Lessings „Nathan der Weise“ in Schlüsselzitaten – so kann man schon mal mitreden (Mat8485)

Worum es hier geht:

Wenn Schüler längere literarische Texte wie zum Beispiel Dramen lesen müssen, dann greifen sie häufig erst mal nach Inhaltsangaben. Das ist auch ganz in Ordnung. Allerdings hat man damit noch keinen richtigen Zugang zum Text und auch der mögliche Spaß an der einen oder anderen Textstelle geht verloren.
Wir wählen deshalb hier einen anderen Weg und gehen gerade von zentralen Textstellen aus. Was man sonst noch wissen sollte, bauen wir drum rum. Wer sich diese Stellen in seiner eigenen Lektüreausgabe markiert, kann schon mal nachweisen, dass er überhaupt in den Text geschaut hat. Im Idealfall wird der Urwald des Textes so nach und nach „gelichtet“ – und man kennt sich immer besser aus.
Probieren wir das einfach mal aus.
So – erst mal vorab ein Gesamtüberblick.
Den haben wir natürlich erst machen können, nachdem wir alle Szenen genau durchgeprüft hatten.
Erst dann ist man in der Lage, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und es auch herauszulösen.
Wer sich auf unser Projekt einlässt, hat am Ende zu jeder Szene (bzw. vor Prüfungen natürlich vor allem zu den wichtigsten) ein paar Kernstellen, auf die er jederzeit zurückgreifen kann.
Damit macht man mächtig Eindruck.
Was hinter den einzelnen Zitaten steckt, erklären wir im Folgenden bei den einzelnen Szenen.
Noch eine kurze Bemerkung zur Angabe der Verse bzw. Zeilen. Dies ist keine wissenschaftliche Arbeit, deshalb begnügen wir uns mit ungefähren Versangaben. Uns geht es nur darum, dass die Nutzer die Stelle in ihrer Ausgabe schnell finden.
Hier aber schon mal eine kurze Erklärung der „Zitat-Fragmente“
  1. In der ersten Szene geht es darum, wie Daria dem heimkehrenden Nathan erklärt, wie seine Tochter Recha damit umgeht, dass sie fast beim Brand des Hauses umgekommen wäre.
    Sie sieht in dem Retter, einem Tempelherrn, einen Engel (ca. 145ff) und verbinde das als vermeintliche Jüdin mit der Hoffnung, dass die drei großen Religionen sich friedlich vereinigen (ca. 153) könnten.
    Deutlich wird auch, dass Nathan und Recha ein Geheimnis verbindet, das Daja kennt, über das sie aber schweigen (ca. 53) muss.
  2. In der zweiten Szene versucht Nathan seiner Tochter die Idee eines übernatürlichen Wunders (ca. 215ff) auszureden. Statt im Hinblick auf ihren Retter zu schwärmen (ca. 359ff) soll sie lieber gut handeln( ca. 359ff) , d.h. sich um den Tempelherrn kümmern und ihn näher kennen lernen.
  3. In der dritten Szene erscheint der Derwisch als Freund (ca. 388) jetzt als Kerl im Staat(ca. 393) , der über Macht und Einfluss verfügt. Als Problem sieht er es an, wenn Fürsten ausnahmsweise mal nicht wie Geier (ca. 418ff) unter friedlich äsenden (ca. 418ff) Tieren agieren, sondern der umgekehrte Fall eintritt: Die Obrigkeit ist dann hilflos angesichts der Übergriffe ihrer Untertan.
  4. In der vierten Szene wird deutlich, wie sehr Recha mit gierigen (ca. 514) Augen den Tempelherrn verfolgt und Nathan flehentlich gebeten wird, ungesäumt(ca. 517) , also schnell, den Tempelherrn anzugehen(ca. 517). Größere Hoffnungen soll er sich aber nicht machen, denn Daja erklärt ganz deutlich: Der Tempelhherr kommt zu keinem Juden(ca. 528).
  5. In der fünften Szene muss der Klosterbruder dem Tempel Herrn ein regelrechtes Bubenstück (ca. 685) anbieten. In ihm soll er Saladin, der ihm das Leben gerettet hat, als Feind der Christenheit (ca. 691) betrachten und ihn ausspionieren und wenn möglich sogar überfallen und umbringen. Die Haltung des Tempelherren ist dem gegenüber ganz klar: Er will nicht zum undankbaren Schurken (ca. 694) werden.
  6. Der erste Akt schließt in der sechsten Szene, in der der Tempelherr Daja gegenüber seine ganze Ablehnung gegenüber einem Juden deutlich macht. Zum Beispiel verbindet er bei dieser Menschengruppe reich und weise(V742). Damit will er sagen, dass Juden seiner Meinung nach vor allem ihre Klugheit nutzen, um sich finanzielle Vorteile zu verschaffen. Dabei handelt es sich aus heutiger Sicht um einen typisch antisemitisches Vorurteil. An anderer Stelle sagt er sogar: Jud‘ ist Jud‘ (ca. 777) und schließt damit aus, dass ein Jude sich überhaupt verändern kann. Damit bewegt er sich im Bereich des Rassismus.  Deutlich wird allerdings auch, dass dem Tempelherrn sein Verhalten bei der Rettung Rechas selbst ein Rätsel (ca. 769) ist. Und so etwas wartet ja immer auf seine Auflösung.

