Worum es hier geht:
- Wir wollen hier einfach mal zeigen, wie man einen der Briefe aus Goethes Werther-Roman analysieren kann.
- Zunächst präsentieren wir ein vorgegebenes Analyse-Programm, wie man es an vielen Orten präsentiert bekommt.
- Wir werden dann versuchen, die einzelnen Gliederungspunkte mit „Leben“ zu füllen.
- Darunter kommt dann der Text. Den gliedern und kommentieren wir noch.
Das Analyse-Programm
- Kernthema der Szene
— - Interpretationshypothese
— - Handlungsablauf
Sinnabschnitte
(Konflikt/ Entwicklung der Situation)
— - Intentionalität der Szene (Aussagen)
— - Sprachliche und rhetorische Mittel
— - Gestaltung von Raum und Zeit
— - Bedeutung
Die „Voraussetzungen“ dieses Briefes
Wenn man eine Episode aus einem Roman zur Analyse bekommt – und hier ist es eben einer der Briefe – dann muss man zunächst klären, was man berücksichtigen muss, um diesen Brief richtig zu verstehen.
Da ist es ganz vernünftig, sich erst den Text durchzulesen – dann weiß man nämlich, was hier aus der Vorgeschichte gewissermaßen „hineinspielt“.
Wir stellen das hier voran, so wie es auch in einer Klausur gemacht würde.
Einleitungssatz:
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um den Brief vom 21. Junius aus Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werther“.
Um diesen Brief richtig zu verstehen, muss man Folgendes wissen:
- Werther ist ein junger Mann, der in Geschäften unterwegs ist
- und in dem Ort „Thalheim“ ein schönes Plätzchen gefunden hat, wo er sich erst mal von einer unglücklichen Liebschaft erholen will.
- Bei einer Tanzveranstaltung hat er Lotte, die Tochter eines Amtmanns kennengelernt, die nach dem Tod von dessen Frau sich um die große Kinderschar kümmert.
- Werther erfährt gleich, dass sie so gut wie verlobt ist, was ihn aber zunächst nicht kümmert.
- Auf der Fahrt zum Ball interessiert er sich aber immer mehr für die junge Frau, hat auch während der Veranstaltung eigentlich nur noch Augen für sie und Interesse an ihr.
- Das wird noch verstärkt, als sich herausstellt, dass beide vom gefühlsstarken Dichter Klopstock begeistert sind.
- Werther verabredet sich auch gleich mit Lotte für den nächsten Tag und macht am Ende des letzten Briefes vor dem zu analysierenden klar, dass die „ganze Welt“ sich angesichts dieser Bekanntschaft um ihn herum „verliert“.
Der Textauszug
In kursiver Schrift findet sich der Originaltext.
Eingeschoben dazwischen eine Auswertung des jeweiligen Textabschnitts in Richtung, was der Brief zeigt bzw. deutlich werden lässt.
Dabei kann es schon sinnvoll sein, sich entsprechende Anmerkungen zu besonderen sprachlichen Mitteln zu machen.
- Ich lebe so glückliche Tage, wie sie Gott seinen Heiligen aufspart; und mit mir mag werden was will, so darf ich nicht sagen, daß ich die Freuden, die reinsten Freuden des Lebens nicht genossen habe. – Du kennst mein Wahlheim; dort bin ich völlig etabliert, von da habe ich nur eine halbe Stunde zu Lotten, dort fühl‘ ich mich selbst und alles Glück, das dem Menschen gegeben ist.
- Im ersten Abschnitt macht Werther deutlich, dass er aktuell „die reinsten Freuden des Lebens“ genießt.
- Er begründet das dann mit der Nähe zu Lotte, die er bei einer Tanzveranstaltung näher kennengelernt hat und mit der er sich sehr gut versteht.
- Man könnte es erstaunlich finden, dass Werther hier nicht genauer auf Lotte eingeht – aber das hat er in den Briefen vorher schon zur Genüge getan. Von daher kann er sich hier auf andere Dinge konzentrieren.
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- Hätt‘ ich gedacht, als ich mir Wahlheim zum Zwecke meiner Spaziergänge wählte, daß es so nahe am Himmel läge! Wie oft habe ich das Jagdhaus, das nun alle meine Wünsche einschließt, auf meinen weiten Wanderungen, bald vom Berge, bald von der Ebne über den Fluß gesehn!
- In diesem Abschnitt macht Werther deutlich, dass der Ort Wahlheim durch die Beziehung zu Lotte für ihn eine ganz neue Bedeutung bekommen hat.
