Worum es hier geht:
Diese Geschichte ist ein Musterbeispiel für einen offenen Schluss – bei dem es nicht nur um Ja oder Nein geht. Vielmehr macht die Geschichte ein Viereck auf aus Pflicht und Neigung, Sorge und Vertrauen.
Screenshot und Druckvorlage
Mat5462-amp Anders Tivag Man muss auch mal Pause machen
Anders Tivag
Man muss auch mal Pause machen
„Ich dachte, ihr wolltet heute noch mal…“
Der Satz blieb in der Luft hängen, kaum dass er ausgesprochen war. Marie stand schon mit einer Jacke im Flur, ihre Freundin Laura telefonierte anscheinend mit einem Geschenkladen.
„Papa, wir fahren jetzt in die Stadt. Wir wollten doch was für Tante Vera holen – du weißt schon, sie hat doch morgen Geburtstag – und sie hat sich so viel Zeit genommen, damit wir für die Klausur optimal vorbereitet sind. Das ist doch jetzt wohl nicht schlimm, oder?“
Er hätte sagen können: Nein, natürlich nicht.
Er hätte auch sagen können: Doch, ein bisschen schon.
Stattdessen sagte er: „Gestern wart ihr ziemlich früh fertig. Ich dachte, ihr hättet vielleicht noch ein bisschen… na ja…“
Marie sprach langsam und betont – das machte sie immer, wenn es ernst wurde:. „Wir haben zwei Tage lang voll konzentriert gearbeitet. Und sie hat wirklich Ahnung. Sie hat uns das sogar mit dem inneren Monolog so erklärt, dass wir es endlich verstanden haben.“
„Ja, klar“, sagte er.
„Und du bist nicht sauer, oder?“
Er sah sie an. „Nein. Ich bin nur der Vater. Ich darf höchstens verwundert schauen.“
„Dann mach das bitte leise“, sagte Marie.
Dann kam das „Basta“, das Türklacken – und das leise Gefühl, dass das Leben manchmal seinen eigenen Lauf nimmt.
Er blieb in der Küche stehen, wo die Kaffeetasse noch dampfte. Seine Frau hatte sich wieder mal nicht eingemischt – sie wartete meistens ab, bis das wirklich nötig wurde.
Dann musste es raus: „Ich weiß ja, dass sie es gut meinen. Und ich finde es auch wirklich toll, dass sie mit Vera so gut klarkommen. Aber sie hätten auch erst noch ein bisschen arbeiten können – und dann sich in die Stadt fahren.
Seine Frau lächelte. “Ach komm. Du warst doch genauso.“
„Ich war anders“, sagte er.
„Genau. Und dein Französischreferat hast du auch am Morgen vorher geschrieben.“
“Aber aus mir ist auch was geworden.” Zu spät merkte er, dass er sich mit diesem Argument keinen Gefallen getan hatte.
Wie immer wählte er den leichtesten Abgang. “Ich muss noch ne Runde arbeiten – wir können ja später noch mal drüber reden.”
Sie blickte ihm nach – und als er sich in der Tür noch einmal umdrehte, lächelten beide.
entnommen: Durchblicke bis auf Widerruf – Online-Zeitschrift für Schule und Studium 5/2025
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Übersicht über Texte von Anders Tivag
https://textaussage.de/anders-tivag-ein-schoenes-beispiel-fuer-einen-behelfsschriftsteller
— - Kurzgeschichten zum Thema „Lebenswelt der Schüler“
https://textaussage.de/kurzgeschichten-schueler-lebenswelt
— - Infos, Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
https://textaussage.de/weitere-infos
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