I. Akt, 1. Szene: Die „Vereinigung“ der großen Religionen – nur ein „süßer Wahn“?

Szene 1: ca. 142ff

  1. Es sei ihr Tempelherr
    Kein irdischer und keines irdischen;
    Der Engel einer, deren Schutze sich
    Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern
    Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke,
    In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer,
    Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr
    Hervorgetreten. – Lächelt nicht! – Wer weiß?
    Laßt lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,
    In dem sich Jud‘ und Christ und Muselmann
    Vereinigen; – so einen süßen Wahn!

    • Dies sagt Daja, die Freundin Rechas, als deren Vater Nathan von einer Handelsreise nach Hause kommt und erfahren muss, dass seine Tochter fast beim Brand seines Hauses umgekommen ist.
    • Gerettet worden ist sie von einem Tempelherrn, darunter versteht man den Angehörigen eines christlichen Ritterordens, der an den Kreuzzügen (um 1200) zur Befreiung des Heiligen Landes (aus seiner Sicht) beteiligt ist.
    • Recha sieht in diesem Tempelherrn, der nach der Rettung gleich verschwunden ist, einen Engel und möchte ihm noch persönlich ihren Dank abstatten.
    • Dahinter wird schon das zentrale Thema des ganzen Stückes angesprochen, nämlich, dass sich die drei großen Religionen, die hier in Jerusalem zusammentreffen, „vereinigen“.
    • Aber das bezeichnet Daja eben auch als „süßen Wahn“, also als eine schöne Hoffnung, die aktuell aber noch sehr unrealistisch ist.
  2. ca. 59: „Daja: Ich schweige.
    Was Sträfliches vor Gott hierbei geschieht,
    Und ich nicht hindern kann, nicht ändern kann, –
    Nicht kann, – komm‘ über Euch!

    • Hier wird deutlich, dass es um Nathan herum ein Geheimnis gibt, das seine Tochter betrifft. Daja sieht darin etwas „Sträfliches“ und warnt Nathan. Später erfährt man, dass Recha gar nicht die echte Tochter Nathans ist, sondern von ihm als Christenmädchen aufgenommen wurde. Dies führt später zu Schwierigkeiten.
  3. ca. 78: Daja: „Was Wunder! ihre ganze Seele war
    Die Zeit her nur bei Euch – und ihm. –“
    – Daja macht hier deutlich, welchen großen Eindruck der Tempelherr bei Recha gemacht hat.Mehr Infos zu dieser Szene finden sich auf der Seite:
    https://www.schnell-durchblicken2.de/lessing-nathan-lve

I. Akt, 2. Szene:

  • 217: Nathan: „Der Wunder höchstes ist,
    Dass uns die wahren, echten Wunder so
    Alltäglich werden können, werden sollen.
    Ohn‘ dieses allgemeine Wunder, hätte
    Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je
    Genannt, was Kindern bloß so heißen musste,
    Die gaffend nur das Ungewöhnlichste,
    Das Neuste nur verfolgen.“

