Christian Fürchtegott, Gellert, „Die Biene und die Henne“ (Mat5372)

Gefunden haben wir das Gedicht hier.

Christian Fürchtegott, Gellert

Die Biene und die Henne
  1. »Nun Biene«, sprach die träge Henne,
  2. »Dies muss ich in der Tat gestehn:
  3. So lange Zeit, als ich dich kenne,
  4. So seh‘ ich dich auch müßig gehn.
  5. Du sinnst auf nichts als dein Vergnügen;
  6. Im Garten auf die Blumen fliegen
  7. Und ihren Blüten Saft entziehn,
  8. Mag eben nicht so sehr bemühn.
  9. Bleib immer auf der Nelke sitzen,
  10. Dann fliege zu dem Rosenstrauch.
  11. Wär‘ ich wie du, ich tät‘ es auch.
  12. Was brauchst du andern viel zu nützen?
  13. Genug, dass wir so manchen Morgen
  14. Mit Eiern unser Haus versorgen.«
  • In der ersten Strophe macht die Henne die Biene an, weil sie nur von Blume zu Blume fliegt und anderen wenig Nutzen bringt. Sie dagegen würde wenigstens Eier für den Haushalt liefern.
  1. »O!« rief die Biene, »spotte nicht!
  2. Du denkst, weil ich bei meiner Pflicht
  3. Nicht so, wie du bei einem Eie,
  4. Aus vollem Halse zehnmal schreie:
  5. So, denkst du, wär‘ ich ohne Fleiß.
  6. Der Bienenstock sei mein Beweis,
  7. Wer Kunst und Arbeit besser kenne,
  8. Ich oder eine träge Henne?
  9. Denn, wenn wir auf den Blumen liegen,
  10. So sind wir nicht auf uns bedacht;
  11. Wir sammeln Saft, der Honig macht,
  12. Um fremde Zungen zu vergnügen.
  13. Macht unser Fleiß kein groß Geräusch,
  14. Und schreien wir bei warmen Tagen,
  15. Wenn wir den Saft in Zellen tragen,
  16. Uns nicht, wie du im Neste, heisch:
  17. So präge dir es itzund ein:
  18. Wir hassen allen stolzen Schein;
  19. Und wer uns kennen will, der muss in Rost und Kuchen
  20. Fleiß, Kunst und Ordnung untersuchen.
  • In der zweiten Strophe verteidigt sich die Biene dann.
  • Sie schreie nicht viel rum, sondern würde in aller Stille für Honig sorgen.
  • Dann bringt sie den Unterschied aus ihrer Sicht auf den Punkt:
    • Die Hühner schreien ihre großen Taten raus und sind auf schönen Schein aus.
    • Sie dagegen würden in aller Stille viel Nützliches erledigen, das könne man vor allem am kunstvoll gebauten Bienenstock sehen.
  1. Auch hat uns die Natur beschenkt
  2. Und einen Stachel eingesenkt,
  3. Mit dem wir die bestrafen sollen,
  4. Die, was sie selber nicht verstehn,
  5. Doch meistern und verachten wollen:
  6. Drum, Henne! rat‘ ich dir, zu gehn.«
  • In der 3. Strophe wird es dann ernst:
  • Die Biene verweist nämlich auf ihren Stachel,
  • mit dem sie die bestrafen könnten,
  • die – ohne Ahnung zu haben – andere runtermachen.
  • Am Ende dann der Rat an die Henne, schnell zu verschwinden.
  1. O Spötter, der mit stolzer Miene,
  2. In sich verliebt, die Dichtkunst schilt,
  3. Dich unterrichtet dieses Bild.
  4. Die Dichtkunst ist die stille Biene;
  5. Und willst du selbst die Henne sein,
  6. So trifft die Fabel völlig ein.
  7. Du fragst, was nützt die Poesie?[72]