Worum es hier geht:
Wir zeigen, wie man in einer Kurzgeschichte die Kommunikation zwischen den Figuren und damit gleichzeitig auch die sogenannte „Pragmatik“ analysieren kann.
Gemein ist damit, dass es nicht nur darum, was gesagt wird. Vielmehr geht es auch darum, inwieweit die Sprache zugleich auch Handeln ist.
Am deutlichsten wird das bei einer Hochzeit: Wenn Braut und Bräutigam sagen: „Ja, ich will.“ Dann ist das nicht nur Kommunikation, nämlich eine Mitteilung. Vielmehr ist es auch eine Handlung, nämlich eine Entscheidung, die erhebliche Folgen hat.
Man spricht deshalb auch von „Sprechakten“: Es wird gesprochen und gleichzeitig gehandelt.
Um nun diese „pragmatische“, also handlungsorientierte Funktion der Sprache herauszuarbeiten, ziehen wir einfach den Text der Kurzgeschichte „Das Brot“ hier hinein. Man kann ihn z.B. hier finden.
Dann heben wir die Elemente hervor, die etwas mit Kommunikation und Pragmatik zu tun haben.
Näheres zur „pragmatischen“ Analyse findet man hier:
https://schnell-durchblicken.de/baustein-pragmatische-analyse-eines-textes
Check der Kommunikation
Der Originaltext wird kursiv präsentiert.
Die Kommentare werden eingerückt in normaler Schrift.
Wolfgang Borchert
Das Brot
- Plötzlich wachte sie auf. Es war halb drei. Sie überlegte, warum sie aufgewacht war. Ach so! In der Küche hatte jemand gegen einen Stuhl gestoßen. Sie horchte nach der Küche. Es war still. Es war zu still, und als sie mit der Hand über das Bett neben sich fuhr, fand sie es leer. Das war es, was es so besonders still gemacht hatte; sein Atem fehlte. Sie stand auf und tappte durch die dunkle Wohnung zur Küche.
- In der Küche trafen sie sich. Die Uhr war halb drei. sie sah etwas Weißes am Küchenschrank stehen. Sie machte Licht. Sie standen sich im Hemd gegenüber. Nachts. Um halb drei. In der Küche. Auf dem Küchentisch stand der Brotteller. Sie sah, dass er sich Brot abgeschnitten hatte. Das Messer lag noch neben dem Teller. und auf der Decke lagen Brotkrümel. Wenn sie abends zu Bett gingen, machte sie immer das Tischtuch sauber. Jeden Abend. Aber nun lagen Krümel auf dem Tuch. Und das Messer lag da. Sie fühlte, wie die Kälte der Fliesen langsam an ihr hoch kroch. Und sie sah von dem Teller weg.
- „Ich dachte, hier wäre was“, sagte er und sah in der Küche umher.
- Man sieht hier deutlich, dass der Mann versucht, sich rauszureden.
- „Ich habe auch was gehört“, antwortete sie,
- Hier merkt man, dass die Frau nicht auf das eigentliche Problem eingeht, sondern es ihrem Mann leichter machen will.
- und dabei fand sie, dass er nachts im Hemd doch schon recht alt aussah. So alt wie er war. Dreiundsechzig. Tagsüber sah er manchmal jünger aus. Sie sieht doch schon alt aus, dachte er, im Hemd sieht sie doch ziemlich alt aus. Aber das liegt vielleicht an den Haaren. Bei den Frauen liegt das nachts immer an den Haaren. Die machen dann auf einmal so alt.
- „Du hättest Schuhe anziehen sollen. So barfuß auf den kalten Fließen. Du erkältest dich noch.“
- Hier geht die Frau sogar noch weiter und zeigt sich fürsorglich.
- Sie will ihrem Mann helfen, jetzt schnell aus der Situation herauszukommen, indem er mit ihr wieder schlafen geht.
- Sie sah ihn nicht an, weil sie nicht ertragen konnte, dass er log. Dass er log, nachdem sie neununddreißig Jahre verheiratet waren –
- „Ich dachte, hier wäre was“, sagte er noch einmal und sah wieder so sinnlos von einer Ecke in die andere, „ich hörte hier was. Da dachte ich, hier wäre was.“
- Der Mann ist sich seiner Schuld bewusst.
- Deshalb geht er nicht sofort auf das Angebot der Frau ein.
