Worum es hier geht:
Wir wollen hier zeigen, wie man die recht schwierige Kurzgeschichte „Freunde und Fremde“ von Max Frisch erst mal überhaupt verstehen kann.
Schwierig ist sie, weil es wohl eigentlich ein Tagebuchauszug ist, der sich dann zu einer Kurzgeschichte ausgewachsen hat. Etwas Ähnliches gibt es ja beim Drama „Andorra“ – auch da zunächst ein Tagebucheintrag – später dann ein ganzes Theaterstück.
Als erstes machen wir uns die Erzählschritte klar und holen aus ihnen das heraus, was die möglichen Aussagen des Textes immer klarer herausscheinen lässt – wir sprechen hier von „Signalen“, die sich dann später wie das Dach eines aufgebauten Zeltes zur Intentionalität, zur Summe der Aussagen bündeln lassen.
Anmerkungen zur Überschrift
„Freunde und Fremde“
- Die Überschrift bietet eine interessante Zusammenstellung von zwei Wörtern, die einen Gegensatz ausdrücken.
- Wenn man die Geschichte gelesen hat, kann man als Deutungshypothese formulieren:
„Die Geschichte zeigt den schwierigen Übergang zwischen Freunden, auf die man hofft, und Fremden, als die sich anscheinend herausstellen.“
Zu dem Abschnitt: „Das war in diesem Herbst.“
- Der erste Abschnitt beschreibt eine Situation, bei der sich wohl um eine Bergwanderung handelt.
- Hervorgehoben werden die Schwierigkeiten des Geländes, aber auch der recht sichere Umgang mit ihm.
- Das Seil hat hier wohl eine doppelte Bedeutung:
- Zum einen gehört es zu den Sicherheitsmaßnahmen am Berg,
- zum anderen soll es offensichtlich die innere Beziehung zwischen den drei Personen deutlich machen und zwar aus der Perspektive des Ich-Erzählers.
Zu dem Abschnitt: „Dreitausendneunhundert“
- Im zweiten Abschnitt macht der Ich-Erzähler deutlich, welch intensive Beziehung er zu dieser Gegend hat.
- Offensichtlich ist es seine Absicht, seinen beiden Freunden auch diese Schönheit zu zeigen.
- Das Bild des im seilhämmernden Herzens soll wohl die Erwartung deutlich machen, die der Ich-Erzähler an ihre Dreiergruppe hat.
- Sie sollen dort oben wahrscheinlich so etwas werden wie ein Herz und eine Seele beim Anblick dessen, was sich da bietet.
Zu dem Abschnitt: Eine eigentümliche Spannung
- Im dritten Abschnitt verbindet sich diese Erwartung mit einem zwiespältigen Gefühl. Die Vorfreude des Ich-Erzälers ist so groß, dass, wenn das Ziel erreicht ist, sie nur noch verschwinden kann.
- Er wünscht sich deshalb eine Situation, wo sein aktuelles positives Gefühl gewissermaßen konserviert wird.
- Anregung:
Jeder, der schon mal nach großer Anstrengung oder nach langem Warten ein schönes Ziel erreicht hat, kennt dieses Gefühl: Die Vorfreude ist oft größer als die Freude am Ziel selbst.
Zu dem Abschnitt: „Und nun stehe ich oben“
- Am Ziel angelangt, erreicht auch das Glücksgefühl einen fast nicht mehr zu beschreibenden Gipfel.
- Bezeichnend ist, dass es sich in einer Art Urschrei löst.
Zu dem Abschnitt: „Ich spüre es“
- Dann die Ernüchterung, spürbar an der Reaktion eines der beiden Freunde.
Zu dem Abschnitt: „Und ich zeige weiter“
- Dann die noch größere Ernüchterung, als die zweite Reaktion sogar einen gigantischen Kontrast aufmacht, zwischen der schönen Umgebung und den Unzulänglichkeiten des Gebisses des Ich-Erzählers.
Zu dem Abschnitt: „Warum hat euch all das“
- Die Ernüchterung setzt sich dann auf dem Rückweg fort. Dem Ich-Erzähler fällt auf, dass eine gewisse Distanz in der Frage der Begeisterung schon auf dem Hinweg spürbar war.
