sei einfach es erlaubt, auch hier das wiederzugeben, was gewissermaßen „neoantik“ im Gedächtnis geblieben ist.

Es ging wohl um die Interpretation von Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“. Wahrscheinlich wurden auch nebenbei noch kürzere Erzählungen erwähnt, wie zum Beispiel „In der Strafkolonie“. Vor allem die letztere zeigt ja eine dystopische Welt, in der es dem Menschlichen regelrecht an den Körper und damit an die Existenz geht.

In Kafkas „Verwandlung“ geschieht das nur ansatzweise. Dort stirbt ein im wesentlichen abgelebtes Wesen einen ganz eigenen Tod. Deutlich wird aber auch in dieser Erzählung die Unmenschlichkeit, wenn am Ende der Sohn der Familie von einer Art Reinigungskraft praktisch in den Müll entsorgt wird.

Vor diesem Hintergrund wurde in dem erinnerten Text dann die These vertreten, dass in Kafkas Werk neben vielen anderen Bezügen auch schon etwas deutlich wird, was seit dem Ersten Weltkrieg in dem so scheinbar zivilisierten Europa zur Normalität geworden ist.

Ein sinnloses Sterben in Schützengräben, später dann die Verfolgung und schließlich der Massenmord an Juden und anderen Bevölkerungsgruppen. Hierbei sollte ohne jede Relativierung immer wieder darauf hingewiesen werden, dass den so genannten Blutzoll von Faschismus und Weltkrieg vor allem die in der Sowjet lebenden Bevölkerung geleistet hat, mit etwa 27 Millionen Toten. Man denke etwa an die Hungerblockade von Leningrad, heute St. Petersburg.

Aus heutiger Sicht muss man leider sagen, dass nach dem Verschwinden der Friedensdividende nach der Auflösung des Warschauer Paktes und nach dem Verschwinden der großen kommunistischen Gesellschaftsalterantive im Machtbereich der Sowjetunion die Dinge nur scheinbar besser geworden sind. Jeder mag sich selbst informieren, welche Kriege in diesem neuen Jahrtausend allein schon zu unzähligen Toten als sogenannte Kollateralschäden militärischer Aktionen geführt haben. Und am schlimmsten: Die Option Krieg wird in Teilen der Welt wieder als etwas ganz normal Machbares angesehen, für den man die Bevölkerung „kriegsfähig“ machen muss.

Aus der Sicht der Menschen, die noch die Angst vor dem Atomkrieg kennen und sich vor diesem Hintergrund unbändig über das scheinbare Ende aller geopolitischen Gegensätze gefreut haben, ist und bleibt das weitgehend unverständlich.

Aber dazu muss jeder sich eine eigene Meinung bilden, das ist nicht das Thema hier. Hier geht es nur darum, dass eine Art eines tendenziell kriegerischen Imperialismus in der Welt wieder selbstverständlich geworden ist, den man sich im Gefolge der Aufklärung und der Politik eines Wandels durch Annäherung (Willy Brand) nicht vorstellen konnte.

Fazit:
Ganz gleich, woher der Gedanke stammt. Man muss wohl wirklich sagen, dass Kafkas sorgfältig konstruierte Angsttraum-Visionen einen viel größeren Realitätsbezug haben, als man sich vor einiger Zeit noch vorstellen konnte.

Um positiv zu schließen:
Vielleicht kann man ausgehend von Kafka wieder an die Politik zwischen 1962 (Kubakrise und Verständigung statt Atomkrieg zwischen den USA und der Sowjetunion) und 1990 (Ende des Kalten Krieges und Bekenntnis zur Herstellung, gemeinsamer Sicherheit) anknüpfen oder vielleicht die Bestrebungen von damals sogar wiederbeleben.

Die Alternative wäre ansonsten noch schlimmer als alles, was Kafka sich ausgedacht und niedergeschrieben hat.

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