Charakteristik der Marquise in Kleists Novelle – Entwicklungsschritte (Mat6011)

Worum es hier geht:

In dem folgenden Schaubild haben wir versucht, wesentliche Stationen in der Entwicklung der Marquise hin zur Autonomie zusammenzustellen.

Dazu ein paar Hinweise:

  1. Von links nach rechts gibt es zunächst unten eine Entwicklung hin zur Selbstständigkeit, aber getrennt von den Eltern und noch in einem Zustand nur teilweise des Glücks.
  2. In der Mitte gibt es dann eine Entwicklung von rechts nach links, beginnend mit der Antwort-Annonce des Grafen und der Test-Aktion der Mutter, was dann zu ihrer Reue und zum Bündnis mit der Tochter führt.
  3. Daraus entwickelt sich nach oben das Bekenntnis des Grafen, zunächst die Zurückweisung als „Teufel“, dann der Weg des Zwangs-Kontraktes zu Ungunsten des Grafen, dessen „musterhaftes Betragen“ mit einer Belohnung durch Teilnahme an der Taufe des Kindes und schließlich das zweite Ja-Wort.
  4. Weil am Ende die Marquise eigentlich die Herrin des Verfahrens ist, haben wir die Schluss-Versöhnung auch rechts angeordnet – gewissermaßen auf der Autonomie-Säule.
  5. Die Seitenangaben beziehen sich auf die Reclam-XL-Ausgabe. Wir haben die E-Book-Variante genutzt, von daher können einzelne Seitenangaben leicht abweichen.

Mat1213 Charakteristik Marquise HP

Zusammenfassung: Eigenart und Bedeutung der Figur der Marquise

Vorbemerkung:

Wir bringen das hier immer in eine Reihenfolge, die man sich leicht merken kann und die man auch so in einer Klausur oder in einer mündlichen Prüfung präsentieren kann:

  1. Die Marquise ist eine der beiden Hauptfiguren der Novelle und wird bereits im Titel besonders genannt.
  2. Das lässt darauf schließen, dass sie eine entscheidende Rolle spielt in der Novellen-Eigenart: Die ist ja in der Regel durch einen „unerhörten“, einen besonderen, interessanten Vorfall gekennzeichnet.
  3.  Dazu kommt, dass die Novelle so aufgebaut ist, dass nicht komplett in chronologisch richtiger Reihenfolge erzählt wird. Vielmehr wird mit dem „unerhörten“ Vorfall begonnen. Der besteht darin, dass eine Frau, zudem eine adlige, etwas mutig an die Öffentlichkeit bringt, das sonst möglichst unter der Hand geregelt wurde.
  4. Damit ist schon das Spannungsfeld der Novelle im Hinblick auf die Figur bestimmt: Zum einen ist sie „Dame von vortrefflichem Ruf“ (S. 3) und zeigt sich in weiten Teilen auch ganz so, wie eine solche Dame sich um 1800 verhalten sollte.
  5. Sie ist am Anfang stark eingebunden in die autoritären Strukturen der damaligen Familie,
  6. gewinnt aber im Moment der größten Demütigung, nämlich beim Rauswurf aus dem elterlichen Haus, an innerer Größe: Nach der Verteidigung ihres Rechtes als Mutter an den Kindern heißt es – ausnahmsweise mal in einer Art Kommentierhaltung des Erzählers:
    „Durch diese schöne Anstrengung mit sich selbst bekannt gemacht, hob sie sich plötzlich, wie an ihrer eigenen Hand, aus der ganzen Tiefe, in welche das Schicksal sie herabgestürzt hatte, empor.“ (S.27)
  7. Diese Größe hält sie dann im Folgenden auch durch – zum Beispiel in ihrer distanzierten Haltung gegenüber dem Drängen des Grafen.
  8. Letztlich lässt sie sich dann aber doch auf das Vernünftige ein, nämlich in eine Art Wiedergutmachungs- und Bewährungsehe mit ihrem Vergewaltiger (wenn man von dieser Interpretation des Vorfalls während der Eroberung der Zitadelle ausgeht).
  9.  Sie behält am Ende auch das letzte Wort und macht ihrem Ehemann deutlich, dass sie hier mit ihm auf Augenhöhe steht. Nicht er beantwortet ihre Fragen, sondern sie beantwortet ihm sein und macht ihm etwas klar, worauf er auch selbst hätte kommen können.
  10. Insgesamt zeigt sich die Marquise also als eine Frau, die zwar in den Familien- und Geschlechterverhältnissen der Zeit um 1800 lebt, sich aber maximale Spielräume erkämpft und am Ende dadurch auch ihr Glück.

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