- Das Besondere ist jetzt die anschließende Reflexion: Der IchErzähler begreift, dass man alte Gefühle nicht wieder beleben kann, auch wenn man im gleichen Ort ist. Das überträgt er jetzt auch auf seine beiden Freunde. Die verlieren gewissermaßen diesen Status und werden ihm, wie in dem Titel in der Überschrift der Kurzgeschichte schon angedeutet, fremd.
Zu dem Abschnitt: „Dieses Schweigen ist nicht Ruhe“
- Dieser Abschnitt macht dann das Beklemmende der Situation noch einmal deutlich.
- Es wird dann durch eine Banalität gelöst, die aber das Schweigen durchbricht.
- Bezeichnend ist das Bild des Panzers, der jetzt die drei Individuen umschließt und abschließt.
Zu dem Abschnitt: „Schon die vorhergehende Nacht“
- Nach der Rückkehr in die Hütte dann der Vergleich der aktuellen Situation mit dem Vorabend.
- Das einfache, gesellige Miteinander geht jetzt nicht mehr
- Der Ich-Erzähler greift zu einer Art Übersprungshandlung, in der er unnötig viel Holz hackt.
- Dann übernimmt einer die Federführung und spricht das in der Realität ja eigentlich einfache Problem offen an. Hier hat einfach eine Erwartung nicht mit der Haltung der anderen übereinstimmt. Eigentlich etwas ganz Normales.
- Anregung:
Auch hier kann man mal darüber nachdenken, inwieweit der Ich-Erzähler nicht einfach zu hohe Ansprüche hat an seine Freunde. Darum der Hinweis, dass das etwas ganz Normales ist, dass eine Freundschaft nicht alle Aspekte des Lebens im Hinblick auf Gemeinsamkeit abdeckt.
Zu dem Abschnitt: „Das sticht“
- Auch hier ist die Reaktion des Erzählers negativ.
- Er erkennt nicht an, dass hier eine Brücke gebaut wird, die ganz viel Verständnis zeigt.
- Stattdessen spürt er nur den Stich, den ihm das macht.
Zu dem Abschnitt: „Das war wohl von Anfang“
- Auch jetzt vergrößert Der Ich-Erzähler das Problem, indem er ihm zu viel Bedeutung beimisst.
- Bezeichnend ist, dass er seine Enttäuschung vergleicht mit der nun wirklich sehr viel stärker deprimierenden Szene, in der jemand auf seinen Heiratsantrag nur eine kühle Reaktion bekommt.
Zu dem Abschnitt: „Ich möchte heute abgestürzt sein“
- Jetzt wird es richtig abgründig, wenn der Ich-Erzähler sogar einen lustvollen Selbstmord am Gipfel andeutet.
- Das Gespräch erreicht insgesamt noch größere Tiefe, die eigentlich einen Höhepunkt darstellt. Denn einer der Freunde macht dem ich Erzähler klar, was für ein Problem er ihnen bereitet hat. Er sieht sich selbst als Opfer. In Wirklichkeit fühlt dieser andere sich offensichtlich als Opfer eines Anspruchs, den er nicht erfüllen will, gewissermaßen zwangsweise.
Zu dem Abschnitt: „Zwingen? Indem ich kleinlaut frage“
- Die Hartnäckigkeit der Bemühungen des Ich-Erzählers führen dann dazu, dass die anderen tatsächlich dazu übergehen, ganz deutlich sein Missgeschick anzusprechen. Das wäre nicht nötig gewesen, wenn er etwas zurückhaltender in seinen Bemühungen und vor allen Dingen auch Interpretationen gewesen wäre.
Zu dem Abschnitt: „’Na ja“‚, sagt jener wieder“
- Der Schluss ist nicht ganz klar. Er bleibt zunächst auf der Linie der Distanzierung und der Entfremdung.
- Wahrscheinlich muss der Hinweis auf Freundschaft so verstanden werden, dass die andern beiden jetzt in der Bewältigung dieser schwierigen Situation zu Freunden geworden sind und er davon ausgespart ist – bzw. sich selbst ausgespart hat.
- Das traurig Wtzige dieser Geschichte ist, dass die krampfhaft übertriebenen emühungen des Ich-Erzählers eigentlich das Ziel erreicht haben, nur anders, als er es erwartet hat.
- Nicht das von ihm sehnlichst herbeigewünschte gemeinsame Gipfelerlebnis war der Auslöser für eine Freundschaft, sondern die gemeinsame Bewältigung eines zwanghaften Anspruchs.
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