Emilia Galotti in Lessings Drama zwischen Selbst- und Fremdbestimmung (Mat2338)

Emilia Galotti – selbstbestimmt oder fremdbestimmt?

Kurz-Info:

  • Insgesamt zeigt sich Emilia als komplexe Protagonistin, die zwischen Selbstbestimmung und gesellschaftlichen Zwängen navigiert.
  • Emilia wird zunächst als tugendhaft und beeindruckend dargestellt, wobei ihre Schönheit und ihr Charakter von anderen Figuren hervorgehoben werden.
  • Im Laufe des Dramas offenbart sich Emilias innerer Konflikt zwischen ihrer strengen moralischen Erziehung und ihren aufkeimenden Gefühlen, insbesondere in Bezug auf die Aufmerksamkeit des Prinzen.
  • Emilias Entwicklung gipfelt in ihrer entschlossenen Bitte an ihren Vater, sie zu töten, um ihre Tugend zu bewahren, was ihre letztendliche Selbstbestimmung in einer ausweglosen Situation demonstriert.
  • Insgesamt präsentiert das Drama ein zwiespältiges Bild von Emilia, das die Spannung zwischen individueller Autonomie und gesellschaftlichen Erwartungen im 18. Jahrhundert reflektiert.

    Vorüberlegungen

  • Bei den Frauenfiguren aus Dramen, die in früheren Zeiten spielen, ist die Frage besonders interessant, wie viel Selbstbestimmung sie sich unter den damaligen Bedingungen leisten bzw. erringen konnten.
  • Ein interessanter Fall ist Lessings „Emilia Galotti“, die schließlich freiwillig in den Tod geht, um der möglichen Schande zu entgehen.
  • Schauen wir uns also einfach mal die „Fakten“ an, die sich im Verlauf des Stückes ergeben.

Szene 1-4

I,4: Der Maler Conti macht deutlich, wie sehr Emilia ihn beeindruckt hat, als sie von ihm gemalt wurde.

  • In dieser Szene geht es um die beiden Gemälde, die der Maler Conti dem Prinzen zeigt.
  • Conti äußert sich über Emilia, die auf dem zweiten Bild zu sehen ist, gleich sehr positiv:
    „Eine bewundernswürdigere Kunst gibt es; aber sicherlich keinen bewundernswürdigern Gegenstand, als diesen.“
  • Das ist so stark, dass der Prinz davon ausgeht, dass die Frau, die so gelobt wird, des „Künstlers eigene Gebieterin“ ist.
  • Als der Prinz sich auch beeindruckt zeigt, spricht Conti von einem „Engel“.
  • Dann äußert sich Conti ausführlich darüber, wie seine Kunst mit diesem „Engel“ gar nicht ganz hat mithalten können – so beeindruckt ist er.
    „Gleichwohl hat mich dieses [Bild] noch sehr unzufrieden mit mir gelassen. – Und doch bin ich wiederum sehr zufrieden mit meiner Unzufriedenheit mit mir selbst. – Ha! daß wir nicht unmittelbar mit den Augen malen! Auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den Pinsel, wie viel geht da verloren! – Aber, wie ich sage, dass ich es weiß, was hier verloren gegangen, und wie es verloren gegangen, und warum es verloren gehen müssen: darauf bin ich eben so stolz, und stolzer, als ich auf alles das bin, was ich nicht verloren gehen lassen. Denn aus jenem erkenne ich, mehr als aus diesem, dass ich wirklich ein großer Maler bin; dass es aber meine Hand nur nicht immer ist. „
  • Als nächstes darf der Prinz sich anhören, dass der Maler regelrecht weg gewesen ist, so sehr hat Emilia ihn beeindruckt:
    „Aber das muß ich Ihnen doch als Maler sagen, mein Prinz: eine von den größten Glückseligkeiten meines Lebens ist es, dass Emilia Galotti mir gesessen. Dieser Kopf, dieses Antlitz, diese Stirn, diese Augen, diese Nase, dieser Mund, dieses Kinn, dieser Hals, diese Brust, dieser Wuchs, dieser ganze Bau, sind, von der Zeit an, mein einziges Studium der weiblichen Schönheit.“
    Hier geht es zwar in erster Linie um Äußeres, aber damit das so zur Geltung kommt, muss da noch mehr sein, was beeindruckt.

