Lessing, „Nathan der Weise“ Hinweise zur Lösung der Klausur zur Bedeutung der Ringparabel (Mat6196-loe)

Hinweise zur Lösung der Aufgabenstellung eingearbeitet in die Darstellung

  1. Analysieren Sie den Text von Anders Tivag, indem Sie
    1. ihn in einer Einleitung kurz vorstellen und dabei das Thema nennen,
      Es geht um einen Artikel in der Internetzeitschrift „Durchblicke bis auf Widerruf“, Ausgabe 2/2024
      von Anders Tivag
      mit der Überschrift „Lessings Ringparabel – wirklich ein Instrument der Toleranzförderung?“.
      Thema ist die Frage,
      worin der wirkliche Beitrag zur Förderung der Toleranz zwischen den Religionen in Lessings Theaterstück „Nathan der Weise“ liegt.
    2. die Argumentationsstruktur des Textes herausarbeiten
      Die haben wir unten in den Text eingearbeitet.
    3. dann zusammenfassend die Position beschreiben und
    4. schließlich aufzeigen, mit welchen sprachlichen und rhetorischen Mitteln diese Position vertreten wird.
  2. Nehmen Sie auf der Basis Ihrer Kenntnis des Dramas und unter Einbeziehung von Unterrichtsergebnissen Stellung zur Position des Verfassers.

Anders Tivag

Lessings Ringparabel  – wirklich ein Instrument der Toleranzförderung?

 

Das, was der als weise bezeichnete Jude Nathan dem muslimischen Sultan Saladin in der berühmten Ringparabel erzählt, gilt allgemein als Geheimrezept für den friedlichen Ausgleich zwischen verschiedenen Weltreligionen.

  • Argumentationsansatz:
    Normale Standardvorstellung von der Bedeutung der Ringparabel als „Geheimrezept“ für mehr Verständigung zwischen den Weltreligionen.
    Wichtiges Thema auch für die Beziehung zwischen Kulturen.

Jeder, der sich mit Religion auskennt, erkennt, wo die Schwachstelle ist. Lessing beziehungsweise sein Protagonist Nathan übergehen eine entscheidende Stelle ziemlich leichtfertig. Dass man den Mitmenschen angenehm ist, wenn man sich entsprechend verhält, kann sicherlich jeder nachvollziehen.

Was die gleichzeitige Forderung angeht, auch Gott angenehm zu sein, darüber streiten sich genau die verschiedenen Religionen. Man denke  nur an Luthers Kampf um eine seligmachende Gerechtigkeit, die allein aus dem Glauben hervorgeht. Was er genau ablehnte, war die sogenannte Werkgerechtigkeit, die der ersten Hälfte der Forderung der Ringparabel entsprach.  Bei der zweiten Forderung waren die evangelische und katholische Konfession ab dem 15. Jhdt. weit auseinander. Und wer als protestantischer Seemann an die Küste der iberischen Halbinsel gespült wurde, konnte durchaus als Ketzer auf dem Scheiterhaufen landen.

  • These von einer Schwachstelle im Drama, nämlich einem zu leichtfertigem Umgang mit dem Gottesbezug in der Entscheidung des Richters.
  • Als Beispiel wird auf die Auseinandersetzung über religiöse Fragen hingewiesen, die zum Bruch Luthers und seiner Anhänger von der Römisch-katholischen Kirche geführt hat.

Es gibt also ganz offensichtliche Schwachstellen in der Ringparabel. Sie würde natürlich in den 1000 Jahren Probezeit auch nicht funktionieren – einfach weil die beiden realen Pechvögel weniger erreichen als der glückliche dritte Bruder, der den Wunderring zufällig bekommen hat.

  • Hinweis auf eine zweite Schwachstelle, die aber eher etwas mit menschlicher Normalität zu tun hat.
  • Die in der Parabel als real angenommene Wunderwirkung des einen Rings würde seinem Besitzer einen Vorteil verschaffen, der dann wieder Neid und missgunst auslöst.

