Clemens Brentano, „Nach Sevilla, nach Sevilla“ – Analyse und Interpretation (Mat1710-nse)

Worum es hier geht:

Vorgestellt wird ein Gedicht, das typisch romantisch ist und dabei einen besonderen Akzent setzt, nämlich die überraschende Hervorhebung einer Vater-Tochter-Beziehung, mit der man als Leser nicht unbedingt rechnet. Man denkt eher an eine typische Partnerschaftsbeziehung.

Der Text des Gedichtes mit Erläuterungen

Zu finden  ist das Gedicht z.B. hier:
https://www.zgedichte.de/gedichte/clemens-brentano/nach-sevilla-nach-sevilla.html

Clemens Brentano

Nach Sevilla, nach Sevilla

  1. Nach Sevilla, nach Sevilla,
  2. Wo die hohen Prachtgebäude
  3. In den breiten Straßen stehen,
  4. Aus den Fenstern reiche Leute,
  5. Schön geputzte Frauen sehn,
  6. Dahin sehnt mein Herz sich nicht!
  • Der Sprecher beschreibt das prachtvolle, reiche Sevilla mit seinen großen Häusern und fein gekleideten Menschen.
  • Demgegenüber betont er, dass sein Herz sich nicht nach dieser äußeren Pracht sehnt.
  • Betont wird der Gegensatz von “geputzt” (äußerer, künstlich hergestellter Glanz) und “Herz” (Schlüsselbegriff der Romantik)
  • Sehnsucht als typisch romantisches Motiv
    —
  1. Nach Sevilla, nach Sevilla,
  2. Wo die letzten Häuser stehen,
  3. Sich die Nachbarn freundlich grüßen,
  4. Mädchen aus dem Fenster sehn,
  5. Ihre Blumen zu begießen,
  6. Ach, da sehnt mein Herz sich hin!
  • Hier verdeutlicht das lyrische Ich eine Veränderung oder Präzisierung seines Wunsches.
  • Er wünscht sich das einfache Sevilla am Stadtrand,
  • wo die Menschen sich freundlich grüßen
  • und Mädchen am Fenster Blumen gießen
  • ein Bild von Herzlichkeit und Nähe statt Reichtum.
  • Dazu die refrainartige Wiederholung des Sehnsuchtsmotivs
    —
  1. In Sevilla, in Sevilla
  2. Weiß ich wohl ein reines Stübchen,
  3. Helle Küche, stille Kammer,
  4. In dem Hause wohnt mein Liebchen,
  5. Und am Pförtchen glänzt ein Hammer.
  6. Poch ich, macht die Jungfrau auf!
  • Im dritten Teil wird klar, was man schon vermutet hat:
  • Dort wohnt sein Liebchen.
  • Der Sprecher kennt das kleine Haus, die helle Kammer – er stellt sich den Moment vor, wenn er anklopft und sie öffnet.
    —
  1. Guten Abend, guten Abend –
  2. Lieber Vater, setzt euch nieder,
  3. Ei, wo seid ihr dann gewesen?
  4. Und dann singt sie schöne Lieder,
  5. Kann so hübsch in Büchern lesen,
  6. Ach! und ist mein einzig Kind.
  • Dann die Überraschung, das lyrische Ich wird mit “lieber Vater” angeredet.
  • Interessant, wie ChatGPT diesen Anfang interpretiert hat:
    “Die Geliebte begrüßt ihn freundlich („Lieber Vater“ – wohl ein scherzhafter oder zärtlicher Ausdruck), singt und liest, und am Ende bekennt er: Sie ist sein einziges Glück.”
  • Das ist aus zwei Gründen kaum haltbar.
    • Zum einen kommt es zu keiner heißen Umarmung o.ä., wie es unter Verliebten wohl üblich wäre.
    • Und die junge Frau tut dann auch nur Dinge,
    • Die zur letzten Zeile passen – und die ist eindeutig.

Überlegungen zu den Aussagen bzw. der Intentionalität

Das Gedicht zeigt

  1. Sehnsucht – zunächst nach einem Ort
  2. Aber zu dem Teil des Ortes, der weniger äußeren Glanz zeigt als Einfachheit und Herz.
  3. Auch eine Bevorzugung von Natur im Vergleich zu steinernen Palästen
  4. Hervorhebung des Kleinen und vor allem der Reinheit des Zimmers
  5. Dann eine sehr familiäre Begrüßung
  6. Sinn der Tochter für Gesang und Bücher (Kunst und Bildung)
  7. Am Ende dann die Bedeutung der Tochter für das lyrische Ich

Thema

Das Gedicht beschäftigt sich im romantischen Sinne mit der Frage, was wichtig ist im Leben.

Sprachliche u.a. Mittel

  • Gegensatz von Prunkviertel und Vorstadt: ein klassisches romantisches Motiv (Kritik an Äußerlichkeit).
  • Wiederholung des Refrains „Nach Sevilla, nach Sevilla“ verstärkt den Sehnsuchtsrhythmus.
  • Sinnliche Bilder („Blumen begießen“, „helle Küche“, „stille Kammer“) schaffen Nähe und Wärme.
  • Das Anklopfen-Motiv (Z. 17 ff.) steht symbolisch für das Suchen nach Liebe und Aufnahme.
  • Nicht vergessen sollte man das Mittel der Überraschung, wenn plötzlich vom Vater die Rede ist, während die meisten wohl glauben, dass hier der partnerschaftliche Liebende seine Sehnsucht und ihre Erfüllung beschreibt.

Anregungen

  • Das Gedicht könnte besprochen werden im Hinblick auf die Frage, ob heute noch diese Haltung gegenüber dem wirklich Wichtigen in gleicher Weise zählt.
  • Damit inbegriffen ist die konkretere Frage, welche Rolle Ruhm und Reichtum spielen
  • Und vielleicht: Welche anderen Sehnsuchtsvarianten es gibt im Hinblick auf die eigene Entwicklung.

Weitere Infos, Tipps und Materialien