Künstlerische Mittel – Warum „suchen“ statt einfach „finden“? (Mat1168)

Das Elend mit den „künstlerischen Mitteln“

Kurz-Info

  • Die meisten Schüler leiden, wenn sie in literarischen Texten die sprachlichen / künstlerischen/ rhetorischen Mittel heraussuchen sollen. Kurz zu den Begriffen:
    • „sprachliche Mittel“ = der engste Begriff, der aber bei Texten, vor allem Lyrik, die Hauptrolle spielt
    • „stilistische Mittel“ = ein Begriff, der vor allem auf die Eigenart des Schreibens abhebt, die in einem Text deutlich wird, weitgehend deckungsgleich mit den „sprachlichen Mitteln“
    • „rhetorische Mittel“ = zum Teil den anderen beiden Begriffen gleichgesetzt, es geht aber um mehr, nämlich die Strategie, die ein Text enthält, um bestimmte Ziele zu erreichen (abgeleitet von den Mitteln, die Redner nutzen)
  • Meistens werden sie nur aufgezählt und nicht in ihrer Funktion für die Aussage berücksichtigt.
  • Deshalb schlagen wir eine andere Herangehensweise vor:
    • Als erstes das Trainieren der Wahrnehmung des Besonderen
    • Dann das Üben im Erkennen des Besonderen und seiner Funktion für die Gesamtaussage des Textes
    • Schließlich als eine Art Sahnehäubchen noch die Nennung des Fachbegriffs – was unserer Auffassung nach eher eine Frage der Fachwissenschaft ist, zumindest wenn es um Mittel wie Asyndeton oder Zeugma geht.
  • Zu dem Thema haben wir ein Video gemacht, das
  • Hier folgen nun ausführlichere Überlegungen zum Thema sowie auch Beispiele

Ausführlichere Überlegungen zur Problematik der „künstlerischen“ Mittel

  • Warum es ein Elend ist, wie heute in der Schule mit Literatur umgegangen wird
    Ganz gleich, ob es um „künstlerische Mittel“ oder „sprachliche Mittel“ oder „rhetorische Mittel“ geht – sie lösen bei Schülern etwas zwischen Ärger und Ängsten aus. Meistens hat man eine lange Liste zwischen „Alliteration“ und „Zeugma“ im Kopf und sucht dann verzweifelt in einem Gedicht oder einer Kurzgeschichte danach.Ganz anders sieht es aus, wenn man Musik hört: Der erste Song „geht so“, der zweite ist „recht gut“, beim dritten denkt man „Ich fasse es nicht!“ Damit sind wir schon am entscheidenden Punkt: Wir spüren etwas und verstehen langsam, warum der Song uns so beeindruckt – und dann vergessen wir ihn nicht, empfehlen ihn anderen weiter – während das bei Gedichten in der Schule kaum geschieht.
  • Das Schaubild macht die „Unnatürlichkeit“ deutlich, die häufig beim Umgang mit Literatur im Deutschunterricht zu beobachten ist.
  • Die Schüler leiden und vergessen bzw. verdrängen all die künstlerischen Mittel, sobald sie die Schule verlassen haben – außer den wenigen, die Germanistik studieren.
  • Im privaten und dann auch im öffentlichen Raum spielen künstlerische und besonders auch rhetorische Rolle aber eine sehr große Rolle und werden dort auch ganz natürlich positiv wahrgenommen.

Was wäre die Alternative?