    • In der 2. Szene wird nicht mehr über Recha gesprochen, sie taucht selbst auf.
    • Recha glaubt ja nicht nur an den Engel in ihrem Retter, sondern hält ihre Rettung auch für ein Wunder.
    • Nathan dagegen denkt wie ein Aufklärer: Er versucht, alles natürlich zu erklären.
    • Etwas überspitzt sagt er: Das einzige Wunder ist, dass man Alltägliches, also ganz Normales für ein Wunder in einem überirdischen Sinne hält
    • Am Ende nimmt Nathan sich vor, die Sache mit dem so schnell verschwundenen Tempelherrn aufzuklären.
  • ca. 359ff: Nathan.
    „Begreifst du aber,
    Wieviel andächtig schwärmen leichter, als
    Gut handeln ist? wie gern der schlaffste Mensch
    Andächtig schwärmt, um nur, – ist er zu Zeiten
    Sich schon der Absicht deutlich nicht bewußt –
    Um nur gut handeln nicht zu dürfen?


I. Akt, 3. Szene:

    1.  Derwisch
      Könnt‘ ich nicht
      Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft
      Euch ungelegen wäre?Nathan
      Wenn dein Herz
      Noch Derwisch ist, so wag ich’s drauf. Der Kerl
      Im Staat, ist nur dein Kleid.

      • In der dritten Szene wird der Bereich gewechselt und ein neues Fass aufgemacht. Jetzt kommt erstmals der Sultan ins Spiel, wenn auch nur indirekt. Der Derwisch, ein Bettelmönch und Freund Nathans ist zum Schatzmeister des Herrschers geworden – was vor allem an seiner neuen Kleidung sichtbar wird.
      • Nun taucht automatisch die Frage auf, ob dieser „Freund“ mit seinem neuen Gewand und Amt auch seine Haltung zu dem reichen jüdischen Handelsherrn verändert hat. Er selbst spricht das in dieser Textstelle an.
      • Nathan dagegen macht deutlich, es kommt auf das Herz an, also die innere Gesinnung – und später wird man sehen, dass dieser Derwisch lieber gleich wieder aus dem Amt stürzt und nach Indien verschwindet, als sich korrumpieren zu lassen.
    2. Derwisch
      Es taugt nun freilich nichts,
      Wenn Fürsten Geier unter Äsern sind.
      Doch sind sie Äser unter Geiern, taugt’s
      Noch zehnmal weniger.Nathan
      O nicht doch, Derwisch!
      Nicht doch!Derwisch
      Ihr habt gut reden, Ihr! – Kommt an:
      Was gebt Ihr mir? so tret ich meine Stell‘
      Euch ab.

      • Bei dieser Stelle muss man wissen, dass der Sultan gerne ein gutes Image hätte und deshalb immer wieder auch die Bettler beschenken möchte. Der frühere Schatzmeister hat dabei sehr auf das richtige Verhältnis von Not und Gabe geachtet – jetzt soll der Derwisch netter und großzügiger sein.
      • Das Zitat zeigt nun, dass man einen guten Mittelweg als Herrscher finden muss: Weder soll man ein Geier unter „Äsern“ – also friedlich weidenden Tieren sein noch „Äser“ unter Geiern – also friedlich unter Menschen, die Raubtiere sind.
      • Am Ende merkt man schon, dass der Derwisch es bereut, dieses Amt angenommen zu haben (aus Eitelkeit) und es am liebsten an Nathan übergeben würde.
    3. Der Derwisch versucht dann, Nathan zu überreden, dem Sultan Geld zu leihen, und lockt ihn mit hohen Zinsen. Nathan ist aber zu klug, als sich auf so etwas einzulassen, weil er vielleicht am Ende nur Zinsansprüche, aber kein Kapital mehr hätte.
      Deshalb seine klare Botschaft:Nathan
      Nun, verstehn wir uns nur recht!
      Hier gibt’s zu unterscheiden. – Du? warum
      Nicht du? Al-Hafi Derwisch ist zu allem,
      Was ich vermag, mir stets willkommen. – Aber
      Al-Hafi Defterdar des Saladin,
      Der – dem –Derwisch
      Erriet ich’s nicht? Dass Ihr doch immer
      So gut als klug, so klug als weise seid! –
      Geduld! Was Ihr am Hafi unterscheidet,
      Soll bald geschieden wieder sein. – Seht da
      Das Ehrenkleid, das Saladin mir gab.
      Eh‘ es verschossen ist, eh‘ es zu Lumpen
      Geworden, wie sie einen Derwisch kleiden,
      Hängt’s in Jerusalem am Nagel, und
      Ich bin am Ganges, wo ich leicht und barfuß
      Den heißen Sand mit meinen Lehrern trete.