- Vielmehr versucht er, einen möglichst harmlosen Eindruck von der Situation zu verbreiten.
- „Ich hab auch was gehört. Aber es war wohl nichts.“ Sie stellte den Teller vom Tisch und schnippte die Krümel von der Decke.
- Die Frau geht wieder darauf ein.
- „Nein, es war wohl nichts“, echote er unsicher.
- Der Mann bleibt auf seiner Linie.
- Sie kam ihm zu Hilfe: „Komm man. Das war wohl draußen. Komm man zu Bett. Du erkältest dich noch. Auf den kalten Fließen.“
- Hier noch mal der Versuch, den Mann aus der Situation heraus und ins warme Bett zu holen.
- Er sah zum Fenster hin. „Ja, das muss wohl draußen gewesen sein. Ich dachte, es wäre hier.“
- Auch hier wieder bleibt der Mann bei seiner Entschuldigungs- bzw. Erklärungslüge.
- Sie hob die Hand zum Lichtschalter. Ich muss das Licht jetzt ausmachen, sonst muss ich nach dem Teller sehen, dachte sie. Ich darf doch nicht nach dem Teller sehen.
- „Komm man“, sagte sie und machte das Licht aus, „das war wohl draußen. Die Dachrinne schlägt immer bei Wind gegen die Wand. Es war sicher die Dachrinne. Bei Wind klappert sie immer.“
- Die Frau geht auf den Mann zu und versucht noch einmal, ihn wegzubekommen.
- Sie tappten sich beide über den dunklen Korridor zum Schlafzimmer. Ihre nackten Füße platschten auf den Fußboden. „Wind ist ja“, meinte er. „Wind war schon die ganze Nacht.“
- Auch hier wieder – immer die gleiche Linie des Mannes.
- Als sie im Bett lagen, sagte sie: „Ja, Wind war schon die ganze Nacht. Es war wohl die Dachrinne.“
- Die Frau unterstützt ihn dabei.
- „Ja, ich dachte, es wäre in der Küche. Es war wohl die Dachrinne.“ Er sagte das, als ob er schon halb im Schlaf wäre.
- Noch mal dieselbe Geschichte.
- Aber sie merkte, wie unecht seine Stimme klang, wenn er log. „Es ist kalt“, sagte sie und gähnte leise, „ich krieche unter die Decke. Gute Nacht.“
- Die Frau macht dem ein Ende.
- „Nacht“, antwortete er noch: „ja, kalt ist es schon ganz schön.“
- Der Mann geht darauf ein, muss dann aber noch mal seine vermeintliche Sicht der Dinge präsentieren.
- Dann war es still.
- Nach vielen Minuten hörte sie, dass er leise und vorsichtig kaute. Sie atmete absichtlich tief und gleichmäßig, damit er nicht merken sollte, dass sie noch wach war. Aber sein Kauen war so regelmäßig, dass sie davon langsam einschlief. Als er am nächsten Abend nach Hause kam, schob sie ihm vier Scheiben Brot hin. Sonst hatte er immer nur drei essen können.
- „Du kannst ruhig vier essen“, sagte sie und ging von der Lampe weg. „Ich kann dieses Brot nicht so recht vertragen. Iss doch man eine mehr. Ich vertrage es nicht so gut.“
- Die Frau geht hier auf die Notlage des Mannes ein.
- Wahrscheinlich greift sie zu einer Notlüge, um es ihm leichter zu machen.
- Sie sah, wie er sich tief über den Teller beugte.
Er sah nicht auf. In diesem Augenblick tat er ihr leid. - „Du kannst doch nicht nur zwei Scheiben essen“, sagte er auf seinem Teller.
- Hier geht der Mann auf seine Frau zu und zeigt sich auch fürsorglich.
- „Doch, abends vertrag ich das Brot nicht gut. Iss man. Iss man.“
- Die Frau bleibt jetzt bei ihrer Linie.
- Erst nach einer Weile setzte sie sich unter die Lampe an den Tisch.
- Am Ende der wunderbare Satz, der zeigt, dass man auch ohne Worte kommunizieren und pragmatisch handeln kann.
- Denn sie akzeptiert ihren Mann so, wie er ist, sieht eher seine Notlage als seinen Verstoß gegen den natürlichen Interessenausgleich.
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