Aber wir wollten ja das Paradigma ändern, also das normale Verständnis der Aussage und Funktion der Ringparabel. Und so denken wir einfach an die Kommunikationssituation, in der Nathan sich befindet.

  • Hinweis auf die Bedeutung der Kommunikationssituation, in der Nathan sich befindet und die wichtig ist für die Wertung dessen, was er im Angesicht des Sultans zu der schwierigen Frage nach der Wahrheit der Religionen sagt.

Wie sehr er die offensichtliche Lehre des „Märchens“ wirklich im Auge hat, sei dahingestellt. Lessing-Nathan musste wissen, dass ein Parabel-Sieg beim Sultan nicht viel zu bedeuten hat. Die religiösen Führer müssen auch überzeugt werden. Und die kannten sich in ihrem Glauben sicher besser aus, als der evangelische Christ Lessing, der sich wohl weit von Glaubensbekenntnis und Katechismus entfernt hat.

Und vielleicht ist der Sultan genauso berechnend wie Nathan: Ihm gefällt jede Friedensidee zwischen den Religionen, auch wenn sie in der Realität nicht viel zu bedeuten hat. War nicht gerade Waffenstillstand beim aktuellen Kreuzzug. Hatten anfangs der Tempelritter und dann der Patriarch brutalstmöglich gezeigt, wie sehr sie ihren Glauben ernst nahmen – ggf. auch blutig ernst? Aber Nathans Geschichte bringt den Herrscher in gute Stimmung – und das reicht für den Moment.

Nathan wiederum hat sich vor diesem Hintergrund geschickt aus der Affäre gezogen. Für die Verständigung zwischen den Religionen ist so gut wie nichts erreicht worden.

  • Hinweis auf weitere Faktoren, die es eher unwahrscheinlich machen, dass Nathan wirklich glaubte, mit dieser Parabel auf Dauer durchzukommen:
    • Der Sultan als kaum angemessene Beurteilungsinstanz der Religionsfrage.
    • Das Problem, dass die Überzeugung der religiösen Führer und auch der vielen Gläubigen überhaupt nicht in die Übertragungsüberlegungen einbezogen werden.
    • Daraus abgeleitet wird die These, dass Nathan seinen eigenen Kopf zwar erfolgreich aus einer möglichen Schlinge gezogen hat, allerdings für die Toleranzproblematik wenig bis gar nichts erreicht hat, wenn es um Religionsfragen geht.

Erstaunlich, dass eine andere Stelle im Theaterstück nicht in den Mittelpunkt gestellt wird: Wir nennen sie mal den Grund für die Religionszugehörigkeit und auch die meist große Bereitschaft, bei dieser Überzeugung zu bleiben.

Den Tempelritter jedenfalls hat Nathan wohl wirklich überzeugt mit dem Hinweis, dass man das am meisten liebt und achtet, was einem gewissermaßen in die Wiege gelegt worden ist und was einen dann in Kindheit und Jugend am meisten prägt: der räumliche, soziale und kulturelle Kontext.

  • Hinweis auf eine nach Meinung des Verfassers viel wichtigere Passage, nämlich Nathans Hervorhebung der Wichtigkeit der Herkunft aus einem bestimmten sozialen und kulturellen Umfeld für die Wahl der Religion.

Von daher unser Vorschlag für einen Paradigmenwechsel: Weg von der situationsbezogenen und wohl stark berechnenden Märchenparabel – hin zu einer wirklichen Verständigung zwischen den Religionen, die jeden Missionsdruck ausschließt und vor allem an den Hintergründen einer Religionszugehörigkeit interessiert ist und diese auch ernst nimmt.

  • Vorschlag für eine neue Sicht der Ringparabel und des gesamten Theaterstücks.
  • Weniger Konzentration auf die situationsbedingte Märchengeschichte
  • Dafür mehr Berücksichtigung der Hintergründe einer Religionszugehörigkeit
  • und Verzicht auf die – eine andere Religion – herausfordernde Missionstätigkeit.

