Worum es hier geht:
Es geht um ein Gedicht,
- das vorwiegend so verstanden wird,
- dass hier der typische opferbereite Patriotismus zu Beginn des Ersten Weltkrieges deutlich wird.
- Dabei wird häufig mit der Biografie des Dichters argumentiert, der als Kämpfer für die soziale Frage begann, dann aber immer patriotischer wurde.
- Wir sehen zumindest aus heutiger Sicht hier
- aber zumindest ein starkes Bewusstsein von dem, was Krieg bedeutet, nämlich Grauen und Verlust ohne Ende.
- Unserer Meinung kann man sich höchstens darüber streiten, ob das trotzdem akzeptiert wird oder ob die Opferbereitschaft hier so betont wird, dass man ins Grübeln kommt, ob es sich nicht um eine besondere Form von Kritik am Krieg und an der Opferbereitschaft handelt.
In diesem Video zeigen wir die Schritte, die wir zurückgelegt haben, bis wir sicher waren.
Dies ist für uns heute eindeutig ein Antikriegsgedicht.
Dass die Wissenschaft das zum Teil anders sieht, dafür gibt es gute Erklärungen.
Das Video ist hier zu finden:
Hier die „unbemalte“ Dokumentation
Mat4590 pcf Gerhart Hauptmann Komm, wir wollen sterben gehen
Die genauere Analyse des Gedichtes ist hier zu finden:
https://schnell-durchblicken.de/gerhart-hauptmann-komm-wir-wollen-sterben-gehen
Die Sprungmöglichkeiten zum Video-Clip
0:00 – Einleitung: Beschwerde über Abiturbewertungen 0:42 – Vorstellung des Gedichts „Komm, wir wollen sterben gehen“ 1:54 – Erste Deutung: Antikriegsgedicht? 2:39 – Überraschung durch ChatGPT: patriotische Kriegslyrik 3:40 – Zweite Meinung: NotebookLM und wissenschaftliche Einschätzung 5:46 – Historische Rezeption des Gedichts 6:59 – Chance für neue Lesarten im Deutschunterricht 7:12 – Eigene Analyse: Ironie und Zynismus im Text 9:00 – Sprachliche Bilder und mittelalterliche Anspielungen 10:50 – Kritik an der Idee soldatischer Ehre 11:57 – Letzte Strophe: Grabesprophezeiung statt Heldentum 13:00 – Bedeutung für den heutigen Literaturunterricht 14:00 – Problem Zentralabitur: Voraussetzung von Vorwissen 15:20 – Bedeutung eigenständiger Deutung für faire Bewertung 16:01 – Verschlüsselter Protest? Biografischer Kontext 17:18 – Literatur als Kunstwerk – nicht nur wissenschaftlich lesen 18:44 – Fazit: Literatur verstehen durch Austausch und Offenheit 20:00 – Hinweise zur Webseite, Zusammenfassung und Ausblick
Der Text des Gedichtes
Gefunden haben wir das Gedicht hier.
Gerhart Hauptmann
Komm, wir wollen sterben gehen
- Komm, wir wollen sterben gehen
- in das Feld, wo Rosse stampfen,
- wo die Donnerbüchsen stehn
- und sich tote Fäuste krampfen.
- Lebe wohl, mein junges Weib
- und du Säugling in der Wiegen!
- Denn ich darf mit trägem Leib
- n icht daheim bei euch verliegen.
- Diesen Leib, den halt’ ich hin
- Flintenkugeln und Granaten:
- Eh’ ich nicht durchlöchert bin,
- kann der Feldzug nicht geraten.
- Komm, mein lieber Kamerad,
- dass wir beide, gleich und gleiche
- heut in Reih und Glied Soldat
- morgen liegen Leich an Leiche.
Ausgangssituation
Unser aktuelles Gedicht-Analyse-Abenteuer
- Man stößt auf dieses Gedicht,
- schaut kurz rein
- und gleich die erste Strophe scheint klar zu sein:
- Kein Mensch lädt zum Sterben-Gehen ein, wenn es um Krieg geht (”Donnerbüchsen”)
- und möchte auch nicht später “tote Fäuste” haben, die “krampfen”
— - Also denkt man, lass ChatGPT den Rest mal machen
- und dann ist man erstaunt, denn:
— - Antwort (ursprünglich):
- Das Gedicht = klassisches Kriegslyrik-Stück aus der Zeit des Ersten Weltkriegs,
- das patriotische Hingabe, soldatische Ehre und die Bereitschaft zum Opfertod darstelle.
- man ist bereit, Frau und Kind zu verlassen
- der Feldzug kann nur was werden, wenn man bereit ist, sein Leben zu opfern
- Und am Ende ist man im Tod wenigstens kameradschaftlich vereint.
