Epochenbegriffe in wissenschaftlicher Sicht – Auswertung eines Sachtextes (Mat7250)

Worum es hier geht:

Vorgestellt wird ein Auszug aus dem Buch „Literarischer Expressionismus“ von Frank Krause das im Rahmen der Wissenschaftsreihe utb des Wilhelm Fink Verlages in Paderborn im Jahre 2008 erschienen ist. Zu finden ist er dort auf den  Seiten 18-19.

Interessant an dem Text ist, dass er den Epochenbegriff, wie er in der Schule im Deutschunterricht verwendet wird, in einen wissenschaftlichen Zusammenhang stellt.

Im Einzelnen wird in dem Auszug das Folgende hervorgehoben.
Wir geben dabei jeweils den Anfang und das Ende des Abschnitts an, damit diese Ausführungen leicht nachverfolgt werden können.

Für die, die diesen Text im Rahmen des Deutschunterrichts analysieren sollen, formulieren wir hier zunächst eine Einleitung:

Einleitung zur Analyse
  • Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um Erläuterungen zum Epochenbegriff aus dem Jahre 2008. Verfasst worden sind sie von Frank Krause, der sie in einem Buch über literarischen Expressionismus veröffentlicht hat.
  • Thema sind wichtige Punkte, die beim wissenschaftlichen Umgang mit Epochenbegriffen im Bereich der Literaturgeschichte zu berücksichtigen sind.
Vorab zusammenfassende Auswertung
  1. Es handelt sich eindeutig um einen Text aus dem Wissenschaftsbereich, der besonders für Studierende der Germanistik interessant ist.
  2. Für den Deutschunterricht wichtig ist,
    1. dass die Epochenbegriffe sich meist erst nachträglich durchsetzen, weil erst im Rückblick etwas klarer wird.
    2. Am besten kann man das am Begriff des „Vormärz“ klarmachen – denn niemand in der Epoche wusste, dass er sich in einer Entwicklung hin zur Märzrevolution des Jahres 1848 befand. Und als die kam, war der Vormärz vorbei.
    3. Die Veränderungen bei der Klarheit können auch dazu führen, dass das Verständnis der Epoche und ggf. auch der Epochenbegriff sich später ändert.
      • Das gilt besonders im Hinblick auf die Aufklärung. Die wurde in der Zeit nach Immanuel Kant und Lessing vorwiegend positiv gesehen und trug ja auch zum Aufschwung der Wissenschaft bei.
      • Spätestens mit Sigmund Freuds Erkenntnissen zu den Grenzen unseres klaren Bewusstseins, musste man zurückhaltender im Hinblick auf die Fähigkeiten der Vernunft sein.
      • Und Immanuel Kants grandiose Beantwortung der Frage: „Was ist Aufklärung“ wird spätestens seit den immer raffinierter werdenden psychologischen Beeinflussungsmöglichkeiten weniger hoffnungsvoll betrachtet werden.
      • Zu verdanken ist den Philosophen Adorno und Horkheimer, dass sie in der sogenannten „Dialektik der Aufklärung“ darauf hingewiesen haben, dass die Aufklärung in ihrem Versuch, die Grenzen der Natur zu überschreiten, auch zu einer Entwicklung beigetragen haben, bei der man auch die Möglichkeiten der Herrschaft über den Menschen ausgetestet hat.
    4. Neben grundsätzlichen Änderungen in der Einschätzung einer Epoche gibt es natürlich auch die Notwendigkeit der Ausdifferenzierung.
      • Denn je intensiver man sich mit einem Phänomen beschäftigt, desto mehr erkennt man und muss es entsprechend ausdifferenzieren.
      • Beispiel: „Schauerromantik“.
    5. Man muss unterscheiden
      • zwischen der historischen Epoche, in der die Kennzeichen deutlich werden, und
      • späterer Wiederaufnahme dieser Kennzeichen.
      • Am besten ist das am Beispiel der Romantik festzustellen. Niemand kann einen Schriftsteller daran hindern, ein Gedicht mit Merkmalen dieser Epoche zu schreiben.
      • Dabei ist natürlich wichtig, dass das nicht mit Blick auf die frühere Romantik geschieht – denn dann wäre das Gedicht eher ein Beispiel für Intertextualität. Die bedeutet, dass jemand sich in seinem Text bewusst auf andere – und hier frühere – Texte bezieht.
      • Etwas Ähnliches kennt man aus der Mode, wo der „Retro“-Stil meist eine bewusste Wiederbelebung oder Anlehnung bedeutet.
    6. Wichtig ist auch, dass ein Epochenbegriff nicht den Blick darauf verstellt, dass kein Text nur die Kennzeichen einer Epoche aufweisen muss. So kann man etwa in Goethes „Faust“ nicht nur Elemente des Sturm und Drang und der Klassik entdecken, sondern auch der Romantik. Etwa wenn Faust sich am Anfang voller Sehnsucht dem Unbedingten zuwenden will – bis hin zur Bereitschaft zum totalen Risiko des eigenen Untergangs.
