Vergleich von zwei Gedichten: Hebbel, “Der junge Schiffer“ und Fontane, “Unterwegs und wieder daheim“ (Mat7201)

Worum es hier geht:

Worum es hier geht: Gedichtinterpretation ist schon eine Herausforderung – und dann noch zwei Gedichte vergleichen?
Keine Panik: Nur ein Gedicht muss analysiert werden – beim 2. Gedicht geht es nur um den Vergleich der Aussage.

Hierzu gibt es auch ein Video:

Videolink

Dazu die Dokumentation:

Mat7201 ohne bem vf Video Gedichtvergleich Hebbel Fontane

Hier zunächst das erste Schaubild – Textteile weiter unten:

Das erste Gedicht

Friedrich Hebbel

Der junge Schiffer

1.Dort bläht ein Schiff die Segel,
2.Frisch saus’t hinein der Wind;
3.Der Anker wird gelichtet,
4.Das Steuer flugs gerichtet,
5.Nun fliegt’s hinaus geschwind.
o
6.Ein kühner Wasservogel
7.Kreis’t grüßend um den Mast,
8.Die Sonne brennt herunter,[145]
9.Manch Fischlein, blank und munter,
10.Umgaukelt keck den Gast.
o
11.Wär‘ gern hinein gesprungen,
12.Da draußen ist mein Reich!
13.Ich bin ja jung von Jahren,
14.Da ist’s mir nur um’s Fahren,
15.Wohin? Das gilt mir gleich!
o

Quelle:
Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. 1. Abteilung: Werke, Berlin [1911 ff], S. 145-146.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20005008786

Form:
  1. 3 Strophen mit fünf Zeilen
  2. reimlose erste Zeile („Waise“)
  3. dann umarmender Reim
  4. wechselnde Kadenzen (Versschlüsse) entsprechend den Reimen
  5. 3-hebiger Jambus (regelmäßige Abfolge: unbetonte Silbe, betonte)

Inhalt – Aussagen: Sammlung von Signalen und Bündelung

  • Inhalt -> Aussagen
    • Überschrift -> Seefahrt und jung
    • Dort-Perspektive
    • Segelschiff vor dem Auslaufen
    • Betonung von Wind und Geschwindigkeit
    • Verengung des Blicks auf einen Wasservogel
      der um den Mast kreist, also das Schiff begleitet
    • Wechsel zur brennenden Sonne
    • Dann Fantasie-Perspektive vom Schiff aus
    • Wunsch des lyrischen Ichs – mitzufahren
    • See = „mein Reich“
    • Jugend = Lust auf das „Fahren“
    • Ziel = gleichgültig
Insgesamt: Das Gedicht zeigt
  1. die glückliche Ausfahrt eines Segelschiffs
  2. die Gedanken und Vorstellungen eines jungen Schiffers
  3. Begeisterung für das „Fahren“
  4. Ziel = gleichgültig

 

Sprachliche/rhetorische Mittel und eigene Ideen
  1. Personifikation (Schiff „bläht“ Segel), auch Zeile 2: Wind saust
  2. Passivkonstruktion: Besatzung weggelassen (Zeile 3-5)
  3. Metapher des Fliegens passt zum anschließend erwähnten „Wasservogel“
  4. Personifikation des Wasservogels, „grüßend“
  5. Betonung der Kühnheit, die am Ende eine Rolle spielt.
  6. Perspektivwechsel vom Realen in die Fantasie hinein
  7. Wiederholung der Personifikation: „keck“ und „Gast“ = Schiff
  8. Bild des Springens für das Mitsegeln = drückt Spontaneität aus und Jugendlichkeit
  9. Metapher des Reichs für die Welt der Schifffahrt
  10. Rhetorische Frage

Zusammenfassung der sprachlichen / rhetorischen Mittel
entsprechend den Aussagen
  1. Aussage 1: die glückliche Ausfahrt eines Segelschiffs
      • Konzentration auf Wahrnehmung, Fantasie und Wunschwelt (Personifikationen)
      • Erstaunliches Weglassen der Besatzung = Konkurrenz?, Konzentration auf die Natur
  2. Aussage 2: die Gedanken und Vorstellungen eines jungen Schiffers
      • Perspektivwechsel – geht innerlich mit
    • Begeisterung für das „Fahren“
      • Bild des Springens
      • Konzentration: „nur ums Fahren“
      • „mein Reich“
    • Ziel = gleichgültig
      • rhetorische Frage

Zusatzpunkt: Erinnerung an „Frische Fahrt“
https://textaussage.de/eichendorff-frische-fahrt

Weitere romantische Gedichte, die in diese Richtung gehen

„Aufbruch bis hin zum Risiko
https://textaussage.de/gedichte-romantik-thema-aufbruch-risiko

Vgl. auch Goethe, „Seefahrt“
Goethe, Seefahrt im Vergleich zu Glückliche Fahrt – Sturm und Drang – Klassik
https://www.schnell-durchblicken2.de/goethe-vergleich-seefahrt-glueckliche-fahrt

Das 2. Gedicht zum Vergleich

Das 2. Gedicht

Theodor Fontane

Unterwegs und wieder daheim

1.Ich bin hinauf, hinab gezogen
2.Und suchte Glück und sucht‘ es weit,
3.Es hat mein Suchen mich betrogen,
4.Und was ich fand, war Einsamkeit.
o
5.Ich hörte, wie das Leben lärmte,
6.Ich sah sein tausendfarbig Licht,
7.Es war kein Licht, das mich erwärmte,
8.Und echtes Leben war es nicht.
o
9.Und endlich bin ich heimgegangen
10.Zu alter Stell‘ und alter Lieb‘,
11.Und von mir ab fiel das Verlangen,
12.Das einst mich in die Ferne trieb.
o
13.Die Welt, die fremde, lohnt mit Kränkung,
14.Was sich, umwerbend, ihr gesellt;
15.Das Haus, die Heimat, die Beschränkung,
16.Die sind das Glück und sind die Welt.
o

Vergleich
  • Glückliche Ausfahrt, Jugend-> Rückblick aus Altersperspektive
  • statt unklare, aber offen-positive Erwartungen-> kein Glück, „betrogen“—
  • „Einsamkeit“ = bei Hebbel nicht negativ, bei Fontane wohl.—
  • „Sonne brennt“->zwar „tausendfarbig Licht“, aber „kein Licht, das mich erwärmte“—
  • Statt natürliches Lebens-Abenteuer-> „echtes Leben war es nicht“—
  • Happy End = „heimgegangen“ kein „Verlangen“ nach „Ferne“ mehr „Welt, die fremde“ = negativ gesehen „Beschränkung“ auf „Haus“, „Heimat“= „Glück“ und die echte „Welt“
Zusammenfassung
  • Bei Hebbel eine unbefangene, fantasievolle Vorfreude auf die Welt der See – ohne Ziel
  • Bei Fontane der Rückblick auf insgesamt negative Erfahrungen beim Reisen und das Glück der „Beschränkung“
  • Zusatzpunkt: Man weiß nicht, ob der Rückblick wirklich auch die Jugend und die Erlebnisse vor der Rückkehr angemessen aufnehmen, Vermutung: typischer Altersblick

Zusatzpunkt: Vgl. mit Benn, Reisen
https://www.schnell-durchblicken2.de/unt-hesse-resignation-benn-reisen

Oder auch mit
https://textaussage.de/lars-kruesand-anders-wo

Weitere Infos, Tipps und Materialien