Szene 1-5

I,5: Der Prinz fühlt sich regelrecht verzaubert von Emilia.

  • Hier versucht der Prinz, seinen Eindruck nach dem Gespräch über Emilia zu verarbeiten, nachdem der Maler gegangen ist.
  • „Wer dich auch besäße, schönres Meisterstück der Natur! – Was Sie dafür wollen, ehrliche Mutter! Was du willst, alter Murrkopf! Fodre nur! Fodert nur! – Am liebsten kauft‘ ich dich, Zauberin, von dir selbst! – Dieses Auge voll Liebreiz und Bescheidenheit! Dieser Mund! und wenn er sich zum Reden öffnet! wenn er lächelt! Dieser Mund!“
  • Auch hier geht es in erster Linie um das Äußere Emilias, aber „Zauberin“ ist mehr als das. Offensichtlich ist Emilia eine junge Frau, die andere verzaubern kann – und das geht nicht nur mit Schönheit. Zauber ist mehr.

1-6

I,6: Marinelli glaubt, dass Emilia den Grafen Appiani mit der Hochzeit „in ihre Schlinge zu ziehen gewusst hat“.

  • In dieser Szene erfährt der Prinz, dass die von ihm umworbene Emilia Galotti kurz vor der Eheschließung mit dem Grafen Appiani steht.
  • Marinelli beschreibt die Beziehung so:
    „Die Sache ist sehr geheim gehalten worden. Auch war nicht viel Aufhebens davon zu machen. – Sie werden lachen, Prinz. – Aber so geht es den Empfindsamen! Die Liebe spielet ihnen immer die schlimmsten Streiche. Ein Mädchen ohne Vermögen und ohne Rang, hat ihn in ihre Schlinge zu ziehen gewusst, – mit ein wenig Larve; aber mit vielem Prunke von Tugend und Gefühl und Witz, – und was weiß ich?“
  • Hier werden die folgenden Elemente deutlich:
  • „Empfindsamkeit“, d.h. es spielen Gefühle eine Rolle.
  • Dann ist von „Liebe“ die Rede, die die „schlimmsten Streiche“ spielt. In diesem Falle ist damit gemeint, dass der Graf unter seinem Stand heiratet, also muss ihm viel an dieser jungen Frau liegen.
  • Marinelli geht davon aus, dass Emilia bei der Anbahnung dieser Beziehung eine wichtige, vielleicht die entscheidende Rolle gespielt hat, sie habe ihn sogar „in ihre Schlinge zu ziehen gewusst.“
  • Dann ist die Rede von „Tugend und Gefühl und Witz“, also muss Emilia schon etwas zu bieten haben.
  • Insgesamt ergibt sich also der Eindruck, dass Emilia durchaus zumindest in diesem Punkte eine selbstbestimmte junge Frau ist.
  • Später ist sogar davon die Rede, dass der Graf „mit seiner Gebieterin nach seinen Tälern in Piemont“ fährt. Offensichtlich ist er ein Mensch mit Distanz zum Hofleben und Liebe zur Natur – und so auch bereit, sich anders zu verhalten, als es in dieser Zeit zwischen Mann und Frau üblich ist.
  • Allerdings muss man natürlich berücksichtigen, dass diese Charakterisierung nur indirekt, über einen anderen, erfolgt – vom Hörensagen oder sogar nur vom Vermuten her.

Szene 2-2

II,2: Odoardo im Gespräch mit seiner Frau: Emilia weiß, was für sie am Tag der Hochzeit gut ist.