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- Lieber Wilhelm, ich habe allerlei nachgedacht, über die Begier im Menschen, sich auszubreiten, neue Entdeckungen zu machen, herumzuschweifen; und dann wieder über den inneren Trieb, sich der Einschränkung willig zu ergeben, in dem Gleise der Gewohnheit so hinzufahren und sich weder um Rechts noch um Links zu bekümmern.
- Er verbindet das dann mit Überlegungen über gegensätzliche Bedürfnisse von Menschen: Zum einen sind sie gerne unterwegs, um Neues zu entdecken. Zum anderen aber beschränken sie sich auch gerne auf das Bekannte.
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- Er verbindet das dann mit Überlegungen über gegensätzliche Bedürfnisse von Menschen: Zum einen sind sie gerne unterwegs, um Neues zu entdecken. Zum anderen aber beschränken sie sich auch gerne auf das Bekannte.
- Es ist wunderbar: wie ich hierher kam und vom Hügel in das schöne Tal schaute, wie es mich rings umher anzog. – Dort das Wäldchen! – Ach könntest du dich in seine Schatten mischen! – Dort die Spitze des Berges! – Ach könntest du von da die weite Gegend überschauen! – Die in einander geketteten Hügel und vertraulichen Täler! – O könnte ich mich in ihnen verlieren! – – Ich eilte hin, und kehrte zurück, und hatte nicht gefunden, was ich hoffte. O es ist mit der Ferne wie mit der Zukunft! Ein großes dämmerndes Ganze ruht vor unserer Seele, unsere Empfindung verschwimmt darin wie unser Auge, und wir sehnen uns, ach! unser ganzes Wesen hinzugeben, uns mit aller Wonne eines einzigen, großen, herrlichen Gefühls ausfüllen zu lassen. – Und ach! wenn wir hinzueilen, wenn das Dort nun Hier wird, ist alles vor wie nach, und wir stehen in unserer Armut, in unserer Eingeschränktheit, und unsere Seele lechzt nach entschlüpftem Labsale.
- In diesem Abschnitt zeigt sich Werthers Begeisterung bei der Betrachtung der Natur,
- er stellt dann aber doch fest, dass die „Ferne“ ähnlich wie die „Zukunft“ ihren Reiz verliert, wenn sie zur Nähe oder zur Gegenwart geworden ist.
- Er verlässt dann aber schnell diese durchaus nachvollziehbaren Überlegungen und wendet sich ganz den besonderen Gefühlen zu, die ihn jetzt bewegen. Im typisch romantischen Stil gehen da alle klaren Konturen verloren, man möchte sich nur noch einfach hingeben.
- Am Ende dann gibt es eine Art Ernüchterung, bei der man sich wieder eingeschränkt fühlt.
- Verwendet wird hier das starke Bild eines Genusses, der einem kurzzeitig weggefallen ist und den man deshalb umso mehr zurück begehrt.
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- So sehnt sich der unruhigste Vagabund zuletzt wieder nach seinem Vaterlande und findet in seiner Hütte, an der Brust seiner Gattin, in dem Kreise seiner Kinder, in den Geschäften zu ihrer Erhaltung die Wonne, die er in der weiten Welt vergebens suchte.
- Werther bringt dann einen recht schrägen Vergleich von einem „Vagabund“, der nach langer Zeit zurückkehrt
- und dann zu Hause aufgenommen wird, als wäre er in der ganzen Zeit präsent gewesen.
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- Wenn ich des Morgens mit Sonnenaufgange hinausgehe nach meinem Wahlheim und dort im Wirtsgarten mir meine Zuckererbsen selbst pflücke, mich hinsetze, sie abfädne und dazwischen in meinem Homer lese; wenn ich in der kleinen Küche mir einen Topf wähle, mir Butter aussteche, Schoten ans Feuer stelle, zudecke und mich dazusetze, sie manchmal umzuschütteln: da fühl‘ ich so lebhaft, wie die übermütigen Freier der Penelope Ochsen und Schweine schlachten, zerlegen und braten. Es ist nichts, das mich so mit einer stillen, wahren Empfindung ausfüllte als die Züge patriarchalischen Lebens, die ich, Gott sei Dank, ohne Affektation in meine Lebensart verweben kann.
- Werther gibt sich dann weiteren Fantasien hin, die auch nicht viel mit der Realität zu tun haben.