  1. Dabei könnte es ganz anders und viel schöner sein:
    Literatur nannte man früher auch „schöngeistig“ oder mit einem französischen Fremdwort: „Bellestristik“. Warum sich also nicht vom Schönen anrühren lassen statt sich mit Schweiß auf der Stirn „Arbeit“ zu machen?
    Also: Lieber „finden“ statt „suchen“. Und zwar „finden“ im Sinne von „Ich finde es schön hier“ – man hat gar nicht damit gerechnet, wird aber richtig „schön“ überrascht.
  2. Was sind „künstlerische Mittel“ eigentlich?
    1. Wenn immer man Sprache einsetzt, gibt es zwei Ebenen: einmal den Inhalt und dann die Verpackung.
    2. Das merkt man zum Beispiel an einem Referat,
      1. bei dem jemand nicht so beginnt:
        „In meinem Vortrag möchte ich euch etwas über die Geschichte des PCs erzählen.“
      2. sondern so:
        „Wusstet ihr eigentlich, dass die Computer, wie wir sie heute auf den Tischen stehen haben, mehr oder weniger im Drogensumpf entstanden sind?“
      3. Hier hat man zum einen eine Übertreibung, zum anderen setzt man das Mittel der Überraschung ein.
      4. Das klärt sich dann später auf: Man hat in einer Biografie des Apple-Gründers Steve Jobs geblättert und ist darauf „gestoßen“, dass einer der Gründerväter der heutigen Personal-Computer-Welt ein „Hippie und Milliardär“ war. In der Beschreibung einer entsprechenden Fernseh-Serie heißt es:
        „Steve Jobs, war ein langhaariger Studienabbrecher mit schier grenzenlosem Ehrgeiz, ein inspirierender Perfektionist mit den Launen eines Tyrannen. Dieser Mann voller Gegensätze verband die lässige Kultur Kaliforniens mit einer virtuosen Handhabung von Hype und bahnbrechenden Fortschritten in der Computer-Technologie.“
        https://www.fernsehserien.de/filme/steve-jobs-hippie-und-milliardaer
      5. Fazit: Mit solch einem Einstieg hat man nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch noch Spannung, wie aus einem Hippie ein Milliardär werden konnte.
    3. „Künstlerische“ / „Sprachliche“ / „Rhetorische“ Mittel: Verschiedene Begriffe für fast die gleichen Dinge
      Weil es hier um Tricks bei Vorträgen geht, spricht man auch von „rhetorischen“ Mitteln – weil sie vor allem in Reden eingesetzt werden.
      Natürlich auch in  anderen Texten, die was erreichen wollen.
      Diese rhetorischen Mittel sind genauso wie Künstlerische Mittel oder sprachliche Mittel oder Stilmittel nichts anderes als Abweichungen vom normalen Gebrauch der Sprache. Und das macht sie eben schön und nebenbei auch effektvoll.
      In gewisser Weise haben diese Mittel etwas mit Werbung zu tun. Denn die will ja vor allem Aufmerksamkeit erregen – und das ist hoffentlich bei einem guten Referat auch der Fall.
    4. Noch ein kleiner Nachtrag: Was andere so im Angebot haben
      Wir sind zum Beispiel durch Zufall auf die folgende Seite gestoßen:
      https://www.karstennoack.de/rhetorische-stilmittel-rhetoriktrainer-berlin/
      Die trägt den Titel: „Rhetorische Mittel bis zum Abwinken. Entstauben und den sprachlichen Schatz bewundern.“
      Das sind sehr schöne Formulierungen – und wir ahnen schon, dass die Macher der Seite selbst dabei schon wieder drei Mittel verwendet haben („bis zum Abwinken“, „Enstauben“ und „sprachlicher Schatz“)
  3. Unser Vorschlag
    ist nun, dass man in der Schule vor allem beim Umgang mit Literatur weggeht vom mühsamen Suchen nach diesen Mitteln – sondern das Gespür trainiert, das Schöne im Sinne des Besonderen überhaupt zu sehen.

    1. Also: Erst kommt die Wahrnehmung: Da ist doch etwas Besonderes, was auffällt.
      „Steve Jobs – Hippie und Milliardär“.
    2. Dann kommt die Erklärung, was ist das Besondere überhaupt:
      Hier geht es um eine Überraschsung und einen (scheinbaren Gegensatz).
    3. Und auf der dritten Stufe sucht man erst dafür Fachbegriffe. Die sind nämlich eigentlich eine Angelegenheit der Germanistik, also der Uni-Wissenschaft der deutschen Sprache und Literatur.
      Und wieviele Schüler studieren später Germanistik?
      Also: Konzentrieren wir uns auf die ersten beiden Stufen – und bieten die dritte Stufe als Expertenwissen an.
      Übrigens: Das Fachwort für „Gegensatz“ von Hippie und Milliardär heißt:
      Und das Mittel der Überraschung nennen Rhetorik-Experten: „Sustentio(n)“: von „sustinere“ = „zurückhalten“ (und dann erst Klarheit schaffen) – wie bei einem Witz: Es wird Spannung aufgebaut, die dann aufgelöst wird.
  4. Beispiele für schöne sprachliche Aufmerksamkeits-Erreger

