Clemens Brentano, „In der Fremde“ (Mat1709)

Zu unserer Vorgehensweise

  • Was macht das Lyrische Ich?
    Wie immer empfehlen wir, auf das zu achten, was das sog. „Lyrische Ich“ eigentlich tut, wenn es etwas sagt. Und das ganze Gedicht ist ja nichts anderes als ein einziger Monolog.
  • Dann versuchen wir, die verschiedenen Signale zu bündeln, um Aussagerichtungen zu erkennen.
    Wichtig ist, dass man lückenhafte oder schwierige Stellen nur vorsichtig, also hypothetisch und möglichst mit Begründung mit Sinn füllt.
  • Im Sinne der Verstehenslehre der Hermeneutik, prüfen wir unsere Verständnisideen immer am Text und belegen sie möglichst weitgehend.
  • Wenn uns als Leser aus unserer Kenntnis anderer Texte etwas einfällt, so fügen wir das ein. Das sind aber dann keine Ergänzungen, die andere Leser auch einbringen müssen. Wir wollen nur deutlich machen, dass ein Gedicht ein Text ist, auf den man als Leser auch reagieren kann. Allerdings geht das dann schon über die Analyse hinaus in den Bereich der Interpretation.
Auswertung des Titels – erste Vorerwartungen
  • Der Titel setzt schon einen deutlichen Akzent, denn es geht nämlich um einen Ort, an dem man nicht heimisch ist und dann auch entsprechende Probleme haben kann.
Strophe 1: Geborgenheit beim Wandern

01 Weit bin ich einhergezogen
02 über Berg und über Tal,
03 und der treue Himmelsbogen
04 er umgibt mich überall.

  • Die erste Strophe schildert dann in typisch romantischer Weise die Situation des lyrischen Ichs.
  • Sie ist gekennzeichnet durch eine ausgediente Reisetätigkeit,
  • die aber vor allem mit Naturelementen verbunden wird.
  • Die zweite Hälfte der ersten Strophe wendet sich dann eher dem Inneren zu, nämlich dem Gefühl des Geborgenseins durch den Himmel, der sich über allem wölbt.
Strophe 2: Suche nach einer Herberge – auch in vertrautem Umfeld

05 Unter Eichen, unter Buchen
06 an dem wilden Wasserfall
07 muss ich nun die Herberg suchen
08 bei der lieb Frau Nachtigall.

  • Die zweite Strophe entfernt sich jetzt von dem Aspekt der Bewegung und wendet sich dem der Rast und der Unterkunft zu.
  • Es wird eher als Zwang empfunden, dass auch das in der freien Natur gesucht werden muss.
  • Aber auch hier gibt es mehr als nur Unbelebtes, nämlich zumindest einen Vogel, der wohl dem Himmel der ersten Strophe entspricht und damit zumindest ansatzweise ein positives Gefühl auslöst.
3. Strophe: Bestätigung der Erwartung auch einer guten Nachtruhe

09 Die im brünst’gen Abendliede
10 ihre Gäste wohl bedenkt,
11 bis sich Schlaf und Traum und Friede
12 auf die müde Seele senkt.

  • Diese Strophe bestätigt dann das, was man sich als Leser schon gedacht hat:
  • Diese Nachtigall stellt eine besondere Art von Herberge bereit, die am Ende dann einen ruhigen Schlaf ermöglicht.
Strophe 4: Positive und negative Gefühle – unabhängig vom Ort

13 Und ich hör‘ dieselben Klagen
14 und ich hör‘ dieselbe Lust
15 und ich fühl‘ das Herz mir schlagen
16 hier wie dort in meiner Brust.

  • Diese Strophe geht offensichtlich noch etwas genauer auf das ein, was von der Nachtigall zu hören ist und was wohl auch den Erfahrungen der Seelenlage des lyrischen Ichs entspricht,
  • nämlich ein Nebeneinander von Klagen und Lust.
  • Die letzten beiden Zeilen zeigen die Intensität der Gefühle, unabhängig von einem realen Ort.
  • Offensichtlich nimmt dieses lyrische Ich sich selbst überall hin mit.
Strophe 5: Zusammenfassung: Natur als Überall-Heimat

17 Aus dem Fluß, der mir zu Füßen
18 spielt mit freudigem Gebraus
19 mich dieselben Sterne grüßen
20 und so bin ich hier zu Haus.

  • Die letzte Strophe widmet sich dann einen ganz besonderen Ort, möglicherweise auch hier eher der Rest beziehungsweise der Ruhe.#
  • Der Himmelsbogen und dann die Nachtigall werden hier abgelöst von einem Fluss, der wie ein treuer Hund zu Füßen des lyrischen Ichs freudige Laute der Natur von sich gibt.
  • Außerdem meint das lyrische Ich im Spiegelbild der Wasseroberfläche „dieselben Sterne“ zu sehen wie an jedem anderen Ort (vergleiche den Himmelsbogen aus Strophe 1).
  • Und so schließt das Gedicht folgerichtig mit der Feststellung, dass das lyrische Ich hier wie an jedem anderen vergleichbaren Ort in der Fremde eigentlich zu Hause ist.

Aussagen des Gedichtes (Intentionalität)

Das Gedicht zeigt

  • dass man als wandelnder Mensch überall zu Hause sein kann,
  • wenn man das wahrnimmt, was im romantischen Sinne überall in der Natur gegeben ist:
  • Nämlich das, was Immanuel Kant als den gestirnten Himmel und damit Zeichen übergeordneter und umfassender Zusammenhänge der Natur und möglicherweise auch ansatzweise der Transzendenz bezeichnet hat.
    Der Hinweis auf Kant geht hier über die Analyse hinaus. Zu finden ist er u.a.
    hier.
    und
    hier.
    Der Sternenhimmel, die Nachtigall und der Fluss sind dabei die natürlichen Vermittler dieses übergeordneten Zusammenhangs.

Vergleich mit Günter Kunert, „Reiseresümee“

Der Vergleich findet sich auf der Seite:
https://schnell-durchblicken.de/guenter-kunert-reiseresuemee

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