- —
- Das ist natürlich ein Schock: Kein Antikriegsgedicht, sondern eine Verherrlichung von Todesmut und Opferbereitschaft im Krieg.
— - Aber ChatGPT kann sich ja auch irren und ein bisschen “halluzinieren”,
- Da gibt es ja heutzutage eine “wissenschaftlichere” KI: NotebookLM
Die wertet nur vorhandene Quellen aus – recherchiert auf Wunsch auch selbst.
NotebookLM-Stand
- Zweiter Schritt: Notebook LM und der Rückgriff auf wissenschaftliche Quellen (kompakt)
- Ich fragte Notebook LM:
„Kann man das Gedicht auch als Kritik am Krieg oder als Antikriegsgedicht lesen?“
— - Antwort laut Analyse von 10 Quellen
- Entstanden Ende 1914 im Zusammenhang mit der Einberufung von Hauptmanns Sohn
- Veröffentlicht 1915 in einem Umfeld patriotischer Lyrik.
- Historisch rezipiert als Beispiel für Kriegseuphorie, besonders kritisiert von Carl Sternheim (1922).
- Moderne Deutung (2014) erwähnt das Gedicht im Rahmen einer Gedenkveranstaltung – aber ohne dass der Text selbst direkt Kriegsgräuel thematisiere.
— - Fazit: Der wissenschaftliche Konsens sieht das Gedicht eher als Ausdruck von Patriotismus, nicht als Antikriegsgedicht.
Fazit:
- Je wissenschaftlicher es wird (NotebookLM)
- Desto mehr schreibt man vorhandene Kenntnisse weiter.
- “Paradigma” = feste aktuelle wissenschaftliche Meinung
- Deshalb noch lange nicht für alle Zeiten richtig!
- = Die Chance für Schülis und neugierige Lehrkräfte
Unser Verständnis des Textes
- Dritter Schritt: Eigene Durchsicht des Gedichts mit kritischen Anmerkungen
Strophe 1:
- „Komm, wir wollen sterben gehen …“
- Wer so spricht, wirkt nicht mutig, sondern fatalistisch oder zynisch.
- „Tote Fäuste“ – ein Bild des Horrors, nicht des Heldentums.
- Vergleich: Kein Fußballer ruft vor dem Spiel „Lasst uns verlieren“ – das wäre widersinnig.
- Deutlicher Hinweis: So etwas meint man nicht (nur) ernst!
Strophe 2:
- „Lebe wohl, mein junges Weib …“
- „Träger Leib“ wirkt alles andere als kämpferisch – es klingt resigniert.
- Die Formulierung „nicht daheim … verliegen“ erinnert mehr an Ritterromantik als an realen Kriegsdienst.
- Auch hier: Kein Aufbruchspathos, sondern eher ein verkrustetes Pflichtverständnis.
Strophe 3:
- „Eh’ ich nicht durchlöchert bin, kann der Feldzug nicht geraten.“
- Das ist ironisch, vielleicht sogar bitter.
- Kein Soldat würde das freiwillig sagen – es klingt nach Verweigerung durch Übererfüllung.• Die Sprache gleicht eher einem Zerrbild von Heldentum.
Strophe 4:
- dass wir beide … morgen liegen Leich an Leiche.“
- Der Gipfel des Zynismus. Das ist keine Siegesvision, das ist eine düstere Grabesprophezeiung.
- Wer das nicht im Gedicht sieht, hat den Text nicht verstanden
Fazit:
Das Gedicht selbst kann für uns heute etwas aussagen, was man früher anders gesehen hat = unglaubliche Chance für einen heutigen Deutschunterricht
Fiktive Stellungnahme der Aufsichtsbehörde
Was tun, wenn der Erwartungshorizont “veraltet” ist und man sich in der modernen Schule die Haare rauft?
- ChatGPT hat für uns eine mögliche Entscheidung einer vorgesetzten Behörde “generiert”, bei der eine Beschwerde eingereicht wurde.
—- Sachverhalt: Ein Schüler der gymnasialen Oberstufe interpretierte in einer Klausur das Gedicht „Komm, wir wollen sterben gehen“ unter anderem als ironisch gebrochenes, kritisch-distanzierendes Gedicht mit möglichem Antikriegspotenzial. Die unterrichtende Lehrkraft bewertete diese Interpretation mit „ungenügend“ und begründete dies mit der Abweichung von einer als angemessen angesehenen, historisch-literaturwissenschaftlich fundierten Deutung. Der Schüler wandte sich gegen die Bewertung mit einer ausführlichen Stellungnahme.