    1. Ein berühmter Mann aus dem alten Rom verschwendete nicht viele Worte, sondern sagte einfach:
      1. Stufe 1: So steht es da: „Ich kam, sah und siegte.“
      2. Stufe 2: Das erkennt man schnell: Es ist eine Aneinanderreihung von Verben mit einer Steigerung bzw. einem Höhepunkt am Ende.
      3. Stufe 3: Den oder die Fachbegriffe könnte man sich merken: Asyndeton = eine Aneinanderreihung von Begriffen, die nicht verbunden werden und in die gleiche Richtung gehen.
      4. Für Interessierte ein Link:
        https://de.wikipedia.org/wiki/Veni,_vidi,_vici
        Dort findet man auch wieder ein schönes Beispiel für „Überraschung“:
        „In dem französischen Zeichentrickfilm
        Asterix – Sieg über Cäsar (1985) stellte ein Zenturio nach der Demolierung seines Lagers durch die Gallier fest: „Ich kam, ich sah, ich siegte nicht.“ („Veni, vidi, non vici.“) In dem nachfolgenden Film Asterix bei den Briten (1986) kommentierte Caesar die recht stümperhafte Landung seiner Truppen auf der britischen Insel mit den Worten: „Ich, Cäsar, kam, sah und traute meinen Augen nicht.“
    2.  Da Cäsar lateinisch sprach, konnte er bei seinem berühmten Spruch gleich noch ein zweites Mittel einsetzen:
      1. Stufe 1: So steht es da: „Veni, vidi, vici.“
      2. Stufe 2: Das erkennt man schnell, auch ohne Latein zu können: Alle drei Wörter beginnen mit dem gleich Buchstaben und auch mit dem gleichen Laut.
      3. Das ist eigentlich entscheidend, der gleiche Anlaut vorne, das Fachwort dafür lautet „Alliteration“.
    3. Und man kann bei Cäsar noch ein weiteres Mittel erkennen, nämlich die Steigerung hin zu einem Höhepunkt am Ende: „siegen“ war schließlich sein Ziel beim „Kommen“ und „Sehen“ – und das hat er erreicht.
      Und das Fachwort dafür heißt „Klimax“.
    4. Während in Gedichten zum Teil recht extreme Mittel verwendet werden, kommt es etwa in einer Kurzgeschichte darauf an, auch halb versteckte Mittel zu erkennen. Dafür das folgende Beispiel:
      1. „Diese Menschen brauchen nach dem Erdbeben erst mal ein Dach über dem Kopf.“
      2. Die meisten merken gar nicht, dass es darum gar nicht geht, dann könnte man auch im Carport leben. Vielmehr nutzt man hier das Mittel, nur einen Teil eines Hauses oder einer Wohnung zu benennen, was eben Abwechslung ist zu „Diese Menschen brauchen nach dem Erdbeben erst mal eine Wohnung.“ Zugleich wird hier „Dach“ mit „Schutz“ verbunden, was sehr gut passt.
      3. Das Fachwort heißt übrigens: „Pars pro toto“ – einen Teil nennen und das Ganze meinen.
    5.  In Reden gibt es natürlich besonders viele rhetorische Mittel, zum Beispiel:
      1. „Der Vater des Wirtschaftswunders“ und gemeint ist Ludwig Erhard, der wichtige Wirtschaftsminister nach dem Zweiten Weltkrieg.
        Oder „Das Auge des Gesetzes“ für einen Polizisten.
      2. Hier überlegt man vielleicht ziemlich lange, was das sein könnte. Da ist es gut, wenn man auf „Umschreibung“ kommt.
      3. Und das Fachwort dafür heißt „Periphrase“.
    6. Besonders häufig in Gedichten kommen Wendungen vor wie:
      1. „Aufgestanden ist er, welcher lange schlief“ – und gemeint ist der Krieg.
      2. Man merkt, dass der Krieg hier behandelt oder vorgestellt wird wie ein Mensch.
      3. Das Fachwort kann man leicht merken: „Personifikation“.
    7. Aufpassen muss man bei Wendungen wie:
      1. „In der Sonne sitzen.“ Oder man ist „todmüde“. Das hört sich inzwischen ganz normal an.
      2. In Wirklichkeit liegen natürlich hemmungslose Übertreibungen vor. Denn man sitzt nur im Schein der Sonne und man ist nur sehr müde und will ohne Schmerz und mit Erwartung eines besseren Wachseins in einen traumlosen Schlaf sinken.
      3. Das Fachwort für Übertreibung ist „Hyperbel“.
    8. Etwas Ähnliches liegt vor, wenn man das Folgende mitbekommt:
      1. „Wir lesen gerade Schiller.“ „Ich trink noch ein Glas.“
      2. Denn der Mann ist tot und konnte noch nie gelesen werden. Man erkennt aber, dass Schiller hier für etwas steht, was zu ihm gehört, nämlich sein Werk – zum Beispiel ein Drama. Im Falle von Glas gehört hier dazu das Getränk, das drin ist.
      3. So etwas nennt man „Metonymie“.
    9. Wenn es um die Liebe geht,
      1. können „bittersüße“ Gefühle damit verbunden sein – manchmal entsteht auch „Hassliebe“, wozu manchmal auch „beredtes Schweigen“ gehören kann.
      2. Hier merkt man schnell, dass Gegensätzliches miteinander verbunden wird.
      3. Das Fachwort dafür ist „Oxymoron“.
    10. Eine etwas gemäßigtere Variante liegt zum Beispiel hier vor:
      1. „Und süßer Gesang wehte heran.“
      2. Hier erkennt man, dass verschiedene Empfindungen gemischt werden: Geschmack, Gehör, Berührung.
      3. Das nennt man Synästhesie.

Fazit:

Wir hoffen, wir konnten etwas dazu beitragen, dass beim Umgang mit Literatur wieder mehr die Freude am Schönen, Ungewohnten, Überraschenden in den Vordergrund rückt.

Natürlich können wir nicht die staatlichen Vorgaben ändern, die sehr stark an der Uni-Wissenschaft Germanistik orientiert sind, obwohl nur wenige Schüler das Wissen später benötigen, zum Teil eher abgeschreckt werden.

Unser praktischer Vorschlag:

an Lehrer: mindestens zwei Drittel der Punkte vergeben, wenn wenigstens das Phänomen erkannt und beschrieben worden ist

an Schüler: die Lehrer darauf hinweisen, dass das die eigentliche Schülerleistung sein sollte.

 

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