  • Emilia zeigt sich am Morgen ihrer Hochzeit überaus selbstbewusst. Sie weiß, was sie will und was für sie gut ist.
  • So ergibt sich Folgendes zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter:
  • „ODOARDO. […] Wo ist Emilia? Unstreitig beschäftigt mit dem Putze? –
  • CLAUDIA. Ihrer Seele! – Sie ist in der Messe. – Ich habe heute, mehr als jeden andern Tag, Gnade von oben zu erflehen, sagte sie, und ließ alles liegen, und nahm ihren Schleier, und eilte
  • ODOARDO. Ganz allein?
  • CLAUDIA. Die wenigen Schritte – –
  • ODOARDO. Einer ist genug zu einem Fehltritt! –
  • CLAUDIA. Zürnen Sie nicht, mein Bester; und kommen Sie herein, – einen Augenblick auszuruhen, und, wann Sie wollen, eine Erfrischung zu nehmen.
  • ODOARDO. Wie du meinest, Claudia. – Aber sie sollte nicht allein gegangen sein. –“
  • Hier wird deutlich, dass Odoardo zunächst davon ausgeht, dass seine Tochter sich äußerlich auf die Hochzeit vorbereitet. Claudia macht aber klar, dass ihr ihre Seele wichtiger ist an solch einem Tag. Das heißt für diese fromme junge Frau, dass sie in die Kirche gegangen ist.
  • Odoardo zeigt sich auf für diese Zeit typische Weise besorgt und hält sogar einen „Fehltritt“ für möglich, worauf seine Frau aber nicht näher eingeht, sondern ihn nur ablenkt.
  • Später wird sich herausstellen, dass es tatsächlich einen Fehltritt gegeben hat, aber einen, für den Emilia nichts kann und mit dem sie auch nicht rechnen konnte.

II,4: Odoardo und seine Frau über Emilias Hochzeit

  • Für Odoardo bleibt seine Tochter zu lange in der Kirche.
  • Als seine Frau deutlich macht, wie ungern sie ihre Tochter durch die Heirat für sich verliert, äußert Odoardo Kritik, die deutlich macht, dass auch wohl seine Frau stark am Hofleben in der Residenzstadt interessiert ist.
  • „ODOARDO. Was nennst du, sie verlieren? Sie in den Armen der Liebe zu wissen? Vermenge dein Vergnügen an ihr, nicht mit ihrem Glücke. – Du möchtest meinen alten Argwohn erneuern: – dass es mehr das Geräusch und die Zerstreuung der Welt, mehr die Nähe des Hofes war, als die Notwendigkeit, unserer Tochter eine anständige Erziehung zu geben, was dich bewog, hier in der Stadt mit ihr zu bleiben; – fern von einem Manne und Vater, der euch so herzlich liebet.
  • CLAUDIA. Wie ungerecht, Odoardo! Aber lass mich heute nur ein einziges für diese Stadt, für diese Nähe des Hofes sprechen, die deiner strengen Tugend so verhasst sind. – Hier, nur hier konnte die Liebe zusammen bringen, was für einander geschaffen war. Hier nur konnte der Graf Emilien finden; und fand sie.
  • ODOARDO. Das räum‘ ich ein. Aber, gute Claudia, hattest du darum Recht, weil dir der Ausgang Recht gibt? – Gut, dass es mit dieser Stadterziehung so abgelaufen! Lasst uns nicht weise sein wollen, wo wir nichts, als glücklich gewesen! Gut, daß es so damit abgelaufen! – Nun haben sie sich gefunden, die für einander bestimmt waren: nun lass sie ziehen, wohin Unschuld und Ruhe sie rufen. –“
  • Dass die Mutter Emilia auch zumindest ein wenig in das Hofleben mit hineingezogen und innerlich auch in Gefahr gebracht hat, wird Emilia später ihrem Vater erzählen.
  • In dieser Szene wird das von Claudia schon kurz angesprochen:
  • „CLAUDIA. Denn hab‘ ich dir schon gesagt, dass der Prinz unsere Tochter gesehen hat?

ODOARDO. Der Prinz? Und wo das?

CLAUDIA. In der letzten Vegghia, bei dem Kanzler Grimaldi, die er mit seiner Gegenwart beehrte. Er bezeigte sich gegen sie so gnädig – –

ODOARDO. So gnädig?

