Goethe, „Gefunden“ – oder die Frage, wie man mit etwas Schönem umgehen sollte

Johann Wolfgang von Goethe

Gefunden

  • Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Gefunden“ von Johann Wolfgang (von) Goethe.
  • Das Thema lässt man erst mal frei, weil man das Gedicht ja erst verstanden haben muss. Dann erst weiß man genau, worum es geht.
  • Es besteht aus 5 Strophen mit jeweils vier Versen.
  • Das Reimschema ist abac, d.h. nur die 2. und 4. Zeile reimen sich jeweils.
  • Das Versmaß ist zweihebiger Jambus, d.h. ein Paar aus zwei Silben beginnt mit einer unbetonten Silbe (Senkung), dann folgt eine betonte Silbe (Hebung).
  1. Ich ging im Walde
  2. So vor mich hin,
  3. Und nichts zu suchen,
  4. Das war mein Sinn.
  • In der ersten Strophe beschreibt das lyrische Ich, wie es einfach durch den Wald spazierte.
  • Es macht sich dabei nicht viele Gedanken.
    • Leserlenkung:
      Am Anfang eine ganz normale Situation im Alltag. Man erwartet dabei nicht viel, hat auch keine großen Ziele.
  1. Im Schatten sah ich
  2. Ein Blümlein stehn,
  3. Wie Sterne blinkend,
  4. Wie Äuglein schön.
  • In der 2. Strophe wird dieses Einfach-so-vor-sich-hin-Laufen unterbrochen.
  • Das lyrische Ich sieht nämlich im Schatten der Bäume eine kleine Blume.
  • Es hat den Eindruck, dass es mit schönen Augen von dieser Blume angeschaut wird. Ihm kommt es vor, als würden da sogar Sterne blinken.
    • Leserlenkung::
    • In dieser Strophe passiert das, was immer wieder passieren kann. Man wird überrascht – und zwar sehr positiv.
    • Das lyrische Ich hat das Gefühl, dass da eine Beziehung ist zwischen ihm und der kleinen Blume.
    • Wer sich ein bisschen mit plötzlicher Verliebtheit auskennt, könnte auf den Gedanken kommen, dass hier genau so etwas stattfindet – wenn auch „nur“ mit einer Blume.
    • So verliebt man sich auch in ein Kleidungsstück oder in einen Ort.
  1. Ich wollt es brechen,
  2. Da sagt‘ es fein:
  3. Soll ich zum Welken
  4. Gebrochen sein?
  • In der dritten Strophe will das lyrische Ich dann das tun, was man mit schönen Blumen unterwegs macht, man nimmt sie mit.
  • Das lyrische Ich meint dann, von der Blume zu hören, dass sie ja sterben müsse, wenn sie hier von ihrer Wurzel getrennt wird.
    • Leserlenkung:
    • Hier macht das Wort „brechen“ aber schon deutlich, dass die Blume dabei aus ihrem natürlichen Umfeld gerissen wird.
  1. Mit allen Wurzeln
  2. Hob ich es aus,
  3. Und trugs zum Garten
  4. Am hübschen Haus.
  • In dieser Strophe reagiert das lyrische Ich darauf positiv.
  • Es nimmt die Blume zwar mit,
  • aber mit den Wurzeln
  • und pflanzt es im eigenen Garten ein.
    • Leserlenkung:
    • Deutlich wird hier, dass die Beziehung zwischen Pflanze und Mensch nicht nach dem Motto lief: Ich will dich haben.
    • Sondern es wird Rücksicht genommen.
    • Und am Ende wird deutlich, dass das schöne Haus des lyrischen Ichs ja dadurch noch schöner geworden ist.
    • Man merkt hier schon, dass das Gedicht zeigen will, dass es eine Alternative gibt zum Alles-an-sich-Reißen.
  1. Ich pflanzt es wieder
  2. Am kühlen Ort;
  3. Nun zweigt und blüht es
  4. Mir immer fort.
    • In der letzten Strophe geht das lyrische Ich noch einmal genauer auf das Einpflanzen ein.
    • Es wählt eine kühlen Stelle, die dem Schatten am Ausgangsplatz entspricht.
    • Am Ende dann die Feststellung, dass da nicht eine Blume in der Vase verdorrt, sondern das lyrische Ich auf Dauer etwas von ihr hat.

