Aufgabenstellung:
- Analysieren Sie die unten abgedruckte Szene aus Büchners „Woyzeck“, indem Sie
- zunächst klären, wie die Situation von Marie und Woyzeck zu Beginn der Szene sich darstellt und welchen Stand ihre Beziehung hat,
- die Signale aus der Szene herausarbeiten, die die Ausgangssituation betreffen und unser Verständnis von ihr erweitern,
- die Signale – unter Zuhilfenahme des Satzanfangs „Die Szene zeigt …“ zu Aussagen bündeln,
- einige sprachliche und rhetorische Mittel aufführen und erläutern, die die Aussagen unterstützen.
- Nehmen Sie Stellung zur These, dass Marie die eigentliche Hauptfigur des Dramas ist, weil man sie als frühe Vertreterin der Emanzipation der Frau betrachten kann und das auch noch für uns heute von Bedeutung ist.
Quelle: Georg Büchner: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1–2, Band 1, Reinbek 1967–1971, bzw. München 21974, S. 170-171. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20004637720
Der Text der Szene mit Hilfen zum Verständnis – sprachlich vereinfacht – mit Erläuterungen
Marie sitzt, ihr Kind auf dem Schoß, ein Stückchen Spiegel in der Hand.
MARIE bespiegelt sich. Was die Steine glänzen! Was sind’s für? Was hat er gesagt? – Schlaf Bub! Drück die Auge zu, fest,
Das Kind versteckt die Augen hinter den Händen.
Marie: noch fester, bleib so, still oder er holt dich. Singt.
Marie sing: Mädel mach’s Ladel [Fensterladen] zu,
Es kommt ein Zigeunerbub, [steht hier für fahrende Leute, denen man gegenüber damals Vorurteile hatte]
Führt dich an deiner Hand
Fort in’s Zigeunerland.
Spiegelt sich wieder. Es ist gewiß Gold! Unseins hat nur ein Eckchen in der Welt und ein Stückchen Spiegel und doch hab‘ ich einen so roten Mund als die großen Madamen [Frauen der höheren Gesellschaftsschichten] mit ihren Spiegeln von oben bis unten und ihren schönen Herrn, die ihnen die Händ küssen, ich bin nur eine arme Frau. –
Das Kind richtet sich auf.
Marie: Still Bub, die Auge zu, das Schlafengelchen! wie’s an der Wand läuft, Sie blinkt mit dem Glas. die Augen zu, oder es sieht dir hinein, dass du blind wirst.
Woyzeck tritt herein, hinter sie.
Marie fährt auf mit den Händen nach den Ohren.
WOYZECK. Was hast du?
MARIE. Nix.
WOYZECK. Unter deinen Fingern glänzt’s ja.
MARIE. Ein Ohrringlein; hab’s gefunden.
WOYZECK. Ich hab so noch nichts gefunden. Zwei auf einmal.
MARIE. Bin ich ein Mensch?
WOYZECK. Es ist gut, Marie. – Was der Bub schläft. Greif‘ ihm unter’s Ärmchen der Stuhl drückt ihn. Die hellen Tropfen steh’n ihm auf der Stirn; Alles Arbeit unter der Sonn, sogar Schweiß im Schlaf. Wir arme Leute! Da ist wieder Geld Marie, mein Lohn und was von meinem Hauptmann.
MARIE. Gott vergelt’s Franz. [drückt Dank aus]
WOYZECK. Ich muss fort. Heut Abend, Marie. Adies. [Auf Wiedersehen]
MARIE allein, nach einer Pause. Ich bin doch ein schlechter Mensch. Ich könnt‘ mich erstechen. – Ach! Was Welt? Geht doch Alles zum Teufel, Mann und Frau!