Lessing, „Emilia Galotti“: systematische Charakteristik der Mutter – Claudia (Mat6227)

Worum es hier geht:

Stellen wir uns vor, in einem Textkenntnistest wird verlangt, eine der Hauptfiguren des Dramas „Emilia Galotti“ von Lessings zu charakterisieren – nämlich den Vater: Odoardo Galotti

Dann geht es darum, grundsätzlich etwas zu sagen zur Eigenart und zur Rolle bzw. Funktion der entsprechenden Figur.

Im Folgenden wollen wir zeigen, wie man eine möglichst gute Lösung konstruieren kann.

So etwas hat den Vorteil, dass es auch eine gute Vorübung zum Beispiel für ein Statement in einer mündlichen Prüfung ist.

Wichtig ist dabei der richtige Mix aus Grundsätzlichem und Ablauforientiertem. Das Grundsätzliche wäre hier die auch religiös motivierte moralische Haltung, die durch die Anmache des Prinzen in Gefahr gerät.

Der Ablauf ergibt sich durch die Entwicklung des Konflikts.

Allgemeiner Einstieg: Von der Rolle zum dramatischen Konflikt
  1. Emilias Mutter gehört zu den Hauptfiguren des Dramas. Sie ist es nämlich, die
    • mit ihrer Entscheidung, mit ihrer Tochter in die Hauptstadt und damit in den Einflussbereich des Prinzen, die tragischen Ereignisse auslöst.
    • Außerdem verhindert sie, dass Emilia über die Übergriffe des Prinzen mit ihrem Verlobten spricht. Damit werden mögliche Auswege versperrt.
    • Ihr Mann hat in gewisser Weise recht, wenn er seine Frau vor diesem Hintergrund als „eitle, törichte Mutter“ (EB26) bezeichnet.
  2. Damit ist auch schon ein zweiter Hauptzug der Mutter bezeichnet. Ähnlich wie Frau Miller in Schillers „Kabale und Liebe“ ist sie durchaus an den höheren Kreisen und deren Leben interessiert – ohne die möglichen Gefahren zu bedenken.
Charakterisierung der Figur im Verlauf der Handlung
  1. Dass die Mutter der Eheschließung mit gemischten Gefühlen entgegensieht, ist verständlich. Denn in den damaligen Zeiten hatte die Mutter hier mehr zu verlieren als der Vater, der vorwiegend außer Haus aktiv war.
    • Anregung:
      Sehr schön, wenn auch aus heutiger Sicht befremdlich, wird das Verhältnis von Mann und Frau in Schillers „Lied von der Glocke“ beschrieben:Da heißt es:
      „Der Mann muß hinaus
      Ins feindliche Leben,
      Muß wirken und streben
      Und pflanzen und schaffen,
      Erlisten, erraffen,
      Muß wetten und wagen,
      Das Glück zu erjagen.“
    • Und im Hinblick auf die Frau kann man dann dort lesen:
      „Die züchtige Hausfrau,Die Mutter der Kinder,
      Und herrschet weise
      Im häuslichen Kreise,
      Und lehret die Mädchen
      Und wehret den Knaben,
      Und reget ohn Ende
      Die fleißigen Hände,
      Und mehrt den Gewinn
      Mit ordnendem Sinn.“
  2. Erst der Überfall auf die Kutsche, die zum Tod des Grafen führt, ändert Einstellung und Verhalten der Mutter.
    Jetzt geht sie sogar so weit, Marinelli auf Grund einer letzten Bemerkung des Sterbenden offen vorzuwerfen (EB53)
    „Ha, Mörder! feiger, elender Mörder! Nicht tapfer genug, mit eigner Hand zu morden: aber nichtswürdig genug, zu Befriedigung eines fremden Kitzels zu morden! – morden zu lassen! – Abschaum aller Mörder! – Was ehrliche Mörder sind, werden dich unter sich nicht dulden! Dich! Dich! – Denn warum soll ich dir nicht alle meine Galle, allen meinen Geifer mit einem einzigen Worte ins Gesicht speien? – Dich! Dich Kuppler!“
  3. Auch ihr Handeln ist ab jetzt eher umsichtig. Sie traut ihrer Tochter eine Menge Abwehrkraft gegenüber weiteren Versuchungen zu. Auf die Bemerkung ihres Mannes im Hinblick auf die entführte Emilia: „Und sie jammert und winselt –“ antwortet Claudia selbstbewusst zu zuversichtlich: „Nicht mehr. – Das ist vorbei: nach Ihrer Art, die du kennest. Sie ist die Furchtsamste und Entschlossenste unsers Geschlechts. Ihrer ersten Eindrücke nie mächtig; aber nach der geringsten Überlegung, in alles sich findend, auf alles gefaßt. Sie hält den Prinzen in einer Entfernung; sie spricht mit ihm in einem Tone – Mache nur, Odoardo, daß wir wegkommen.“ (EB72)
  4. Es ist dann die verhängnisvolle Entscheidung Odoardos, seine Frau in einem recht anweisenden Ton zur Heimfahrt zu bewegen. Auf den Einwand Claudias: „Aber – wenn nur – Ich trenne mich ungern von dem Kinde“ antwortet Odoardo zu selbstbewusst mit der fatalen rhetorischen Frage „Bleibt der Vater nicht in der Nähe?“ und nimmt damit seiner Tochter die letzte Möglichkeit, irgendwie lebend davonzukommen, ohne gleichzeitig ihre Ehre zu verlieren.
  5. Damit trägt der Vater, den die Frau bei seiner Ankunft am Tatort noch begrüßt hat als „unser Beschützer, unser Retter“ (EB71) letztlich die Verantwortung für den tödlichen Ausgang des Dramas. Es hätte sicher andere Möglichkeiten gegeben als die Tötung der Tochter auf ihr Verlangen hin.

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