Rilke, „Die Braut“: Hilfen zum Verständnis eines schwierigen Gedichtes
Wir haben unsere Überlegungen zum Gedicht in eine mp3-Datei hineingepackt, die hier angehört oder heruntergeladen werden kann.
Wer das Gedicht ganz selbstständig analysieren will, findet hier Erklärhilfen zum Text:
Hier schon mal unsere grafische Bearbeitung des Gedichtes.
Anmerkungen zum Gedicht
Rainer Maria Rilke
Die Braut
- Ruf mich, Geliebter, ruf mich laut!
- Lass deine Braut nicht so lange am Fenster stehn.
- In den alten Platanenalleen
- wacht der Abend nicht mehr:
- sie sind leer.
- Das lyrische Ich ist wohl eine Braut, die den Geliebten direkt anspricht:
- Verse 1-2: Die Braut fordert den Geliebten auf, sie laut zu rufen und sie nicht länger warten zu lassen.
- Verse 3-5: Die verlassene Stimmung wird durch die leeren Platanenalleen und den nicht mehr wachenden Abend verstärkt.
- Und kommst du mich nicht in das nächtliche Haus
- mit deiner Stimme verschließen,
- so muss ich mich aus meinen Händen hinaus
- in die Gärten des Dunkelblaus
- ergießen…
- Verse 6-10: In der zweiten Strophe wird der Wunsch nach der Stimme des Geliebten betont.
- Ohne diese droht das lyrische Ich, sich in der Dunkelheit zu verlieren und in eine Art Auflösung (ergießen) überzugehen.
Das Gedicht macht deutlich:
- Die Braut empfindet tiefe Sehnsucht nach ihrem Geliebten und leidet unter seiner Abwesenheit.
- Die Natur (Platanenalleen, Dunkelblau) spiegelt die Leere und Melancholie der Braut wider.
- Die Stimme des Geliebten wird als rettendes Element dargestellt, das das lyrische Ich stabilisieren könnte.
Sprachliche und rhetorische Mittel:
- Apostrophe: „Ruf mich, Geliebter, ruf mich laut!“ (Vers 1) – Direkte Anrede betont die emotionale Dringlichkeit.
- Personifikation: „In den alten Platanenalleen wacht der Abend nicht mehr.“ (Vers 4) – Der Abend wird als fühlendes Wesen dargestellt, das nicht mehr aktiv ist.
- Metapher: „in die Gärten des Dunkelblaus ergießen.“ (Vers 10) – Das lyrische Ich beschreibt die eigene Auflösung in die Dunkelheit, was den Seelenzustand verdeutlicht.
Was kann man mit dem Gedicht anfangen?
- Das Gedicht reflektiert die emotionale Abhängigkeit in einer Liebesbeziehung
- und die Sehnsucht nach Nähe und Trost.
- Es kann als Ausdruck existenzieller Einsamkeit verstanden werden, der über eine bloße Liebesklage hinausgeht.
- Das kann man jetzt schön in moderne Situationen übertragen.
- Zum Beispiel in einer Chatnachricht an eine Freundin.
- Natürlich kann man die Personen-Perspektive auch umdrehen.
Vergleich mit „Sommerhaus später“
Noch eine kleine Anmerkung:
Wer die Erzählung „Sommerhaus später“ von Judith Hermann kennt, wird vielleicht Ähnlichkeiten festgestellt haben. Auch hier wartet jemand auf den Ruf des Partners, um dann ins gemeinsame Glück einzusteigen.
Die Frage ist nur, ob das Warten auf den Ruf der Ich-Erzählerin in „Sommerhaus später“ gleichzusetzen ist mit dem hier gewünschten Ruf. Im ersten Fall liegt ja wirkliches, wenn auch etwas verklemmtes Bemühen vor – im Fall des Gedichtes dagegen gibt es wohl berechtigten Grund zur Klage, wie sich in der ersten Strophe andeutet.