Kleists zerbrochener Krug – das falsche corpus delicti (Mat7356-dfc)

Worum es hier geht:

Kunst und damit auch Literatur kann aufregen – und das ist auch gut so.

So ist es einem unserer Mitstreiter gegangen – und daraus ist dieser Text entstanden. Er muss sicher noch überarbeitet werden – dürfte aber schon die Chance bietet, einen Klassiker als Schullektüre auch mal kritisch zu überprüfen.

Vielleicht sind Schüler und Schülerinnen dann auch mehr motiviert, sich auch mit diesen alten Texten zu beschäftigen. Es lohnt sich dann vielleicht mehrfach 😉

Clip Klaro

Ein Klassiker – sicher – auch ganz lustig – aber was bringt Kleists Komödie eigentlich?

Wer Der zerbrochene Krug von Heinrich von Kleist liest, hat zu Beginn oft das Gefühl, in einen Krimi hineinzurutschen: Ein Verbrechen ist geschehen (ein Krug wurde zerschlagen), es gibt Verdächtige, Aussagen, einen Verhörprozess – und ganz am Ende kommt die Wahrheit ans Licht. Das klingt nach einem klassischen analytischen Drama. Doch je weiter das Stück voranschreitet, desto deutlicher wird: Wirklich ernst scheint das Ganze nicht gemeint zu sein. Die Sprache ist überdreht, die Situationen wirken komisch bis grotesk, und die Hauptfigur, der Richter Adam, ist eine einzige Karikatur: verlogen, schlitzohrig, körperlich lädiert und moralisch komplett daneben. Und trotzdem soll er Recht sprechen?

Natürlich kann man darüber lachen. Aber genau da beginnt mein Problem mit dem Stück. Denn obwohl hier Strukturen des analytischen Dramas verwendet werden – wie wir sie etwa aus Ödipus kennen –, bleibt die Wirkung oberflächlich. In Ödipus geht es um Wahrheit, Schuld und Selbstverblendung. Ein König sucht nach einem Mörder und erkennt am Ende: Er selbst ist es. Die Konsequenzen sind tragisch, das Nachdenken unvermeidlich. Bei Kleist dagegen? Da zerbricht ein Krug, der Richter windet sich durch Ausflüchte und Ausreden, es wird viel geredet, viel gelacht – und am Ende? Gibt es keine echte Aufarbeitung, keine Konsequenz, kein Systemwandel. Der Richter wird zwar entlarvt, aber damit ist das Problem nicht gelöst.

Denn in Wirklichkeit geht es um üblen Machtmissbrauch eines Vertreters der staatlich organisierten Gerechtigkeit. Was würde von der Komödie übrigbleiben, wenn es zu einer Vergewaltigung gekommen wäre. Was wäre gewesen, wenn Eve dann ins Wasser gegangen wäre, wie man den Selbstmord so beschönigend umschreibt. Auch der Gerichtsrat ist anscheinend mehr an einem Kuss interessiert, der in einer Verfilmung sich nicht mit der Wange begnügt. Man stelle sich mal vor, wie das heute beurteilt würde. In der Literatur über das Stück scheint das keine Rolle zu spielen. Kleist und sein Lustspiel haben eben  Denkmalcharakter erreicht – aber auch die können gestürzt oder zumindest mit einem Warnhinweis versehen werden.

Die entscheidende Frage ist also: Was bringt uns das Stück wirklich? Dass Autoritäten lügen können? Dass die Justiz versagt, wenn sie nicht kontrolliert wird? Dass Macht oft lächerlich wirkt? Das ist alles nicht falsch – aber es wird so breitgetreten und verspielt dargestellt, dass der eigentliche Ernst dahinter fast verloren geht. Die Probleme, die sichtbar werden, werden nicht behoben. Und wer darauf hofft, dass der Fall ein Umdenken auslöst, wartet vergeblich.

Deshalb mein Fazit: Der zerbrochene Krug ist ein ganz amüsantes Theaterstück – aber wenn man es als analytisches Drama versteht, bleibt es enttäuschend flach. Es wird ermittelt, aber das bleibt auf den äußerlichen Fall konzentriert – die wirklichen Probleme dahinter werden durch Gelächter verdeckt. Es wird ein bisschen entlarvt, aber nichts verändert. Es wird gelacht – aber nichts gelernt.

Von daher taucht wieder mal die Frage auf: Was bringt so ein Werk im Deutschunterricht, wenn es eher als Element der Literaturgeschichte analysiert wird, ohne wirkliche Probleme zu erkennen und auch die Frage nach der Bedeutung für die Gegenwart zu stellen.