      • Hier wird deutlich, wie gedanklich klar und klug Nathan an das unmoralische Angebot herangeht, indem er zwischen dem Derwisch und dem Finanzbeamten des Sultans unterscheidet.
      • Der Derwisch wiederum ist ehrlich genug, die Richtigkeit dieser Unterscheidung anzuerkennen und nimmt einen früheren Ratschlag Nathans auf, möglichst rasch ziemlich weit zu verschwinden.
    4. Später wird sich zeigen, dass Nathan die direkte Finanzattacke aus dem Bereich des Herrschers los ist, dafür vom Herrscher und seiner Schwester selbst in die Mangel genommen wird – was schließlich zur berühmten Ringparabel führt. Mit ihr kann Nathan gut kontern.Mehr Infos zu dieser Szene finden sich auf:
      https://www.schnell-durchblicken2.de/lessing-nathan-lve-i-2-6

I. Akt, 4. Szene: Daja ganz aufgeregt zu Nathan: Der Tempelherr ist wieder aufgetaucht

  1. Daja ist ganz aufgeregt, weil Rechas „Engel“, ihr Retter, der Tempelherr wieder aufgetaucht ist. Das folgende Zitat macht deutlich, wie groß vor allem die Sehnsucht ihrer Freundin ist:

    n510: Anschließend wird die Sehnsucht Rechas nach dem Tempelherrn deutlich.
    Daja: Was quält
    Ihr mich? – Ihr gierig Aug‘ erriet ihn hinter
    Den dicht verschränkten Palmen schon; und folgt
    Ihm unverrückt. Sie lässt Euch bitten, – Euch
    Beschwören, – ungesäumt ihn anzugehn.
    O eilt! Sie wird Euch aus dem Fenster winken,
    Ob er hinauf geht oder weiter ab
    Sich schlägt. O eilt!
  2. Die folgende Stelle (n520) zeigt, welch brutaler Gegensatz zwischen den ganz normalen menschlichen Hoffnungen Nathans und der Diskriminierung der Juden durch einen Christen wie den Tempelherrn besteht.Nathan:
    Gib acht, der Biedermann hat nur mein Haus
    In meinem Absein nicht betreten wollen;
    Und kömmt nicht ungern, wenn der Vater selbst
    Ihn laden lässt. Geh, sag, ich lass ihn bitten,
    Ihn herzlich bitten …Daja:
    All umsonst! Er kömmt
    Euch nicht. – Denn kurz; er kömmt zu keinem Juden.

    Mehr Infos zu dieser Szene finden sich auf:
    https://www.schnell-durchblicken2.de/lessing-nathan-lve-i-2-6


I. Akt, 5. Szene: Die Attacke des Patriarchen und das heimliche Einverständnis zwischen Klosterbruder und Tempelherr

In dieser Szene wird der Tempelherr von einem Klosterbruder angesprochen, der ihn im Auftrag des christlichen Patriarchen zum Verräter an Sultan Saladin machen will, obwohl der ihm doch das Leben geschenkt hat.
Zunächst geht es um die Weiterleitung von Briefen an die Feinde des Sultans.
Dann um Spionagedienste, was Informationen über die Verteidigung Jerusalems angeht.
Schließlich sogar um ein Attentat auf den Sultan.
  1. Klosterbruder
    Nur, – meint der Patriarch, – sei Bubenstück
    Vor Menschen, nicht auch Bubenstück vor Gott.Tempelherr.
    Ich wär‘ dem Saladin mein Leben schuldig:
    Und raubt‘ ihm seines?