Abschnitt 1: Von „wie differenziert“ bis „einer kritischen Prüfung“
  • Im ersten Abschnitt vertritt der Verfasser die These, dass unabhängig von allen Detailproblemen die begriffliche Fassung von Epochen wichtig ist für das Geschichtsbewusstsein.
  • Was die Entstehung der Begriffe angeht, unterscheidet er zwei Varianten,
    • nämlich einen Begriff, der schon während der Strömung selbst entstanden ist,
    • und einen Begriff, der erst später zur Bezeichnung der Epoche verwendet worden ist.
    • Leider werden hier im Ausschnitt keine Beispiele genannt, am besten kann man das am Begriff des Vormärz festmachen. Die Schriftsteller der Epoche wussten natürlich nicht, dass es im März 1848 eine Revolution in Deutschland geben würde.
    • Ein Beispiel für die andere Variante ist die Romantik. Denn der wurde schon von Friedrich Schlegel, einem Schriftsteller der Zeit, geprägt.
      Goethe trug in gewisser Weise auch zur Verbreitung des Begriffes bei, denn er präsentierte folgende Negativvorstellung:
      „Das Klassische nenne ich das Gesunde und das Romantische das Kranke. Und da sind die Nibelungen klassisch wie der Homer, denn beide sind gesund und tüchtig. Das meiste Neuere ist nicht romantisch, weil es neu, sondern weil es schwach, kränklich und krank ist, und das Alte ist nicht klassisch, weil es alt, sondern weil es stark, frisch, froh und gesund ist. Wenn wir nach solchen Qualitäten Klassisches und Romantisches unterscheiden, so werden wir bald im reinen sein.“
      – Johann Wolfgang von Goethe an Eckermann, 2. April 1829
      https://de.wikipedia.org/wiki/Romantik
  • Deutlich gemacht wird vom Verfasser, dass das Epochenverständnis immer wieder neu überprüft werden muss.
Abschnitt 2: Von „Der Anspruch eines Epochenbegriffs“ bis „revidiert werden“
  • Hier betont der Verfasser, wie wichtig es ist, dass der Begriff zum Verständnis der Geschichtlichkeit der Texte beiträgt.
  • Ein Problem, das entstehen könnte, besteht darin, dass „anders gelagerte Tendenzen der relevanten Texte eines Zeitraums ausgeblendet“ werden.
  • Damit gemeint ist, was für die Schule auch besonders wichtig ist, dass die Zugehörigkeit zeitlich zu einer Epoche nicht bereits eine absolute Zugehörigkeit bedeutet.
  • Jeder Text kann neben der Hauptströmung auch auf frühere Epochen verweisen oder Züge später Epochen vorwegnehmen.
  • MIA: Das gilt besonders für die Epoche der Romantik, die gewissermaßen zeitlose Kennzeichen bereiterhält. Wenn heute jemand Sehnsucht nach etwas hat, was unbedingt erreicht werden soll – bis hin zum Risiko, dann entspricht das einer Grundhaltung der Epoche der Romantik. Und wenn so etwas in einem modernen Gedicht auftaucht, dann gehört das von den Kennzeichen her zur Romantik, auch wenn die literarische Epoche schon 200 Jahre zurückliegt.
  • MIA: Ähnliche Phänomene gibt es ja bei Moden (Retro-Stile).
  • Außerdem betont der Autor das Phänomen, dass eine allgemeine Strömung später differenziert wird (Frühromantik usw.). Auch der Begriff der „Schauerromantik“ stellt eine Differenzierung dar..
Abschnitt 3: Von „auch literaturhistorische Epochenkonstrukte“ bis „bezeichnet“
  • Hier geht es darum, dass auch Epochenkonstrukte, also Versuche, eine Epoche begrifflich zu fassen, dem Wandel ausgesetzt sind.
  • Was einen gewissen – etablierten – Kanon wichtiger Texte einer Epoche angeht, ist meistens eine Überarbeitung des Begriffs nicht notwendig.
  • Wenn sich aber das allgemeine historische Verständnis im Laufe der Zeit ändert, kann das auch Folgen haben für den Epochenbegriff.
  • MIA: Ein Beispiel könnte das Zeitalter des Idealismus sein. Das wurde aus kulturhistorischen Gründen besonders im Bildungsbereich noch lange nach Goethe als pädagogisch wertvoll sehr hochgehalten, während es immer schon und seit dem 20. Jhdt sicherlich vermehrt in der Bedeutung kritischer gesehen wird.
Abschnitt 4: Von „kulturgeschichtlich“ bis „Merkmal“
  • Hier wird darauf hingewiesen, dass ein Epochenbegriff sich natürlich nur dann durchsetzt, wenn er zum Verständnis der Epoche beiträgt.
  • Dafür gibt es eine natürliche Spannung zwischen dem, was der Begriff enthält, und dem, was man im Laufe der Zeit im Hinblick auf eine Epoche auch anders versteht.
  • Interessant auch der Hinweis, dass bei diesen Veränderungen auch einzelne Merkmale betroffen sein können.

Weitere Infos, Tipps und Materialien