Brockes, „Die Heide“ (Mat9441)

„Die Heide“ – ein Gedicht im Übergang der Epochen

Im Folgenden geht es um ein Gedicht, das der Aufklärung zugeordnet werden kann. Es zeigen sich aber auch noch Elemente der Epoche des Barock.

Gefunden haben wir das Gedicht hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Irdisches_Vergn%C3%BCgen_in_Gott

Barthold Heinrich Brockes

Die Heide

  1. Es zeigt so gar die dürre Heide,
  2. Zu unsrer nicht geringen Freude,
  3. Wenn man sie recht genau betracht,
  4. Des großen Schöpfers Wunder-Macht.
    • Das Gedicht beginnt mit der Feststellung, dass selbst die karge Heide durch genaues Betrachten die Wunder der Schöpfung offenbart.
  5. Wenn wir die obenhin besehn,
  6. So scheint sie traurig, schwarz, verdorrt und schlecht:
  7. Allein betrachtet man sie recht;
  8. So ist auch sie nicht minder schön,
  9. Und sieht man wunderbar in ihr
  10. Der Farben Pracht, der Bildung Zier
  11. Fast unverbesserlich verbunden.
    • Die Heide erscheint auf den ersten Blick düster und leblos, doch bei genauer Betrachtung zeigt sie eine verborgene Schönheit und Vielfalt.
  12. Ich habe dieses wahr befunden.
  13. Denn als ich jüngst mich etwas zu vertreten,
  14. Mich auf das Feld begab; befand ich alsobald,
  15. Daß in des Heide-Krauts so zierlicher Gestalt,
  16. Nicht weniger als sonst, der Schöpfer anzubeten.
    • Der Sprecher beschreibt eine konkrete Situation, in der er diese Schönheit entdeckte, und erkennt darin den Grund, den Schöpfer zu preisen.
  17. Ich setzte mich, und rupfte manchen Strauß,
  18. Sie besser zu besehen, aus.
  19. Mein Gott! wie viel, wie mancherley
  20. Verändrung, Schmuck und Zierlichkeiten
  21. Fand ich in diesem Kraut, das doch von weiten
  22. Nicht anders lässt, als obs nur braun gefärbet sey.
  23. Ich ward zugleich, wie schön, wie wunderbar.
  24. Wie mannigfaltig die Bildung sey, gewahr.
    • Das lyrische Ich beschäftigt sich näher mit der Heide
    • und entdeckt ihre wunderbare Schönheit.
  25. Die größten Bäume trifft man hier
  26. In solcher Schön- und netten Kleinheit an,
  27. Daß man der Stämme Zweig’ und Blätter holde Zier
  28. Nicht gnug besehn, nicht gnug bewundern kann.
  29. Ich fand daß ob sie gleich sehr klein,
  30. Die Stämme wahres Holz, wie große Stämme, seyn.
  31. Es hat die Festigkeit, es brennet, eine Rinde
  32. Umgiebt sie, ja ich finde
  33. Dieselbe recht mit Moß, gleich den bejahrten Eichen,
  34. Umgeben und geziert. Die Blümchen, die so schön,
  35. Auf jedem kleinem Zweig’, als Apfel-Blüthe, stehn,
  36. Sieht man der Bienen Heer die süße Nahrung reichen.
    • Hier wird der Blick erweitert auf die Welt der Bäume
    • prinzipiell mit dem gleichen Ergebnis.
  37. Betrachte denn forthin, geliebter Mensch, die Heide
  38. Nicht sonder Gottes Lob, nicht sonder Freude!
    • Am Ende dann typisch für die Aufklärung
    • die Verbindung von genauem Hinsehen
    • mit dem Gefühl der Transzendenz – einer höheren Ordnung der göttlichen Schöpfung.

Zuordnung zur Epoche der Aufklärung

Das Gedicht lässt sich der Epoche der Aufklärung zuordnen, weil es:

  •   Rationales Naturverständnis und Empirie zeigt: Die genaue Beobachtung der Heide als Zugang zur Wahrheit (z. B. „Wenn man sie recht genau betracht“ in Z. 3).
  •   Gotteserkenntnis durch die Natur propagiert: Die Natur wird als Spiegelbild göttlicher Schöpfung verstanden, was typisch für die naturwissenschaftlich-theologisch geprägte Aufklärung ist.
  •   Didaktisch-moralische Zielsetzung verfolgt: Der Leser wird dazu angehalten, in der Betrachtung der Natur über den Schöpfer nachzudenken und Freude zu empfinden (vgl. Z. 37–38).

Barockelemente im Gedicht

Trotz der Aufklärungszuordnung weist das Gedicht auch Merkmale des Barock auf:

  •   Vanitas-Motiv: Die zunächst trostlos erscheinende Heide erinnert an die Vergänglichkeit und Wertlosigkeit des Sichtbaren (vgl. Z. 6: „traurig, schwarz, verdorrt“).
  •   Dualismus von Diesseits und Jenseits: Der Kontrast zwischen dem äußeren Anschein und der inneren Schönheit verweist auf eine transzendente Ebene (vgl. Z. 8–10).
  •   Bildhafte Sprache und Sinnesfülle: Die detaillierten Naturbeschreibungen sind typisch für die barocke Opulenz (z. B. Z. 29–36).

Zusammenfassung

Das Gedicht steht somit zwischen den Epochen: Es verbindet die Aufklärungsphilosophie der Naturbetrachtung mit barocker Symbolik und Ästhetik.

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