Safranski, Werther-Kapitel in „Goethe, Kunstwerk des Lebens“: Beispiel für die Auswertung einer Schriftstellerbiografie (Mat8648)

Worum es hier geht:

  • Wir wollen zeigen,
    • wie man etwa 34 Seiten aus der E-Book Version einer Goethe-Biografie gezielt auswerten kann:
    • S.132 von „Mitte Mai“
      bis
    • S. 166 „In neue Bahnen lenken“
    • Es geht um Goethes „Werther“.
  • und die Auswertung bezieht sich auf die entsprechenden Kapitel in dem Buch von Rüdiger Safranski, „Goethe. Kunstwerk des Lebens“.
    Wir haben die E-Book-Ausgabe (Kindle) genutzt – aber das Buch dürfte auch in vielen Stadtbüchereien zu finden sein.
    S, 132-166
    Goethe – Kunstwerk des Lebens: Biografie von Rüdiger Safranski
    ASIN ‏ : ‎ B00EE9SOJ2
    Herausgeber ‏ : ‎ Hanser, Carl GmbH + Co.; 13. Edition (26. August 2013)
Vorüberlegungen
  • Normalerweise nutzt man bei der Behandlung von Lektüren nur die Werke selbst. Und dann entweder gewisse Hilfsbücher für Schüler oder eben entsprechende Unterrichtshilfen für Lehrkräfte.
  • Umso interessanter ist es, mal an einem Beispiel zu schauen, was eine gute Biografie, also eine Darstellung von Leben und Werk eines Dichters, zum Verständnis eines Werkes und seines Umfeld beitragen kann
  • In diesem Fall geht es um die interessante Darstellung von Rüdiger Safranski, der bei Goethe insgesamt das Projekt eines Lebenskunstwerks sieht und dessen Entstehung fortlaufend beschreibt.
Teil 1: S. 132ff Goethe in Wetzlar
  • Es geht los auf Seite 132. Dort wird Goethes Abreise nach Wetzlar vermerkt. Hervorgehoben wird dann, dass Goethe sich kaum um die eigentlichen Aufgaben als Praktikant beim Reichskammergericht kümmert, sondern stattdessen einfach Kontakt aufnimmt mit interessanten Leuten, wobei er schnell dort zum Mittelpunkt wird.
  • Kestner, der Verlobte von Goethes Charlotte, berichtet interessante Dinge über den jungen Dichter, vor allem, dass er ihn als Genie empfand, mit einer lebhaften Einbildungskraft.
  • Dann ist der Autor auch schon bei der Kennenlern-Fahrt, die es zwischen Goethe und Charlotte gegeben hat.
  • Im Unterschied zum Roman weiß Goethe aber nichts von deren Bindung und das macht ihn, wie er selbst betont, in gewisser Weise „sorglos“, da er sich real durchaus bald „eingesponnen“ und „gefesselt“ findet.
  • Im Unterschied zum Roman hat diese Lotte aber dem schwärmden Goethe die Grenzen gezeigt. Doch mit Zustimmung des Verlobten kann die an der freundschaftlichen Bindung festhalten.
  • Völlig anders als im Roman erkennt Goethe aber dann die Zeichen der Zeit und verlässt Wetzlar heimlich ohne Ankündigung. Allerdings macht er in zwei Abschiedsbriefen schon deutlich, wie viel ihm diese Dreiecksbeziehung bedeutet hat.
  • Auch Lotte weint dem Freund durchaus ein paar Tränen hinterher. Er bleibt auch Gesprächsstoff bei dem Paar, zunächst freundlich, freundschaftlich und liebevoll, nach dem Erscheinen des Werther-Roman verständlicherweise eine Zeit lang gekränkt und bitter.
Teil 2: S. 137ff: Charakterisierung Goethes
  • Hier geht es vor allem um die unglaubliche Kreativität des Dichters.
  • Ausgehend von einem Briefentwurf Kestners, des Verlobten von Lotte, wird Goethe hier eindeutig als „Genie“ bezeichnet, dass eine „ganz außerordentlich lebhafte Einbildungskraft“ besitzt..
