Anders Tivag, Kurz-Essay: Wenn ein Vorteil des Menschen gegenüber der KI zur Gefahr wird (Mat5462-evg)

Anders Tivag, Kurzer Essay zur Frage, warum man manchmal nicht nur „menschlich“ sein sollte

Damit eins ganz klar ist: Wir haben nichts gegen „Menschlichkeit“, vor allem, wenn sie auf beiden Seiten  ein schönes Gefühl erzeugt und dem Leben auch in dunklen Zonen ein bisschen Licht gibt.

Aber man kann „Menschlichkeit“ natürlich auch in einem größeren Zusammenhang verstehen. Dann geht es um das, was typisch für den Menschen ist – und nicht immer nur schön. Man denke an jemanden, der beim Einparken etwas schneller war, während man selbst noch überlegte …

Hier wollen wir mal auf einen sehr speziellen Nachteil des Menschen eingehen, der wenig mit Egoismus, aber viel mit verpassten Chancen zu tun hat.

Wir haben ihn schon oft festgehalten – den Unterschied zwischen künstlicher Intelligenz (KI) und menschlich integrierter Alltagserfahrung (MIA). KI kann strukturieren, analysieren, sortieren – aber sie lebt nicht mit einem Küchenschrank, einem Wäscheberg und einem Schulordner voller semantischer Überraschungen. Der Mensch dagegen lebt – und mit ihm wachsen seine Systeme, seine Routinen, seine Abkürzungen. Lebenswelt ist nicht nur ein Begriff – sie ist die Architektur des Vertrauten.

Doch genau diese Lebenswelt kann auch hinderlich sein. Spätestens im „Rosenkrieg“ – dem bildlich gewordenen Zusammenbruch gemeinsamer Routinen eines Ehepaars – zeigt sich: Was eben noch liebevoll eingespielte Ordnung war, kann sich in ein kaum verhandelbares „So-machen-wir-das“-Gefängnis verwandeln. Lebenswelt ist tröstlich – aber sie kann auch verhärtet, unhinterfragt, besitzergreifend werden.

Auch junge Menschen können das schon erleben, noch weit weg vom Standesamt: Sie halten bestimmte Themen für langweilig, bevor sie ihnen eine Chance geben. Sie begegnen Literatur mit Vorurteilen oder kulturellem Misstrauen – oft, weil sie geprägt sind durch ihre eigene Peer Group, durch TikTok-Filter, Memes und Gruppenwerte. Manchmal wirkt schon eine Gedichtanalyse wie ein Angriff auf ihre kulturelle Heimat – und sie denken nicht mehr dran, dass ein Song sie abends im Konzert fast zu Tränen rühren wird. Auch ein Gedicht, aber das ist wird im Deutschunterricht leider nur am Rande besprochen.

Was also tun? Die eigene Lebenswelt nicht blind verteidigen, aber auch nicht blind aufgeben. Der Schlüssel liegt in einer Haltung, die prüft, was trägt. Offenheit ohne Naivität. Skepsis ohne Verhärtung. So wie wir das an anderer Stelle am Beispiel eines App-Tipps besprochen haben.
https://schnell-durchblicken.de/freud-und-leid-der-menschlichen-lebenswelt

Oder in anderen Worten: Die eigene Lebenswelt ist ein Werkzeugkasten. Man muss ihn nicht wegwerfen, nur weil ein neues Set im Angebot ist. Aber ein zusätzlicher Schraubenzieher kann nützlich sein – wenn man weiß, wofür.

Und – um noch mal zum Rosenkrieg zurückzukommen: Manchmal ist es auch in einer Beziehung von Vorteil, sich auf eine kleine Verbesserung zu konzentrieren, statt gleich alles aufzugeben.

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