Als nächstes klärt man:

  1. Die Aussagen des Gedichtes:
    Es zeigt,

    • dass man im Alltag überrascht positiv werden kann, wenn man die Augen offen hält.
    • dass man nicht alles einfach an sich reißen soll,
    • sondern besser behutsam mit dem Schönen umgeht, das man da gefunden hat,
    • weil man damit am Ende mehr hat, als wenn man etwas nur einfach so mitnimmt und damit möglicherweise auch beschädigt.
  2. Jetzt man die Antworten, die das Gedicht gibt.
    Nun kann man die Frage suchen, die dahintersteckt.
    Die könnte man so formulieren:
    Das Gedicht beschäftigt sich mit der Frage, wie man mit etwas Schönem umgehen sollte, das man überraschenderweise findet und das man gerne für sich haben möchte.
  3. Sprachliche/rhetorische/literarische Mittel:
    • Die große künstlerische Idee, die Goethe hatte, ist,
      • zu zeigen, dass man Schönes nicht einfach mitnehmen und dabei herausreißen sollte.
      • Vielmehr soll man mit seiner Lebensgrundlage vorsichtig herausholen und möglichst bei sich an passender Stelle unterbringen.
      • Dann hat man länger oder gar auf Dauer etwas davon.
      • Die literarischen Mittel, also die große Idee, die Goethe hatte, war eben
        • Zum einen das Beispiel einer schönen Blume,
        • Bei der dann zwei Möglichkeiten des Umgangs gezeigt wurden.
      • Ein zweites Mittel ist die Betonung der Überraschung in der ersten Strophe
      • Und dann die Hervorhebung des genauen Hinsehens – sogar auf den Schatten wird geachtet.
      • Die Verkleinungsform „Blümlein“ nutzt dann eine Art „Kindchenschema“. Das ist das, was nicht nur neugeborene Kinder, sondern auch junge Tiere besonders niedlich aussehen lässt und anziehend macht.
        Das wird dann noch durch „Äuglein“ verstärkt.
      • Ein wichtiges Mittel ist der Vergleich der Blüten der Blume mit Augen, was dann sogar mit Sternen verglichen wird. Das geht schon in Richtung Romantik.
      • Zum „Kindchenschema“ gehört dann auch die Sprechweise („fein“), die im völligen Kontrast steht zum brutalen „brechen“.
      • Dieses Wort wird dann sogar von der Blume wiederholt,
      • Die ihre anschließende Zukunft nur noch auf das Welken, also das Sterben reduziert. Dass diese Blume auch verschenkt werden kann und dann am Bett eines kranken Menschen zum Beispiel Schönheit verbreiten kann, bleibt ausgespart.
      • Der Schluss des Gedichtes gestaltet dann das Gegenstück dazu, einen Kompromiss zwischen Mitnehmen und Sterben der Pflanze.
      • Wichtig ist, dass das lyrische Ich hier auch den passenden Platz findet: Zum schattigen Ausgangsort passt der kühle Ort, an dem die Blume eingepflanzt wird.
      • Dann ein besonders betonter Schluss, der deutlich macht, dass das lyrische Ich klugerweise auf die Blume gehört hat – denn jetzt hat es noch mehr und länger was von ihr.
      • Ob die Blume dort aber genauso glücklich ist, wie am Augangsort, bleibt offen.
      • Hier kann man noch schön eine Strophe anhängen, in der die Blume sich wieder an das lyrische Ich wendet. Goethe wäre wahrscheinlich begeistert davon – oder vielleicht doch nicht.

Und damit ist man bei einer Interpretation, die diesen Umgang mit einer Blume zum Beispiel auf Goethes Beziehung zu seiner auch überraschend mitgenommenen Frau hatte. Diese Christiane Vulpius – die aus einfachen Verhältnissen kam – lernte er auch nur durch Zufall kennen, lebte dann viele Jahre in wilder Ehe, wie man das damals nannte. Nachdem sie ihm möglicherweise sogar das Leben gerettet hatte, hat Goethe sie als Minister des Landesherren dann tatsächlich geheiratet. Es war ein Skandal für die Gesellschaft, aber ein großes Zeichen von Liebe.

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