- Denn er tut so, als wäre das Landleben mit entsprechender Selbstversorgung das reine Vergnügen und nicht mit harter Arbeit verbunden.
- Es ist wohl unfreiwillige Satire oder ein besonderer Fall von ungewollter „Selbstkundgabe“, dass er sein Schlemmen mit dem der Freier der Frau des Odysseus aus Homers altgriechischem Epos vergleicht.
- Dass sie anschließend alle unter den Pfeilschüssen des rachsüchtigen Helden umgekommen sind, wird hier ausgeblendet.
- Auch die „Züge patriarchalischen Lebens“, über die er sich freut, dürften in der Realität eine sehr einseitige Veranstaltung eben der höheren Schichten gewesen sein. Die reale soziale Situation im 18. Jhdt. wird völlig ausgeblendet oder auf eine soziale Schicht hin ausgerichtet.
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- Wie wohl ist mir’s, daß mein Herz die simple, harmlose Wonne des Menschen fühlen kann, der ein Krauthaupt auf seinen Tisch bringt, das er selbst gezogen, und nun nicht den Kohl allein, sondern all die guten Tage, den schönen Morgen, da er ihn pflanzte, die lieblichen Abende, da er ihn begoß, und da er an dem fortschreitenden Wachstum seine Freude hatte, alle in einem Augenblicke wieder mitgenießt.
- Am Ende wird diese „Wonne“ des einfachen Menschen an einer bestimmten Situation festgemacht.
- Das kann man durchaus nachvollziehen, wenn man die ganzen Begleitumstände ausblendet.
Auswertung: Der Brief zeigt …
- Zunächst einmal die Anverwandlung eines bestimmten Ortes, natürlich vor dem Hintergrund seiner gerade gemachten Erfahrung des einfachen Lebens der bewunderten Lottes im Kreis ihrer Familie.
— - Dann wird deutlich, dass diese Anverwandlung eine zu einer Art von Konzentration auf den unmittelbaren Umkreis führt.
— - Die Weite ergibt sich vor allem angesichts der Gefühle, die die Begegnung mit Lotte bei Werther ausgelöst hat. Sie werden in diesem Brief auf die Natur, ja fast die gesamte Schöpfung übertragen.
— - Deutlich wird auch eine wohl sehr einsträngig-private Anverwandlung des Werkes von Homer. Werther fühlt sich da richtig hinein, tut es aber nicht mit historisch reflektierender Distanz, sondern baut sich hier eine eigene Fantasiewelt auf, für die Homers Epos nur Anregungen bietet.
— - Insgesamt wird hier deutlich, auf welche Schwierigkeiten die Aufklärung mit ihrem „kategorischen Imperativ“ stoßen wird. Denn Werther verhält sich hier völlig ichbezogen – und wenn man die Informationen der Briefe davor mit hinzunimmt, völlig verantwortungslos. Anfangs hat ihn der Verlobte Lottes nicht groß interessiert, er war zu sehr mit dem Prozess des Kennenlernens beschäftigt. Als sich dann ein hohes Maß an Annäherung und geistig-seelischer Gemeinsamkeit mit Lotte ergeben hat, ist das für Werther zwar etwas störend, aber er sieht in dieser seltsamen Beziehung nur etwas Belebendes und will gewissermaßen dranbleiben.
Formulierung des Themas
Mit der Klärung der Aussagen hat man gewissermaßen die Antworten auf eine nur implizit vorhandene oder besser vorausgegangene Frage. Man könnte sie so formulieren:
Wie wird Werther sich im nächsten Brief präsentieren, wenn er Zeit hatte, über die intensive Begegnung nachzudenken.
Und die Antwort ist dann ganz einfach:
- Er genießt einfach nur den aktuellen Frohsinn,
- bezieht ihn vor allem auf die Natur
- und blendet alles aus, was die Grundlage seiner aktuellen Begeisterung zu einem Problem machen muss und wird.
Sprachliche Mittel
Weil wir das hier einmal ganz detailliert durchgezogen haben, wurde die entsprechende Seite wegen ihres Umfangs ausgelagert. Hier kann man sie erreichen:
https://schnell-durchblicken.de/goethe-die-leiden-des-jungen-werthers-beispiel-analyse-sprachliche-mittel
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Die Leiden des jungen Werther
https://textaussage.de/werther-themenseite
— - Analysieren und Interpretieren allgemein
https://textaussage.de/themenseite-analysieren-interpretieren
— - Infos, Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
https://textaussage.de/weitere-infos