Der Tanzbär – Fabel – Vergleich Gellert Lessing (Mat8742)

Worum es hier geht:

Wir zeigen, wie man zwei Fabeln vergleichen kann, die den gleichen Titel tragen, auch ähnlich beginnen –  und doch sehr unterschiedliche Botschaften vermitteln.

Dabei schneidet der nicht ganz so bekannte Gellert besser ab als der berühmte Lessing – was die Bedeutung für die Gegenwart angeht.

Wir zeigen hier zunächst die beiden Fabeln nebeneinander, wenn man sie selbst mal vergleichen möchte.

Weiter unten gibt es dann die bearbeitete Variante – und ganz am Ende die Auswertung.

Vergleichstexte – unbearbeitet

Hier auch als PDF-zum Download

Mat8742 Der Tanzbär – Vergleich Gellert Lessing unbearb mit fz

Vergleichstexte – bearbeitet

Hier zeigen wir unsere Bearbeitung – mit recht wenig System. Aber das Ziel des Vergleichs haben wir erreicht, wie wir weiter unten zeigen werden:

Mat8742 Der Tanzbär – Vergleich Gellert Lessing bearb mit fz

Nun noch die Texte – zunächst die Lessing-Variante

Gotthold Ephraim Lessing,

 Der Tanzbär

  1. Ein Tanzbär war der Kett entrissen,
  2. Kam wieder in den Wald zurück,
  3. Und tanzte seiner Schar ein Meisterstück
  4. Auf den gewohnten Hinterfüßen.
  5. „Seht“, schrie er, „das ist Kunst; das lernt man in der Welt.
  6. Tut mir es nach, wenns euch gefällt,
  7. Und wenn ihr könnt!“ „Geh“, brummt ein alter Bär,
  8. „Dergleichen Kunst, sie sei so schwer,
  9. Sie sei so rar sie sei!
  10. Zeigt deinen niedern Geist und deine Sklaverei.“
  11. Ein großer Hofmann sein,
  12. Ein Mann, dem Schmeichelei und List
  13. Statt Witz und Tugend ist;
  14. Der durch Kabalen steigt, des Fürsten Gunst erstiehlt,
  15. Mit Wort und Schwur als Komplimenten spielt,
  16. Ein solcher Mann, ein großer Hofmann sein,
  17. Schließt das Lob oder Tadel ein?

Quelle: Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 197-198.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20005262992

Nun die Gellert -Variante

Christian Fürchtegott Gellert

Der Tanzbär

  1. Ein Bär, der lange Zeit sein Brot ertanzen müssen,
  2. Entrann und wählte sich den ersten Aufenthalt.
  3. Die Bären grüßten ihn mit brüderlichen Küssen
  4. Und brummten freudig durch den Wald.
  5. Und wo ein Bär den andern sah:
  6. So hieß es: Petz ist wieder da!
  7. Der Bär erzählte drauf, was er in fremden Landen
  8. Für Abenteuer ausgestanden,
  9. Was er gesehn, gehört, getan!
  10. Und fing, da er vom Tanzen red’te,
  11. Als ging er noch an seiner Kette,
  12. Auf polnisch schön zu tanzen an.
  1. Die Brüder, die ihn tanzen sahn,
  2. Bewunderten die Wendung seiner Glieder,
  3. Und gleich versuchten es die Brüder;
  4. Allein anstatt, wie er, zu gehn,
  5. So konnten sie kaum aufrecht stehn,
  6. Und mancher fiel die Länge lang darnieder.
  7. Um desto mehr ließ sich der Tänzer sehn;
  8. Doch seine Kunst verdroß den ganzen Haufen.
  9. »Fort«, schrieen alle, »fort mit dir!
  10. Du Narr, willst klüger sein als wir?«
  11. Man zwang den Petz, davonzulaufen.
  12. Sei nicht geschickt, man wird dich wenig hassen,
  13. Weil dir dann jeder ähnlich ist;
  14. Doch je geschickter du vor vielen andern bist
  15. Je mehr nimm dich in acht, dich prahlend sehn zu lassen.
  16. Wahr ist’s, man wird auf kurze Zeit
  17. Von deinen Künsten rühmlich sprechen;
  18. Doch traue nicht, bald folgt der Neid
  19. Und macht aus der Geschicklichkeit
  20. Ein unvergebliches Verbrechen.

Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 31-32.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20004805666

Auswertung

Der Vergleich zeigt

  1. Dass beide Dichter den gleichen Ausgangspunkt wählen:
    • Ein Bär hat in der Gefangenschaft, also in der sogenannten „Kultur“ oder „Zivilisation“ das kunstvolle Tanzen gelernt. Das diente im 18. Jhdt. der Unterhaltung.
    • Beide können sich befreien und kehren in den heimischen Wald zurück.
  2. Dann zeigen sich erste Unterschiede im Verhalten der Heimkehrer:
    • Bei Lessing geht es gleich zur stolzen Demonstration seiner „menschlichen“ Kunststücke.
    • Bei Gellert wird der heimkehrende Bär erst mal freudig begrüßt.
    • Bei Lessing zeigt der Heimkehrer gleich, was er in der „menschlichen“ Welt gelernt hat und zeigt auch sofort stolz und anmaßend die „menschliche“ Tanz-Kunst.
    • Bei Gellert erzählt der Heimkehrer erst von seinen Abenteuern und zeigt dann seine Tanzkunst – aber ohne offene Prahlerei.
  3. Der Konflikt
    • Bei Lessing geht es weiter knapp zu: Ein alter Bär, der wohl das Sagen hat, erkennt an, dass da seltene Kunst geboten wurde. Zugleich macht er deutlich, dass das nichts als Sklavenkunst ist und nicht vorbildlich ist für die natürliche Bärenwelt.
    • Bei Gellert geht es sehr viel ausgefeilter zu: Dort versuchen die Waldbären erst mal selbst, die gezeigte Kunst nachzuahmen.
    • Das misslingt verständlicherweise – denn der Tanzbär hat das sicher auch mühsam gelernt.
    • Und das führt dazu, dass die Waldbären sauer sind und den Ankömmling davonjagen.
  4. Gemeinsam ist dann wieder, dass es in beiden Fällen – typisch für die Aufklärung – eine Moral am Ende gibt.
    • Bei Lessing bleibt sie in der Kultur der damaligen Zeit. Es geht um die Frage, was ein wahrer „Hofmann“ ist – also einer, der auf seine (Aus-)Bildung  und den erreichten Stand beim kultivierten Hof stolz sein kann.
    • Deutlich ist die Kritik an dem speziellen „Tanz“, der bei Hofe üblich ist
      • „Schmeichelei“ statt „Witz“ (wirkliche Bildung und Klugheit)
      • „List“ statt „Tugend“ (ehrliches Verhalten)
      • „Kabalen“ als Weg zur Gunst des Fürsten, also Intrigen und Tricks statt wirklicher Leistung
      • „Wort und Schwur“ nur als nichtssagende Komplimente, statt dass man sich auf das verlassen kann, was gesagt wird.
    • Bei Gellert geht es nicht so sehr um die Tricks, die manche für nötig halten, wenn man Karriere machen will, sondern darum, wie man sich am besten „sozialverträglich“ präsentiert.
Anregungen 
    • Das kann man auch schon in der Schule nachvollziehen: Wenn eine Arbeit zurückgegeben wurde, muss man nicht allen stolz erzählen, wie gut man ist. Das kommt nicht so gut an.
    • Daraus ergeben sich spannende Fragen:
      • Wieso ist es nicht nur menschlich, sondern auch sinnvoll, seine Leistungsfähigkeit zu zeigen?
      • Wie kann man das tun, ohne negative Reaktionen zu ernten?

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