Goethe, „Die Leiden des jungen Werthers“ Beispiel-Analyse – sprachliche Mittel (Mat8574-Mittel)

Worum es hier geht:

Wir wollen am Beispiel eines Briefes aus Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ zeigen, wie man sprachliche bzw. rhetorische Mittel erkennt.

In kursiver Schrift findet sich der Originaltext.

Eingeschoben dazwischen eine Auswertung des jeweiligen Textabschnitts in Richtung, was der Brief zeigt bzw. deutlich werden lässt.

Dabei kann es schon sinnvoll sein, sich entsprechende Anmerkungen zu besonderen sprachlichen Mitteln zu machen.

Quelle des folgenden Auszugs:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 6, Hamburg 1948 ff, S. 7-60.

Am 21. Junius.

Ich lebe so glückliche Tage, wie sie Gott seinen Heiligen aufspart;

  • Vergleich in die Welt des religiösen, ja sogar göttlichen hinein, völlige SelbstÜberhebung

und mit mir mag werden was will, so darf ich nicht sagen, daß ich die Freuden, die reinsten Freuden des Lebens

  • Wiederholung, Verstärkung

nicht genossen habe. – Du kennst mein Wahlheim; dort bin ich völlig etabliert

  • Interessante Wortwahl, die seinen aktuellen Sesshaftigkeit Stand deutlich macht, aber natürlich auch eine falsche Einschätzung seiner Situation, denn seine Einmischung in Lottes Familie ist ja grundsätzlich prekär

, von da habe ich nur eine halbe Stunde zu Lotten, dort fühl‘ ich mich selbst und alles Glück, das dem Menschen gegeben ist.

  • Immer wieder der totale, alle Relativierung ausschließen, letzlich irrationale Ansatz der Betrachtung

Hätt‘ ich gedacht, als ich mir Wahlheim zum Zwecke meiner Spaziergänge wählte, daß es so nahe am Himmel läge!

  • Auch hier wieder die Übertreibung, die Verbindung seiner Glücksgefühle mit dem Bereich der Transzendenz

Wie oft habe ich das Jagdhaus, das nun alle meine Wünsche einschließt, auf meinen weiten Wanderungen, bald vom Berge, bald von der Ebne über den Fluß gesehn!

Lieber Wilhelm, ich habe allerlei nachgedacht, über die Begier im Menschen, sich auszubreiten, neue Entdeckungen zu machen, herumzuschweifen; und dann wieder über den inneren Trieb, sich der Einschränkung willig zu ergeben, in dem Gleise der Gewohnheit so hinzufahren und sich weder um Rechts noch um Links zu bekümmern.

  • Zum einen der Gegensatz, der hier allerdings eine Bandbreite zeigt, von weite und enge,
  • Dann das Bild der Gewohnheit, Anbindung an eine häufig gefahrene Straße, Gleise im heutigen Sinne spielt ja noch keine Rolle

Es ist wunderbar: wie ich hierher kam und vom Hügel in das schöne Tal schaute, wie es mich rings umher anzog. – Dort das Wäldchen! – Ach könntest du dich in seine Schatten mischen! – Dort die Spitze des Berges! – Ach könntest du von da die weite Gegend überschauen! – Die in einander geketteten Hügel und vertraulichen Täler! – O könnte ich mich in ihnen verlieren!

  • Auch hier wieder der totale Ansatz bis erstaunlicherweise zur Selbstaufgabe

– – Ich eilte hin, und kehrte zurück, und hatte nicht gefunden,

  • Steigerung, Klimax

was ich hoffte. O es ist mit der Ferne wie mit der Zukunft! Ein großes dämmerndes Ganze ruht vor unserer Seele,

  • Personifizierung

unsere Empfindung verschwimmt darin wie unser Auge, und wir sehnen uns, ach! unser ganzes Wesen hinzugeben,

  • Hier noch mal der totale Ansatz der Hingabe, auch wieder die Tendenz der Selbstauflösung

uns mit aller Wonne eines einzigen, großen, herrlichen Gefühls ausfüllen zu lassen.

  • Bild der Fülle, des gefüllt werdensals möglicherweise Variante oder zweite Seite der sich auf

– Und ach! wenn wir hinzueilen, wenn das Dort nun Hier wird, ist alles vor wie nach,

  • Gegensatz Paare

und wir stehen in unserer Armut, in unserer Eingeschränktheit, und unsere Seele lechzt nach entschlüpftem Labsale.

  • Personifizierung, verbunden mit einem Bild

So sehnt sich der unruhigste Vagabund zuletzt wieder nach seinem Vaterlande und findet in seiner Hütte, an der Brust seiner Gattin, in dem Kreise seiner Kinder, in den Geschäften zu ihrer Erhaltung die Wonne, die er in der weiten Welt vergebens suchte.

  • Vergleich
  • Mit Reihung von Begriffen

Wenn ich des Morgens mit Sonnenaufgange hinausgehe nach meinem Wahlheim und dort im Wirtsgarten mir meine Zuckererbsen selbst pflücke, mich hinsetze, sie abfädne und dazwischen in meinem Homer lese; wenn ich in der kleinen Küche mir einen Topf wähle, mir Butter aussteche, Schoten ans Feuer stelle, zudecke und mich dazusetze, sie manchmal umzuschütteln: da fühl‘ ich so lebhaft, wie die übermütigen Freier der Penelope Ochsen und Schweine schlachten, zerlegen und braten. Es ist nichts, das mich so mit einer stillen, wahren Empfindung ausfüllte als die Züge patriarchalischen Lebens, die ich, Gott sei Dank, ohne Affektation in meine Lebensart verweben kann.

  • Aneinanderreihung und damit auch Steigerung von Nebensätzen
  • Bezug zu Homers Odyssee
  • Wiederum Reihung bei den Tätigkeiten, die mit dem Braten von Fleisch verbunden sind, das erhöht die Intensität der Wahrnehmung in der Fantasie
  • Umschreibung der Vorstellung, die Werther mit dem antiken Heldenleben verbindet
  • Wiederum Einbeziehung Gottes
  • Bild der Anverwandlung der Vorstellung von der Antike in die eigene „Lebensart“

Wie wohl ist mir’s, daß mein Herz die simple, harmlose Wonne des Menschen fühlen kann, der ein Krauthaupt auf seinen Tisch bringt, das er selbst gezogen, und nun nicht den Kohl allein, sondern all die guten Tage, den schönen Morgen, da er ihn pflanzte, die lieblichen Abende, da er ihn begoß, und da er an dem fortschreitenden Wachstum seine Freude hatte, alle in einem Augenblicke wieder mitgenießt.

  • Personifizierung des Herzens
  • Hervorhebung eines konkreten Produkt- und Genussbeispiels
  • Wiederum Aneinanderreihung all dessen, was er damit verbindet.

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