Robert Seethaler „Der Trafikant“ – Von der Mutter zu Sigmund Freud (Mat1713-6)
Worum es hier geht:
Wir wollen den Roman von Robert Seethalter möglichst so vorstellen, dass man
gleich weiß, worum es geht,
Durchblick beim Inhalt
und beim Aufbau des Romans hat,
Hinweise zum Verständnis bekommt
und zur Frage, was man damit anfangen kann.
Zwischen alter Bindung (Mutter) und neuer (Freud)
Franz behält aber auch Kontakt zu seiner alten Welt und zwar über einen regen, aber auch streng formalisierten Austausch von Ansichtskarten mit seiner Mutter.
„Eine Karte pro Woche, nicht mehr und nicht weniger, das war die Abmachung […] weil eine Mutter muss schließlich wissen, wie es ihrem Kind geht.“ (34)
Wie wichtig die Beziehung zwischen Sohn und Mutter ist und bleibt, zeigt die folgende Textstelle::
„Es waren Rufe aus der Heimat in die Fremde hinaus und wieder zurück, wie kurze Berührungen, flüchtig und warm. Franz legte die Karten der Mutter in die Schublade seines Nachtkästchens und sah zu, wie der Stapel Woche für Woche anwuchs, lauter kleine, glitzernde Atterseen. Manchmal, an stillen Abenden, kurz vor dem Einschlafen, konnte er es leise gluckern hören in der Lade. Aber das mochte auch Einbildung sein.“ (34)
Erzählerisch ist diese Ebene interessant, weil sie auf der einen Seite die notwendige Abgrenzung deutlich werden lässt, die zum Erwachsen-Werden gehört. So werden wir bald sehen, dass Franz seiner Mutter nicht immer die volle und vor allem schmerzliche Wahrheit präsentiert. Zum anderen hat der Leser eine zusätzliche Ebene, auf der das Geschehen kommentiert wird. Der Erzähler hält sich mit direkten Anmerkungen zum Geschehen eher zurück und erzählt in weiten Teilen personal, zieht sich also in die Figuren und ihre Gefühls- und Gedankenwelt zurück.
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Zu einem Highlight für Franz wird der Besuch eines älteren Herrn, der sich als Sigmund Freud, von dem er schon als „Deppendoktor“ (38) gehört hat, der ihm aber von seinem Meister als jemand vorgestellt wird, der den Leuten beibringen kann, „wie ein ordentliches Leben auszuschauen hat“ (38) und der dafür viel Geld nehmen kann.
Die politische und menschliche Problematik der Zeit wird sichtbar, als Franz hört, dass Freud „ein nicht unwesentliches Problem“ (39) hat, nämlich Jude zu sein. Auf seine Frage, was das denn für ein Problem sei, bekommt er die Antwort: „Das wird sich noch herausstellen […] und zwar bald“. (39) ein klarer Vorverweis auf das, was noch kommen wird. Deutlich wird auf jeden Fall: „Die Zeitungen ließen kein gutes Haar an ihnen und auf den Fotografien und Witzezeichnungen sahen sie wahlweise lustig oder verschlagen oder meistens sogar beides zusammen aus.“ (40).
Erst mal wichtiger wird für Franz aber, dass er Freud den vergessenen Hut hinterherbringt und dabei mit ihm in einen ersten Kontakt kommt und dabei den entscheidenden Ratschlag bekommt, nicht in erster Linie viele Bücher zu lesen, sondern: „Such dir ein Mädchen.“ (43) Damit werden Gefühle in Franz angesprochen, die ihm noch nicht richtig bewusst geworden sind. Der Professor macht ihm aber gleich deutlich: „Von der Liebe versteht nämlich niemand etwas.“ (44) Da bleibt nur der Ratschlag: „Man muss das Wasser nicht verstehen, um kopfvoran hineinzuspringen.“ (44)
Bald wird deutlich: „Die Wortes des Professors hatten sich tief in Franz‘ Seele eingebrannt.“ (45) Dementsprechend beschließt er, die Sache anzugehen und macht sich auf den Weg Richtung Wiener Prater.