    • Hier wird deutlich, wie sehr die Religion für den Patriarchen über Recht und Anstand steht.
    • Der Tempelherr ist offensichtlich schon weiter und fragt regelrecht ungläubig zurück, ob dieser Antrag wirklich ernstgemeint sein kann.
  2. Klosterbruder
    Pfui! – Doch bliebe, – meint
    Der Patriarch, – noch immer Saladin
    Ein Feind der Christenheit, der Euer Freund
    Zu sein, kein Recht erwerben könne.Tempelherr. Freund?
    An dem ich bloß nicht will zum Schurken werden;
    Zum undankbaren Schurken?

    • Hier wird noch einmal deutlich, dass aus der Sicht eines solchen religiösen Fanatikers keine Freundschaft bestehen kann über religiöse Grenzen hinweg.
    • Auch hier macht der Tempelherr deutlich, dass für ihn so etwas völlig undenkbar ist.
    • Interessant noch das einleitende „Pfui“, das zeigt, dass der Klosterbruder hier auf der Seite des Tempelherrn ist.
  3. Das dritte Zitat kommt, nachdem der Klosterbruder die Meinung des Patriarchen weitergegeben hat, dass der Tempelherr dem Sultan nichts schuldig sei, da dieser ja wegen der Ähnlichkeit mit seinem Bruder eher in eigenem Interesse gehandelt habe, als er dem Tempelherrn das Leben schenkte. Dazu nun der …Tempelherr.
    Auch dieses weiß der Patriarch; und doch? –
    Ah! wäre das gewiss! Ah, Saladin! –
    Wie? die Natur hätt‘ auch nur einen Zug
    Von mir in deines Bruders Form gebildet:
    Und dem entspräche nichts in meiner Seele?
    Was dem entspräche, könnt‘ ich unterdrücken,
    Um einem Patriarchen zu gefallen? –
    Natur, so leugst du nicht! So widerspricht
    Sich Gott in seinen Werken nicht! – Geht, Bruder!
    Erregt mir meine Galle nicht! – Geht! geht!Klosterbruder.
    Ich geh; und geh vergnügter, als ich kam.
    Verzeihe mir der Herr. Wir Klosterleute
    Sind schuldig, unsern Obern zu gehorchen.

    • Hier wird deutlich, dass der Tempelherr von der Einheit des Äußeren und des Inneren ausgeht: Wenn er schon äußerlich dem Bruder des Sultans ähnlich sei, dann sollte der Patriarch auch davon ausgehen, dass das innerlich ebenfalls der Fall sei. Das heißt, er will nicht gegen den Bruder dessen vorgehen, dem er ähnlich ist.
      Dahinter steckt wohl dir Vorstellung, dass ja möglicherweise wirklich eine Verwandtschaft besteht – und er nicht gegen die handeln will.
    • Typisch für die Zeit der Aufklärung ist, dass der Tempelherr sich dabei auf die Natur beruft.
    • Interessant, dass er diese Äußerung so von sich gibt, als wäre sie direkt an Saladin gerichtet, was die Wirkung unterstreicht.
    • Sehr schön gestaltet die Schlussbemerkung, die noch einmal bestätigt, dass der Klosterbruder diesen Auftrag sehr ungern ausgeführt hat und eher auf der Seite des Tempelherrn und seiner Vorstellungen steht.

I. Akt, 6. Szene: Versuch des Tempelherrn, Daja und ihre Freunde endgültig loszuwerden

In dieser Szene versucht Daja noch einmal, den Tempelherrn zu einem Besuch im Hause Nathans zu bewegen – jetzt, wo dieser inzwischen selbst wieder anwesend ist.

  1. Daja.
    Sein Volk verehret ihn als einen Fürsten.
    Doch dass es ihn den Weisen Nathan nennt
    Und nicht vielmehr den Reichen, hat mich oft
    Gewundert.Tempelherr
    Seinem Volk ist reich und weise
    Vielleicht das Nämliche.