  • Hervorgehoben werden zudem der „sprühende Einfallsreichtum, die entfesselte Einbildungskraft […] die Unbekümmertheit gegenüber Konvention und Mode, die Spontanität des Verhaltens“.
Teil 3: S. 139ff: Selbstmord Jerusalems als Anregung
  • Safranski verweist darauf, dass Goethe keineswegs, wie er in seiner Autobiografie „Dichtung und Wahrheit“ behauptet, sich nach der Rückkehr gleich durch den Roman von seinem Wetzlarer Erlebnis befreit.
  • Er lässt sich nur von Kestner genaue Infos zum Selbstmord Jerusalems schicken, die er ein Jahr später für den Roman verwendet, zum Beispiel den berühmten Schlusssatz: „Kein Geistlicher hat ihn begleitet.“
Teil 4: S. 140ff: Depression und Götz-Erfolg
  • Goethe verfällt dann zum Teil auch in Depressionen,
  • wobei er durchaus sich Gedanken macht, ob er es schaffen würde, mit einem Dolch in seine Brust zu stoßen.
  • Das Drama „Götz von Berlichingen“ kommt dann in seiner recht wilden Sturm-und-Drang-Gestaltung gut beim Publikum an – verändert sogar das bürgerliche Theaterbewusstsein.
Teil 5: S. 141ff: Allmachtsgefühle
  • Interessant wird es dann, wenn Safranski von einem Gefühl von poetischer Allmacht spricht, das Goethe nach seinem Erfolg umtreibt und das auch in einem eigenen Prometheus Drama deutlich wird.
  • Sehr interessant ist ein Abschnitt, in dem Safranski das Besondere an der poetischen Schaffenskraft Goethes beschreibt.
  • Etwas später sieht er dann bei Goethe ein Prometheus-Selbstbewusstsein und ein besonderes poetisch produktives Talent. Goethe „fiel immer etwas ein, er war voller Ideen und schrieb morgens noch im Bett, nachts, unter Tags, in Gesellschaft oder allein, mit Wein und ohne. Man konnte von ihm fordern, was man wollte“ – er war immer gleich bereit.
Teil 6: S. 146ff: Goethe als „Zauberer“ mit Fast-Verehrern 
  • Auf seine Umgebung wirkt Goethe wie ein Zauberer, was teilweise Leute anzieht, die ihn mit fast religiöser Inbrunst zu verehren, beginnen.
  • Man vergleicht ihn sogar mit Jesus.
  • Und ein Freund findet das so seltsam, dass er Goethe auffordert, die Versammelten zu segnen.
Teil 7: S. 147ff: Goethe bleibt Poet, wird nicht Prophet
  • Goethe selbst wird aber die Sache durchaus unheimlich, und Safranski arbeitet dann heraus, wie Goethe, den Propheten vom Poeten abhebt.
  • „Der Prophet wie der Poet werden von ihren Einfällen überwältigt, hingerissen, empfinden sich als Medium – das ist die Gemeinsamkeit. Goethe sucht den Unterschied. Poetische Inspiration und prophetische Eingebung mögen aus derselben Quelle fließen, doch anders als der Poet will der Prophet das Göttliche, was in ihm ist, auch außer sich verbreiten. Der Prophet will Anhänger gewinnen, er muss sich der hohen Welt, auf die erwirken will, gleich stellen. So wird er berechnend und entfremdet sich seiner ursprünglichen Inspiration, Wird sogar gewalttätig.“
  • Vor diesem Hintergrund entscheidet sich Goethe dafür, in erster Linie auf sich selbst hin zu wirken, also Poet zu sein und zu bleiben, nicht Prophet.
  • Safranski schließt dann:
    „Der Prophet kann sagen: du musst dein Leben ändern! Nicht so der Poet. Der gibt nur sich selbst. Doch auch das kann unerhört sein und kann fort leben im Gedächtnis der Menschheit.“
Teil 8: S. 152ff: Niederschrift des „Werther“
  • Safranski erwähnt kurz die Niederschrift des Werther, die in einem Zug erfolgt und kaum drei Monate dauert.