CLAUDIA. Er unterhielt sich mit ihr so lange – –

ODOARDO. Unterhielt sich mit ihr?

CLAUDIA. Schien von ihrer Munterkeit und ihrem Witze so bezaubert – –

ODOARDO. So bezaubert? –

CLAUDIA. Hat von ihrer Schönheit mit so vielen Lobeserhebungen gesprochen – –

ODOARDO. Lobeserhebungen? Und das alles erzählst du mir in einem Tone der Entzückung? O Claudia! eitle, törichte Mutter!

CLAUDIA. Wie so?

  • ODOARDO. Nun gut, nun gut! Auch das ist so abgelaufen. – Ha! wenn ich mir einbilde – Das gerade wäre der Ort, wo ich am tödlichsten zu verwunden bin! – Ein Wollüstling, der bewundert, begehrt. – Claudia! Claudia! der bloße Gedanke setzt mich in Wut. – Du hättest mir das sogleich sollen gemeldet haben. –“
  • Hier wird deutlich, dass Emilia zunächst völlig arglos ist, sich einfach so gibt, wie sie ist. Sie rechnet nicht damit, was sie mit ihrer „Munterkeit und ihrem Witze“ bei einem Menschen wie dem Prinzen auslöst.
  • Später zieht sie aber die Konsequenzen daraus. Dies bestätigt die Grundeinschätzung der Mutter, dass Emilia sich zunächst ganz normal, unbefangen verhält, aber dann die Konsequenzen aus ihren Erfahrungen zieht.
    (V,7: „Ich kenne das Haus der Grimaldi. Es ist das Haus der Freude. Eine Stunde da, unter den Augen meiner Mutter; – und es erhob sich so mancher Tumult in meiner Seele, den die strengsten Übungen der Religion kaum in Wochen besänftigen konnten!“)

Szene 2-5

II,5: Monolog der Mutter nach dem Gespräch mit ihrem Mann über Emilia

  • Die Mutter betrachtet Emilia und ihren Vater Odoardo als „zu tugendhaft“, distanziert sich also von deren moralischen Vorstellungen, betrachtet sie als zu verschlossen gegenüber der Welt und anderen Menschen
    • Emilias Verhalten gegenüber dem Prinzen: Claudia reflektiert über Emilias Reaktion auf das Interesse des Prinzen. Sie sieht es als Chance für Emilia, eine Beziehung mit dem Prinzen einzugehen, was darauf hindeutet, dass Emilia selbst diese Möglichkeit nicht in Betracht zieht oder sich dagegen sträubt
    • . Dies könnte auf eine gewisse Fremdbestimmung durch die familiären Werte hindeuten.
    • Claudias Wunschvorstellung: In ihrem Monolog stellt sich Claudia vor, wie entzückend es wäre, wenn Emilia am Hofe leben würde. Sie sagt: „Der Prinz und Emilia, welch eine entzückende Vorstellung. Am Hofe würde sie nah bei mir bleiben.“
    • Diese Aussage impliziert, dass Claudia Vorstellungen für Emilias Leben hat, die möglicherweise nicht mit Emilias eigenen Wünschen übereinstimmen.
    • Emilias Abhängigkeit von familiären Entscheidungen: Im gesamten Stück wird deutlich, dass Emilias Schicksal stark von den Entscheidungen und Handlungen anderer, insbesondere ihrer Familie und des Prinzen, beeinflusst wird
    • . Dies unterstreicht ihre eher fremdbestimmte Position.
    • Emilias charakterliche Entwicklung: Zu Beginn des Dramas wird Emilia als eher kindlich und unselbstständig dargestellt. Erst im Laufe der Handlung wächst sie über sich selbst hinaus

    , was darauf hindeutet, dass sie zu Beginn – also auch in der von Claudia reflektierten Szene – noch stark von anderen beeinflusst wird.

