Anmerkungen zu Jörg Magenau, „Fremd bin ich eingezogen“ – Rezension zum Roman „Heimsuchung“ (Mat7216)

Worum es hier geht:

Im Folgenden geht es um eine Rezension von Jörg Magenau zu dem Roman „Heimsuchung“ von Jenny Erpenbeck. Erschienen ist sie im Tagesspiegel im Jahre 2008.

Gefunden haben wir ihn hier:

https://www.tagesspiegel.de/kultur/literatur/fremd-bin-ich-eingezogen-1606282.html

Wir analysieren hier kurz, welche Position in dieser Rezension sichtbar wird – man wir mit ihr anfangen können.

Wer direkt eine Lösung möglicher Aufgaben dazu haben möchte, findet sie hier:
https://schnell-durchblicken.de/mia-klausur-joerg-magenau-fremd-bin-ich-eingezogen-rezension-zum-roman-heimsuchung

Nun aber zu unserer Analyse und Stellungnahme:

  1. Zum Titel: Interessanter Ansatz, der die Fremdheit betont von jemandem, der irgendwo eingezogen ist. Im Untertitel wird auf „zwölf Leben“ verwiesen, die mit einem Haus „in Brandenburg“ etwas zu tun haben.
    Insgesamt ist man gespannt, was aus dem Einzug und aus der Fremdheit geworden ist – und ob diese Überschrift etwas Wesentliches über den Roman aussagt.
  2. Ausgangspunkt sind „Rückzugsträume Großstädtern“, die man in diesem Roman vermuten kann. Dann der Hinweis darauf, dass die Natur hier „die dem Berufsalltag und der Geschichte abgewandte Seite des Lebens“ ist. Dieser Kampf zwischen Natur und Kultur spielt tatsächlich eine große Rolle.
  3. Weniger überzeugend ist der Hinweis, den man überall lesen kann, dass es sich um einen Roman handelt, „der das ganze deutsche 20. Jahrhundert umspannt“. Hier entsteht der Eindruck, dass man diesem Roman viel entnehmen kann über die Geschichte – in Wirklichkeit gibt es nur Andeutungen.
  4. Der problematische Prolog mit seinem die Leselust nicht gerade förderlichen geologischen Rückblick auf 24000 Jahre wird so legitimiert: „
    „Dieser gewaltige Zeitrahmen ist von Bedeutung. Er relativiert all die Menschheitsereignisse, die aus der Perspektive des einzelnen, kleinen Lebens betrachtet, absolut sind. In geologischen Zeiträumen gedacht, ist selbst das blutige 20. Jahrhundert kurz und schmerzlos.“
    Da fragt man sich dann tatsächlich, was man diesem Roman über den uns interessierenden Zeitraum entnehmen kann.
  5. Dass alle Kapitel „von der Sehnsucht nach einem Zuhause und von Heimatverlust, vom Ankommen und Sesshaftwerden und von Vertreibung und Flucht“ handeln, kann man stehen lassen – allerdings gilt auch hier der Vorbehalt, dass im wesentlichen nur Andeutungen geliefert werden, die entweder Fachwissen oder Insiderwissen voraussetzen. Der Eindruck bleibt: Als Zwangslektüre für die Schule wohl eher ungeeignet.
  6. Die „Doppeldeutlichkei“ des Romantitels wird ganz einer Figur, nämlich der Schriftstellerin zugeordnet und ihrem Streit um „den Zugang zum See und den Gartenzaunverlauf“. Hätte der Roman sich dann nicht vielleicht auf diese Frau konzentrieren sollen und besser auf den Großbauern und seine Töchter verzichtet.
  7. Es ist dann im Hinblick auf Einzelheiten auch völlig zu Recht von „sparsamen Andeutungen“ die Rede – das ist tatsächlich wohl der Kern dieses Romans.
  8. Dann geht es um biografische Bezüge, die für uns mit der Bedeutung eines fiktionalen Textes wenig bis gar nichts zu tun haben sollten.
  9. Was das „Schicksal der jüdischen Nachbarn“ angeht, ist wohl der entsprechende Teil im Roman „Die Drachenwand“ sehr viel überzeugender. Dass der Roman die wirklich schrecklichen Dinge „direkt, so nüchtern und einfühlungsstark“ beschreibt, „dass es kaum auszuhalten ist“ – dem kann man zustimmen, wenn auch aus anderen Gründen. Es ist sehr fragwürdig, gewissermaßen kurz den Blick auf eine offene Wunde zu lenken – und dann zum Alltag wieder überzugehen. Das wirkt eher auf eine schreckliche Art und Weise distanziert in der Konkretheit – ohne Empathie. Ob sie bei Jugendlichen aufkommt, die eben den Kontext nicht kennen, ist äußerst fraglich.
  10. Was den Gärtner angeht, kann man der Auswertung zustimmen: „Mit ihm kommen die Natur und der natürliche Rhythmus der Zeit als Gegenpol zur schicksalhaften Macht der Historie ins Spiel. Doch am Ende verliert auch er seine Basis.“ Ja und? Was wäre die Alternative, zurück in eine Eiszeitphase des Prologs?
  11. Auch dass die Zeit „das eigentliche Thema dieses leisen, eindrücklichen und hochpoetischen Romans“ ist, wird nicht wirklich deutlich. Was hier positiv hervorgehoben wird, kann man beim eigenen Lesen nicht so richtig nachvollziehen. „Die Zeit scheint ihr zur Verfügung zu stehen wie ein Haus, in dem sie mal dieses, mal jenes Zimmer betreten kann“, heißt es über die Frau des Architekten. Dann geht es um eine Selbstverständlichkeit: „Während sie ihr ganzes Leben gelacht hat, sind ihre blonden Haare unmerklich weiße Haare geworden.“ Wie hier die „Zeit als begehbarer Raum, der Ort als konkrete Verdichtung in der Zeit“ im Gedächtnis bleiben soll, bleibt das Geheimnis des Verfassers dieser Rezension.
  12. Interessant die Ausführungen zur Geschichte: „Ist sie etwas, in dem man sich bewegt wie die Fische im Wasser? Oder ist sie ein Werkstoff, der sich bearbeiten lässt, etwas von Menschen Gemachtes?“ Der Verfasser glaubt, dass die Romanautorin „durch ihren geologischen Prolog“ die erste Variante bevorzugt. Aber das erste, was man beim Studium der Geschichte lernt, ist, dass Geschichte das ist, was die Menschheit macht und erlebt – und im Detail natürlich der Einzelmensch. Wäre es da nicht konsequenter gewesen, den Prolog weiter auszugestalten, um uns ein nachvollziehbares Gefühl zu geben, von dem, was in 24000 Jahren geschehen ist. Stattdessen hat man bei allem, was man liest, das Gefühl des Beliebigen und damit leider auch des potenziell Belanglosen. Dass dieses Haus „Glück gehabt“ hat, weil es „zu Literatur geworden“ ist, darf man bezweifeln – zumindest was den Einsatz im Deutschunterricht angeht. Zumutungen sind im Leben nötig, aber sie müssen sich lohnen.

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