Zusammenfassende Beschreibung der Aussagen des Textes

  1. Der Text macht deutlich, dass die landläufige Konzentration auf die Ringparabel als friedensstiftende Idee für Auseinandersetzungen zwischen Religionen von falschen Voraussetzungen ausgeht.
  2. Diese bestehen zum einen in der zu geringen Berücksichtigung der Normen einer Offenbarungsreligion mit einem in der Regel festgelegten Glaubensbekenntnis.
  3. Zum anderen werden die Leute nicht berücksichtigt, die in den Religionen das Sagen haben, was theologische Fragen angeht.
  4. Davon hängt letztlich ab, wie auch die einfachen Gläubigen sich positionieren.
  5. Außerdem wird auch das weitere Zusammenspiel zwischen den Brüdern in Frage gestellt, weil ein Ring ja einem einen Vorteil verschafft.
  6. Vor diesem Hintergrund wird der eigentliche Toleranzförderungswert dieses Dramas in dem Hinweis auf die regionale, soziale und kulturelle Grundierung jeder Religionszugehörigkeit gesehen.

Hinweis auf sprachliche und rhetorische Mittel, die die Aussagen unterstützen

  1. Verwendung des Begriffs „Geheimrezept“, um deutlich zu machen, dass es so eine einfache Lösung des Problems nicht gibt.
  2. Verwendung des Begriffs „Schwachstelle“ als Bild für die recht brüchige Konstruktion der Ringparabel
    Der Begriff wird später sogar wiederholt.
  3. Auch das Wort „leichtfertig“ unterstreicht als Alltagsmetapher das Problem.
  4. Betonung des Gegensatzes zwischen den beiden Varianten des „Angenehm-Seins“ mit einer deutlichen Unterscheidung im Komplexitätsgrad
  5. Heranziehung der Entstehung der Reformation als eines Schlüsselbeispiels für den letztlich sogar blutigen Kampf zwischen religiösen Auseinandersetzungen – bei denen es um die ewige Seligkeit geht.
  6. Geschickter Einsatz des Beispiels eines schiffbrüchigen Seemanns für die Unerbittlichkeit der religiösen Auseinandersetzungen in der Frühen Neuzeit.
  7. Verwendung der Tiermetapher „Pechvögel“ für die beiden Brüder, die nicht auf die Wunderwirkung des echten Ringes zurückgreifen können.
  8. Verwendung des Fachbegriffs „Paradigma“, den man aus der Wissenschaftstheorie kennen kann – wenn das nicht der Fall ist, müsste das ggf. erklärt werden.
  9. Verwendung des militärischen Begriffs „Sieg“ für den Erfolg beim Sultan.
  10. Herausarbeitung des Verfasserproblems beim Drama: Ein den Dogmen letztlich verpflichteter evangelischer Christ in der Tradition Luthers entfernt sich weit von den Grundlagen des Glaubens.
  11. Rhetorische Fragen, was den historischen Kontext angeht.
  12. Verwendung von Alltagssprache, die das Menschliche betont bei der Beschreibung der Wirkung der Parabel auf den Sultan.
  13. Verwendung des Begriffs „Affäre“ für die schwierige Situation Nathans.
  14. Gegensatz von „geschickt“ und „so gut wie nichts“.
  15. Verwendung des Begriffs der „Wiege“ für die Ausgangsbasis einer jeden Erziehung.
  16. Ansatz von Systematisierung und Differenzierung, wenn die drei verschiedenen Kontexte aufgelistet werden.
  17. Verwendung der Halbmetapher „Missionsdruck“, um deutlich zu machen, welchen Belastungen die Beziehungen zwischen Religionen ausgesetzt sein können.

Hinweise zur Stellungnahme

  1. Hier wird es sicher nicht leicht, der Argumentation von Anders Tivag zu widersprechen.
  2. Von daher empfehlen wir eine gut begründete Zustimmung mit Betonung der Notwendigkeit, scheinbare Gewissheiten immer wieder in Frage zu stellen.
  3. Ansonsten hilft sicher der Unterricht mit spezifischen Ergebnissen, die ergänzend oder auch relativierend eingebracht werden können.

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