  • Das bedeutet natürlich zugleich, dass Emilia in den Augen der Mutter zu stark von den strengen moralischen Werten ihres Vaters geprägt und beeinflusst ist.
  • Das hängt natürlich mit den Interessen der Mutter zusammen, die sich für ihre Tochter einen gesellschaftlichen Aufstieg wünscht und dabei wohl sehr blauäugig ist.
  • Das relativiert natürlich ihre Einschätzung und macht deutlich, dass die Mutter nicht in erster Linie die Interessen Emilias im Auge hat.

Szene 4-8

IV,8: Emilias Mutter trifft im Schloss auf Emilias Vater

  • Odoardo fragt seine Frau:
    „Weiß es Emilia, daß Appiani tot ist?“
  • „CLAUDIA. Wissen kann sie es nicht. Aber ich fürchte, dass sie es argwohnet; weil er nicht erscheinet. –
  • ODOARDO. Und sie jammert und winselt –
  • CLAUDIA. Nicht mehr. – Das ist vorbei: nach Ihrer Art, die du kennest. Sie ist die Furchtsamste und Entschlossenste unsers Geschlechts. Ihrer ersten Eindrücke nie mächtig; aber nach der geringsten Überlegung, in alles sich findend, auf alles gefasst. Sie hält den Prinzen in einer Entfernung; sie spricht mit ihm in einem Tone.“
  • Dies ist eine ganz entscheidende Stelle, denn sie stellt eine ganz wichtige These auf:
  • Emilia sei zunächst sehr von ihren Gefühlen bestimmt und so auch sehr stark von Furcht bestimmt.
  • Wenn sie dann aber zum Nachdenken gekommen ist, könne sie sich mit allem arrangieren, lasse sich auch dann nicht mehr schrecken.
  • In diesem Falle zeige es sich daran, dass sich den Prinzen vom Leibe hält und ihm gegenüber offensichtlich auch Stärke ausstrahlt.
  • Dies ist zunächst die Wahrnehmung der Mutter, allerdings aus nächster Nähe.
  • Es passt auch zur Entschlossenheit Emilias am Ende des Dramas. Sie ist da bereit, eher zu sterben als ihr Wesen aufzugeben. Auch das ist kein Ergebnis schnell wechselnder Gefühle, immerhin überzeugt sie ja sogar ihren Vater, sie umzubringen, um nicht selbst die Sünde des Selbstmords begehen zu müssen.
  • Wichtig auch, dass Claudia hier Odoardo an etwas erinnern kann, was er offensichtlich schon kennt, sonst würde er ihr ja widersprechen oder nachfragen.

V,4: Odoardos Monolog über Emilia und die Situation

  • wird noch gefüllt.