- Bewertung der Schülerleistung:
Die Interpretation des Schülers stellt eine inhaltlich nachvollziehbare, literaturwissenschaftlich anschlussfähige Deutung dar. Sie argumentiert auf Basis sprachlicher Merkmale wie Übertreibung, Ironie, Antithese und Bildsprache und deutet diese als Indizien für eine kritische Haltung gegenüber dem Krieg. Diese Interpretation ist keineswegs beliebig, sondern textgestützt und im Rahmen moderner Lesarten vertretbar. - Eine pauschale Abwertung auf „ungenügend“ widerspricht dem Anspruch des Deutschunterrichts, Deutungsvielfalt unter methodischer Reflexion zuzulassen. Selbst wenn der Schüler von einer traditionellen Interpretation abweicht, ist das keine Grundlage für eine so niedrige Bewertung – zumal seine Argumentation auf textualen Elementen basiert und nicht ins bloß Spekulative abgleitet.
—
- Zur Verantwortung der Lehrkraft:
Die Aufgabe der Lehrkraft besteht darin, Erwartungen und Maßstäbe transparent zu machen. Wenn historisch-biografisches Wissen (z.B. Hauptmanns Haltung zum Krieg, sein Werkzusammenhang, seine gesellschaftliche Stellung) für die korrekte Einordnung zentral ist, muss dieses Wissen auch im Unterricht vermittelt worden sein. Wird es vorausgesetzt, ohne Grundlage geschaffen zu haben, ist eine Bewertung auf dieser Basis problematisch.
Zugleich ist es Teil der Lehrerprofessionalität, auch nicht schulbuchkonforme, aber reflektierte Lesarten zu würdigen – gerade, wenn diese eigenständiges Denken und ein Gespür für Mehrdeutigkeit erkennen lassen.
— - Zur Möglichkeit einer doppelten Codierung: Literatur im Spannungsfeld privater Sorge und öffentlicher Erwartung
- Literarische Texte entstehen nie im luftleeren Raum.
- In der Zeit der Entstehung des Gedichts wurde Gerhart Hauptmanns dritter Sohn offenbar zum Kriegsdienst eingezogen. Angesichts gesellschaftlichen Drucks, eines gesteigerten Patriotismus und familiärer Verantwortung ist es durchaus plausibel, dass das Gedicht zwischen öffentlicher Loyalitätsformel und privater Sorge oszilliert.
- Die Rhetorik des Gedichts mag vordergründig patriotisch erscheinen, doch in seiner sprachlichen Überzeichnung, seiner morbiden Bildlichkeit und der zugespitzten Ironie eröffnet sich auch eine leise Kritik, vielleicht sogar ein verschlüsselter Protest.
- Ein guter Unterricht – und eine faire Bewertung – sollten Raum lassen, solche Zwischenräume zumindest zu erkennen oder anzusprechen. Gerade literarische Bildung lebt davon, auch das Nicht-Eindeutige ernst zu nehmen.
- Schlussfolgerung :
- Die Bewertung der Schülerleistung ist zu revidieren.
- Eine angemessene Neubewertung im Bereich „befriedigend“ oder „gut“ ist je nach sprachlicher Ausarbeitung zu empfehlen.
- Die Schulleitung wird gebeten, mit der Fachkonferenz über den Umgang mit Deutungsvielfalt, Kontextwissen und Erwartungstransparenz in Klausursituationen zu reflektieren.
Die Harmonie-Prinzipien
Die Harmonie-Prinzipien
- Alle Beteiligten wahren ihr Gesicht.
- Man verzichtet auf eine Aufteilung
- in Sieger
- und Besiegte
- zugunsten von Einsicht und Balance
- Wahrheit wird nicht durchgesetzt,
sondern geteilt.
Anregungen für die Zukunft
Was wir im Auge behalten sollten:
- Der Deutschunterricht in der Schule sollte für die Besonderheiten von Wissenschaften “sensibilisieren”.
- Aber er sollte sie nicht einfach übernehmen,
denn “Germanist” ist man freiwillig
In der Schule sollte man aber Gedichte auch anders lesen dürfen. - Nämlich als Kunstwerke, nicht als biografische Quellen.
- Deshalb ist der erste Blick auf ein Gedicht immer der “unvoreingenommene” heutiger Leser und Leserinnen.
- Ob man dann noch die Wissenschaft heranzieht,
- ist eine Frage der Situation
- und ob man Lust auf sichtbaren Fortschritt hat 😉
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Gedichte zum Thema Krieg
https://textaussage.de/politische-lyrik-thema-krieg
— - Infos, Tipps und Materialien zu politischen Gedichten
https://textaussage.de/themenseite-politische-lyrik
— - Infos, Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
https://textaussage.de/weitere-infos