    • Hier wird deutlich, dass der Tempelherr die typischen Vorurteile gegenüber Juden hat, dass sie es nur auf Geld abgesehen haben und deshalb auch entsprechend wohlhabend sind. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass Juden im Mittelalter nur mit Handel und Geldgeschäften ihren Lebensunterhalt verdienen konnten.
  2. Tempelherr
    Ich will nun einmal Euch nicht weiter sehn!
    Nicht hören! Will von Euch an eine Tat
    Nicht fort und fort erinnert sein, bei der
    Ich nichts gedacht; die, wenn ich drüber denke,
    Zum Rätsel von mir selbst mir wird. Zwar möcht‘
    Ich sie nicht gern bereuen. Aber seht;
    Ereignet so ein Fall sich wieder: Ihr
    Seid schuld, wenn ich so rasch nicht handle; wenn
    Ich mich vorher erkund – und brennen lasse,
    Was brennt.Daja. Bewahre Gott!Tempelherr. Von heut an tut
    Mir den Gefallen wenigstens, und kennt
    Mich weiter nicht. Ich bitt Euch drum. Auch laßt
    Den Vater mir vom Halse. Jud‘ ist Jude.
    Ich bin ein plumper Schwab. Des Mädchens Bild
    Ist längst aus meiner Seele; wenn es je
    Da war.

    Daja. Doch Eures ist aus ihrer nicht.

    Tempelherr.
    Was soll’s nun aber da? was soll’s?

    Daja. Wer weiß!
    Die Menschen sind nicht immer, was sie scheinen.

    Tempelherr.
    Doch selten etwas Bessers. (Er geht.)

    • Zunächst einmal wird hier deutlich, dass die Rettung Rechas dem Tempelherrn selbst als „Rätsel“ vorkommt,
    • das er möglichst verdrängen will. Hier bleibt unklar, ob es nur die Distanz zu einem jüdischen Mädchen ist oder ob nicht auch er sich von Recha angezogen fühlt, es aber nicht wahrhaben will.
    • Sehr extrem ist seine Drohung, demnächst vor einer Rettungstag eher erst zu schauen, um wen es da geht.
    • Interessant die Selbstbezeichnung als „plumper Schwab“ und die Behauptung, sich gar nicht mehr mit Recha zu beschäftigen – vgl. den Punkt weiter oben.
    • Schließlich geht Daja so weit anzudeuten, dass Recha noch etwas anderes sein könnte als ein jüdisches Mädchen. Aber auch darauf reagiert der Tempelherr eher zynisch.
    • So bleibt Daja am Ende nur festzustellen, dass dieser Mann ein „deutscher Bär“ ist, bei dem sie die „Spur des Tieres“ im Auge behalten müsste. Damit will sie wohl deulich machen, wie unzivilisiert das Verhalten des Tempelherrn ist.

Fortsetzung: Inhalt und Schlüsselzitate der weiteren Akte

Unsere Themenseite zu „Nathan der Weise“ mit vielen Tipps, Infos und Materialien

https://textaussage.de/nathan-der-weise-infos-materialien

Die Vorstellung der fünf Akte, jeweils mit Schlüssel-Zitaten

Akt 1:
Hier sind wir wegen der Einstiegs-Situation ausführlich auf die Szenen eingegangen, besonders die erste. Am Ende gibt es einen Gesamtüberblick über den I. Akt.

https://www.schnell-durchblicken2.de/lessing-nathan-lve-i-1
https://www.schnell-durchblicken2.de/lessing-nathan-lve-i-2-6

Akt 2:

https://www.schnell-durchblicken2.de/lessing-nathan-in-zitaten-akt2

Akt 3:
https://www.schnell-durchblicken2.de/lessing-nathan-in-zitaten-akt3

Akt 4:
https://www.schnell-durchblicken2.de/lessing-nathan-in-zitaten-akt4

Akt 5:
https://www.schnell-durchblicken2.de/lessing-nathan-in-zitaten-akt5


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