  • Dann geht es um die kritische Auseinandersetzung von Goethes Bemerkung vom Werther-Roman als einer Generalbeichte, mit der Goethe sich aus einem stürmischen Element gerettet habe.
  • Hier hat Goethe wohl auf seine älteren Erfahrungen zurückgegriffen, war aber eigentlich aktuell mit einer gescheiterten Liebesbeziehung zu Maximiliane von la Roche beschäftigt.
  • Safranski geht sogar soweit, dass der Werter eigentlich eher eine Art „Aufheiterungsarbeit“ war, gerade weil Goethe seine aktuellen Gefühle aus der großen Rückschau, einer Art poetischen Vogelperspektive betrachtete.
10: S. 154ff: Lebensekel und Rettung durch Alltag
  • In diesem Zusammenhang geht Safranski in seiner Biografie dann auf das Problem des sogenannten Lebensekels ein, das für Goethe eine große Rolle gespielt hat. Man kann es auf eine einfache Formel bringen: Wenn man anfängt, sich darüber aufzuregen, dass jeder Tag mit einem Sonnenaufgab beginnt, dann wird es gefährlich.
  • Interessant ist hier eigentlich nur die Frage, wie Goethe da rausgekommen ist. „Das Lebensbehagen, heißt es in Dichtung und Wahrheit, beruht auf der verlässlichen und eingewöhnenden Wiederkehr der äußeren Dinge, den Wechsel von Tag und Nacht und der Jahreszeiten, den Wechsel der Beschäftigung und Personen. Der normale Alltag wird hier also als Rettung gesehen.“
  • Interessant ist die These, dass die Gefahr dieses Ekels gegenüber der Normalität auch die Liebe betreffen könne. Überhaupt sieht Safranski da nur bei der ersten echten, großen Liebe den Gipfelsturm, der bei ggf. sich ergebenden Wiederholungen nicht mehr erreicht wird.
Teil 11: S. 157ff: Vergleich Goethe – Werther
  • Was den Werther-Roman angeht, so wird dort nach Safranski der Lebensekel anders zur Sprache gebracht. Es werde weniger über ihn gesprochen, sondern eher aus ihm heraus.
  • Was die Gemeinsamkeiten zwischen Goethe und Werther angeht, so geht es vor allem um Beredsamkeit und Anziehungskraft.
  • Was die Gefühle angeht, so werden sie mit Schillers Begriff des „Sentimentalischen“ erläutert: Man ist nicht wirklich verliebt, sondern eher ins Verlieben verliebt. Im Roman gibt es Werthers „Liebesgeschichte und zugleich eine Schilderung dessen, was seine Einbildungskraft aus den Umständen und Personen macht.“
Teil 13: S. 164ff: Goethe und der Sturm und Drang
  • Es folgen einige kritische Bemerkungen zum Sturm und Drang. Von dem sei literarisch eigentlich nicht viel übrig geblieben, er habe sich aber auf in der Literatur ausgewirkt.
Teil 14: S. 165ff: Der neue Starkult
  • Interessant sind die Überlegungen, dass in dieser Zeit eigentlich zum ersten Mal der geniale Autor am Ende über dem genialen Werk steht und sich somit sogar sogar eine Art Personenkult herausbildet.
  • Das „Leben des Künstlers galt nun selbst als eine Art Kunstwerk.“ Es habe sogar eine Tendenz gegeben, die „Persönlichkeit als Inbegriff der Möglichkeiten“ sogar wichtiger zu nehmen als das Werk.
  • Was Goethe angeht, so sei er den Werther-Ruhm bis zum Ende seines Lebens nicht mehr losgeworden.
Teil 15: S. 165ff: Die zeitnahe Rezeption des Romans
  • Normalerweise denkt man schnell an die spezielle Kleidung Werthers, die viele übernommen haben – oder gar an nachgeahmte Selbstmorde.
  • Safranski verweist mehr auf das Phänomen des Schlüsselromans: „Man spürte den Modellen  nach, pilgerte zu Jerusalems Grab, bedrängte die Kestners und machte es Goethe zum Vorwurf, daß er noch am Leben sei.“

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