Szene 5-7

V,7: Emilia bittet ihren Vater, sie zu töten

  • Emilia: „Reißt mich? bringt mich? – Will mich reißen; will mich bringen: will! will! – Als ob wir, wir keinen Willen hätten, mein Vater!“
  • Hier zeigt Emilia sich absolut entschlossen und regelungsstark – es müsste genauer geprüft werden, ob das ihre Art von Flucht oder ein Zeichen von Stärke ist.
  • Dann kommt es zu dem entscheidenden Momenet, wo bei Emilia Erfahrung zu Entschlossenheit wird:
  • „ODOARDO. Was? Dahin wär‘ es gekommen? Nicht doch; nicht doch! Besinne dich. – Auch du hast nur Ein Leben zu verlieren.
  • EMILIA. Und nur Eine Unschuld!
  • ODOARDO. Die über alle Gewalt erhaben ist. –
  • EMILIA. Aber nicht über alle Verführung. – Gewalt! Gewalt! wer kann der Gewalt nicht trotzen? Was Gewalt heißt, ist nichts: Verführung ist die wahre Gewalt. – Ich habe Blut, mein Vater; so jugendliches, so warmes Blut, als eine. Auch meine Sinne, sind Sinne. Ich stehe für nichts. Ich bin für nichts gut. Ich kenne das Haus der Grimaldi. Es ist das Haus der Freude. Eine Stunde da, unter den Augen meiner Mutter; – und es erhob sich so mancher Tumult in meiner Seele, den die strengsten Übungen der Religion kaum in Wochen besänftigen konnten! – Der Religion! Und welcher Religion?[202] – Nichts Schlimmers zu vermeiden, sprangen Tausende in die Fluten, und sind Heilige! – Geben Sie mir, mein Vater, geben Sie mir diesen Dolch.“
  • Und als ihr Vater sie vom Selbstmord abhalten will, bleibt sie ganz sachlich und bringt ihren Vater dazu, für ihren Tod zu sorgen.
  • „ODOARDO. Wenn ich dir ihn [den Dolch] nun gebe – da! Gibt ihr ihn.
  • EMILIA. Und da! Im Begriffe sich damit zu durchstoßen, reißt der Vater ihr ihn wieder aus der Hand.
  • ODOARDO. Sieh, wie rasch! – Nein, das ist nicht für deine Hand.
  • EMILIA. Es ist wahr, mit einer Haarnadel soll ich Sie fährt mit der Hand nach dem Haare, eine zu suchen, und bekömmt die Rose zu fassen. Du noch hier? – Herunter mit dir! Du gehörest nicht in das Haar einer, – wie mein Vater will, daß ich werden soll!
  • ODOARDO. O, meine Tochter! –
  • EMILIA. O, mein Vater, wenn ich Sie erriete! – Doch nein; das wollen Sie auch nicht. Warum zauderten Sie sonst? – In einem bittern Tone, während dass sie die Rose zerpflückt. Ehedem wohl gab es einen Vater, der seine Tochter von der Schande zu retten, ihr den ersten den besten Stahl in das Herz senkte – ihr zum zweiten das Leben gab. Aber alle solche Taten sind von ehedem! Solcher Väter gibt es keinen mehr!
  • ODOARDO. Doch, meine Tochter, doch! Indem er sie durchsticht. Gott, was hab‘ ich getan! Sie will sinken, und er faßt sie in seine Arme.
  • EMILIA. Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert. – Lassen Sie mich sie küssen, diese väterliche Hand.
  • Emilia ist so klar und bestimmt, dass sie ihren Vater sogar noch provozieren kann, um ihr Ziel zu erreichen.

Fazit:

  • Von Anfang an erscheint Emilia als eine junge Frau, die sich streng an die Regeln hält, sie vielleicht auch für ihre eigene Entwicklung braucht.
  • Zu dieser Entwicklung gehört wohl auch, dass sie in der letzten Szene sich dagegen wehrt, abhängig zu sein, „als ob wir, wir keinen Willen hätten.“
  • Dies muss aber auch eingeschränkt werden, sonst hätte sie nicht so viel Angst, sich in der Lustwelt des Prinzen zu verlieren: „dass fremdes Laster uns, wider unsern Willen, zu Mitschuldigen machen kann!“ (II,6)
  • Am Ende ist Emilia hier ganz deutlich.
    „Verführung ist die wahre Gewalt. – Ich habe Blut, mein Vater; so jugendliches, so warmes Blut, als eine. Auch meine Sinne, sind Sinne. Ich stehe für nichts. Ich bin für nichts gut. Ich kenne das Haus der Grimaldi. Es ist das Haus der Freude. Eine Stunde da, unter den Augen meiner Mutter; – und es erhob sich so mancher Tumult in meiner Seele, den die strengsten Übungen der Religion kaum in Wochen besänftigen konnten!“
  • Insgesamt ordnet sich Emilia doch stark unter, so erklärt sie etwa gegenüber ihrer Mutter: „Ich habe keinen Willen gegen den Ihrigen.“ (II,6)
  • Auch flieht sie vor dem Prinzen in der Kirche und kommt mit der Situation auch im nachhinein kaum klar.
  • Insgesamt also ein sehr zwiespältiges Bild, das nicht so ganz dem entspricht, was Marinelli und Conti in den ersten Szenen von ihr weitergeben, wo sie sogar als „Zauberin“ bezeichnet wird.

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