Worum es hier geht:
Wir präsentieren hier einen Klausurvorschlag, der auf Probleme der Ringparabel hinweist, die ihr möglicherweise nur eine situativ-funktionale Bedeutung in der fiktiven Kommunikationssituation zubilligen. Vorgeschlagen wird ein Paradigmenwechsel, der einer anderen Stelle im Drama eine viel größere und realere Bedeutung zuspricht.
Erschienen ist der Text in unserer Internet-Zeitschrift:
„Durchblicke bis auf Widerruf. Online-Zeitschrift für Schule und Studium“, Ausgabe 2/2024
Aufgabenstellung:
- Analysieren Sie den Text von Anders Tivag, indem Sie
- ihn in einer Einleitung kurz vorstellen und dabei das Thema nennen,
- die Argumentationsstruktur des Textes herausarbeiten
- dann zusammenfassend die Position beschreiben und
- schließlich aufzeigen, mit welchen sprachlichen und rhetorischen Mitteln diese Position vertreten wird.
- Nehmen Sie auf der Basis Ihrer Kenntnis des Dramas und unter Einbeziehung von Unterrichtsergebnissen Stellung zur Position des Verfassers.
Text:
Anders Tivag
Lessings Ringparabel – wirklich ein Instrument der Toleranzförderung?
Das, was der als weise bezeichnete Jude Nathan dem muslimischen Sultan Saladin in der berühmten Ringparabel erzählt, gilt allgemein als Geheimrezept für den friedlichen Ausgleich zwischen verschiedenen Weltreligionen.
Jeder, der sich mit Religion auskennt, erkennt, wo die Schwachstelle ist. Lessing beziehungsweise sein Protagonist Nathan übergehen eine entscheidende Stelle ziemlich leichtfertig. Dass man den Mitmenschen angenehm ist, wenn man sich entsprechend verhält, kann sicherlich jeder nachvollziehen.
Was die gleichzeitige Forderung angeht, auch Gott angenehm zu sein, darüber streiten sich genau die verschiedenen Religionen. Man denke nur an Luthers Kampf um eine seligmachende Gerechtigkeit, die allein aus dem Glauben hervorgeht. Was er genau ablehnte, war die sogenannte Werkgerechtigkeit, die der ersten Hälfte der Forderung der Ringparabel entsprach. Bei der zweiten Forderung waren die evangelische und katholische Konfession ab dem 15. Jhdt. weit auseinander. Und wer als protestantischer Seemann an die Küste der iberischen Halbinsel gespült wurde, konnte durchaus als Ketzer auf dem Scheiterhaufen landen.
Es gibt also ganz offensichtliche Schwachstellen in der Ringparabel. Sie würde natürlich in den 1000 Jahren Probezeit auch nicht funktionieren – einfach weil die beiden realen Pechvögel weniger erreichen als der glückliche dritte Bruder, der den Wunderring zufällig bekommen hat.
Aber wir wollten ja das Paradigma ändern, also das normale Verständnis der Aussage und Funktion der Ringparabel. Und dan denken wir einfach an die Kommunikationssituation, in der Nathan sich befindet.
Wie sehr er die offensichtliche Lehre des „Märchens“ wirklich im Auge hat, sei dahingestellt. Lessing-Nathan musste wissen, dass ein Parabel-Sieg beim Sultan nicht viel zu bedeuten hat. Die religiösen Führer müssen auch überzeugt werden. Und die kannten sich in ihrem Glauben sicher besser aus, als der evangelische Christ Lessing, der sich wohl weit von Glaubensbekenntnis und Katechismus entfernt hat.
Und vielleicht ist der Sultan genauso berechnend wie Nathan: Ihm gefällt jede Friedensidee zwischen den Religionen, auch wenn sie in der Realität nicht viel zu bedeuten hat. War nicht gerade Waffenstillstand beim aktuellen Kreuzzug. Hatten anfangs der Tempelritter und dann der Patriarch brutalstmöglich gezeigt, wie sehr sie ihren Glauben ernst nahmen – ggf. auch blutig ernst. Aber Nathans Geschichte bringt den Herrscher in gute Stimmung – und das reicht für den Moment.
Nathan wiederum hat sich vor diesem Hintergrund geschickt aus der Affäre gezogen. Für die Verständigung zwischen den Religionen ist so gut wie nichts erreicht worden.
Erstaunlich, dass eine andere Stelle im Theaterstück nicht in den Mittelpunkt gestellt wird: Wir nennen sie mal den Grund für die Religionszugehörigkeit und auch die meist große Bereitschaft, bei dieser Überzeugung zu bleiben.
Den Tempelritter jedenfalls hat Nathan wohl wirklich überzeugt mit dem Hinweis, dass man das am meisten liebt und achtet, was einem gewissermaßen in die Wiege gelegt worden ist und was einen dann in Kindheit und Jugend am meisten prägt: der räumliche, soziale und kulturelle Kontext.
Von daher unser Vorschlag für einen Paradigmenwechsel: Weg von der situationsbezogenen und wohl stark berechnenden Märchenparabel – hin zu einer wirklichen Verständigung zwischen den Religionen, die jeden Missionsdruck ausschließt und vor allem an den Hintergründen einer Religionszugehörigkeit interessiert ist und diese auch ernst nimmt.
PDF-Vorlage:
Mat6196-zs Klausur Tivag Bedeutung von Lessings Ringparabel
Verweis auf Leistungserwartungen:
Lösungshinweise zu dieser Klausur:
https://schnell-durchblicken.de/lessing-nathan-der-weise-erwartuntgshorizont-klausur-zur-bedeutung-der-ringparabel
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Themenseite: „Nathan „
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