Friedrich Hölderlin, „Abendphantasie“ (Mat7407)

Klassik zwischen Aufregung und Beruhigung

Abendphantasie

  1. Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt
  2. Der Pflüger, dem Genügsamen raucht sein Herd.
  3. Gastfreundlich tönt dem Wanderer im
  4. Friedlichen Dorfe die Abendglocke.
    • Die erste Strophe beschreibt eine friedliche Abendszene in einem ländlichen Dorf.
    • Ein Pflüger ruht vor seiner Hütte, sein Herd raucht, und die Abendglocke läutet gastfreundlich für Wanderer.
    • Diese Strophe vermittelt ein Gefühl von Ruhe, Zufriedenheit und Harmonie.
  5. Wohl kehren itzt die Schiffer zum Hafen auch,
  6. In fernen Städten, fröhlich verrauscht des Markts
  7. Geschäftger Lärm; in stiller Laube
  8. Glänzt das gesellige Mahl den Freunden.
    • In der zweiten Strophe weitet sich der Blick auf entfernte Städte.
    • Schiffer kehren in den Hafen zurück, der geschäftige Lärm des Marktes verstummt,
    • und Freunde genießen ein geselliges Mahl in einer stillen Laube.
    • Diese Strophe zeigt, wie der Abend überall Ruhe und Gemeinschaft bringt.
  9. Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen
  10. Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh und Ruh
  11. Ist alles freudig; warum schläft denn
  12. Nimmer nur mir in der Brust der Stachel?
    • Die dritte Strophe bringt einen Wendepunkt.
    • Das lyrische Ich fragt sich, wohin es gehört.
    • Es reflektiert darüber, dass die Menschen von Lohn und Arbeit leben und im Wechsel von Mühe und Ruhe Freude finden.
    • Doch das lyrische Ich spürt einen ständigen „Stachel“ in der Brust, der es nicht zur Ruhe kommen lässt.
  13. Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf;
  14. Unzählig blühn die Rosen und ruhig scheint
  15. Die goldne Welt; o dorthin nimmt mich,
  16. Purpurne Wolken! und möge droben
    • Hier wendet sich das lyrische Ich dem Abendhimmel zu.
    • Es sieht dort einen „Frühling“ aufblühen
    • und wünscht sich, von purpurnen Wolken dorthin getragen zu werden, wo Leid und Liebe in Licht und Luft zerrinnen könnten.
  17. In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb und Leid! –
  18. Doch, wie verscheucht von töriger Bitte, flieht
  19. Der Zauber; dunkel wirds und einsam
  20. Unter dem Himmel, wie immer, bin ich –
    • Doch der eben geäußerte Wunsch erweist sich als flüchtig,
    • und das lyrische Ich findet sich wieder einsam unter dem Himmel.
  21. Komm du nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt
  22. Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja,
  23. Du ruhelose, träumerische!
  24. Friedlich und heiter ist dann das Alter.
    • In der letzten Strophe ruft das lyrische Ich den sanften Schlummer herbei.
    • Es erkennt, dass das Herz zu viel begehrt
    • und die unruhige, träumerische Jugend vergehen wird.
    • Die Strophe endet mit der Aussicht auf ein friedliches und heiteres Alter.

Zusammenfassung:

  • Insgesamt zeigt das Gedicht
  • den Kontrast zwischen der äußeren Ruhe des Abends
  • und der inneren Unruhe des lyrischen Ichs.
  • Es thematisiert
    • die Sehnsucht nach Frieden
    • und Erlösung
    • sowie die Erkenntnis,
      dass diese möglicherweise erst im Alter gefunden werden können.
  • Zur Klassik passt das Gedicht, weil es die Spannung zwischen dem Ideal einer friedvollen, geordneten Welt und der inneren Unruhe des lyrischen Ichs thematisiert.
  • Das entspricht der klassischen Vorstellung von der Suche nach Harmonie zwischen Gefühl und Vernunft.
Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Stuttgart 1946, S. 297-298.
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