Worum es hier geht:
Wir stellen hier einen Text vor, der 2015 in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist und sich mit der Frage und der Bedeutung des Irrens im menschlichen Leben beschäftigt.
Gefunden haben wir den Text hier:
https://www.sueddeutsche.de/politik/kolumne-irren-1.2736028
Wir stellen hier die einzelnen Abschnitte vor und nehmen dabei auch schon kommentierend Stellung.
Um die Orientierung zu erleichtern, zitieren wir immer den Anfang des Abschnittes, auf den wir uns beziehen, in kursiver Schrift.
Inhalt von Abschnitt 1
„Wenn Gott in seiner Rechten …“
- Im ersten Abschnitt geht die Autorin von einem berühmten Zitat Lessings aus, das letztlich dem ewigen Streben nach Wahrheit den Vorzug gibt. Das gilt selbst bei der Gefahr, keine endgültige Wahrheit zu erreichen. Abgelehnt wird die Möglichkeit, gewissermaßen auf einen Schlag alles zu wissen.
- Die Autorin erkennt dann kurz an, dass das eine unangenehme Alternative ist, sie entscheidet sich dann aber letztlich auch für den Weg Lessings, der dem immerwährenden Streben den Vorzug gegeben hat.
Kritische Anmerkung:
- Die Autorin geht leider nicht näher darauf ein, dass die Idee der endgültigen Wahrheit bei Lessing wohl nicht ernst gemeint ist. Denn wie sollte das aussehen ? Lessing ging es wohl nur um die übertriebene Hervorhebung der 2. Variante.
Inhalt von Abschnitt 2
„Was bedeutet es aber tatsächlich…“
- Im zweiten Abschnitt beschäftigt sich die Autorin mit den unangenehmen Begleiterscheinungen des Irrens.
- Kritische Anmerkung:
- Die Autorin verlässt jetzt die Höhe der Argumentation Lessings und wendet sich eher Alltagsphänomen beim Irren zu.
- Hier verstärkt sich der Eindruck, dass es ihr wirklich nicht um die große Version der Wahrheit- und Irrtums-Frage geht.
- Denn dann müsste sie berücksichtigen, wie eingeschränkt unserer Verstand als Evolutionsprodukt ist. Er würde eine komplette Wahrheit, wenn es sie denn gibt, überhaupt nicht verkraften. Spätestens seit Kants Erkenntnistheorie müsste das klar sein.
- Außerdem wird auch nicht berücksichtigt, dass Wahrheiten einem historischen Verfallsdatum unterliegen. Was gestern ultimativ anerkannte Wahrheit war, wird später umgestoßen. Man denke an die Kopernikanische Wende.
- Ebenfalls wird nicht berücksichtigt, dass es auch individuelle Wahrheiten gibt, also persönliche Einschätzungen.
- All dies ist überhaupt nicht im Blick, so dass der Eindruck entsteht, dass Lessings Ansatz nur ein guter Einstieg war, ohne dass seine gedankliche Höhe weiter berücksichtigt wurde.
- Dem Aufklärer des 18. Jhdts. ging es nicht um die kleinen Irrtümer des Alltags, sondern um die Fortdauer des Forschungprozesses. Das ist genau die Gärung, die Mephisto im Prolog zu Goethes Faust anspricht.
- Der will zwar wissen, was die Welt im innersten zusammenhält. Dabei geht es aber nur um eine tiefe Sehnsucht nach Erkenntnis, ganz im Sinne Lessings. Denn der Mensch soll sich ja nicht auf „Faulbett“ legen, sondern es gilt: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ Diese Erlösung liegt beim klugen Goethe aber außerhalb menschlicher Reichweite.
Inhalt von Abschnitt 3
„Als Kind bewunderte ich „
- Ganz problematisch wird es dann, wenn die Autorin ihre Kindheitsmeinung und deren nachträgliche Korrektur einbezieht.
- Und war ihre veränderte Einschätzung zum syrischen Präsidenten Assad angeht, kommt sie gar nicht auf den Gedanken, dass der von manchen Leuten in der Welt aus guten Gründen anders eingeschätzt wird als von der Autorin.
- Das gilt zum Beispiel für die Christen in Syrien, die – so unser aktueller Kenntnisstand, der natürlich auch Elemente des Irrtums enthalten kann – unter Assad jedenfalls besser leben konnten als während des Versuchs, in Syrien einen Regime Change zu versuchen – mit einem mehrjährigen Bürgerkrieg.
Inhalt von Abschnitt 4
„In seinem Aufsatz „Lessingscher Geist und die Welt von heute“ aus dem Jahr 1978″
- Hier springt die Autorin mal wieder von den politischen Beurteilungen zu den grundsätzlichen, die wohl mehr im Sinne Lessings sind
- Mit Hinweis auf Jean Amery macht sie deutlich, dass es schon wichtig ist, dass man immer das Absolute anstrebt, auch wenn man es nie erreicht.
- Diese grundsätzliche Beschränkung menschlicher Einsichtsfähigkeit und Beurteilungskraft hat sie aber wohl immer noch nicht voll im Blick.
- Vielleicht war Lessing ja sogar so klug, dass er sich deshalb für die zweite Variante entschied, weil er ahnte, dass, wenn er die erste gewählt hätte, Gott zu ihm gesagt hätte: „Spinnst du eigentlich?“
Inhalt von Abschnitt 5
„In Zeiten wie diesen, in denen der öffentliche Diskurs durch eine zunehmend enthemmte
Aggression vergiftet wird“
- Am Ende wird die eigentliche Absicht der Autorin deutlich. Ihr Ansatz, dass man angesichts der grundsätzlichen Irrtumsfähigkeit des Menschen zurückhaltender sein sollte beim Umgang mit Andersdenkenden, ist sehr zu begrüßen.
- Bedauerlich ist nur, dass diese Hoffnung zwischen 2015 und den Jahren danach in einem viel stärkeren Maße gesunken ist, als man sich damals vorstellen konnte. Es wäre interessant, aktuell festzustellen, ob Frau Emcke in den aktuellen, sehr viel schärferen Konfrontationen ihren eigenen Ansprüchen gerecht wird.
Zusammenfassung
- Insgesamt bleibt aber das Problem, dass die Autorin insgesamt nicht systematisch genug vorgeht.
- Vor allen Dingen unterscheidet sie nicht zwischen den verschiedenen Ebenen des Irrtums.
- Zum Beispiel ist der wissenschaftliche Irrtum bei weitem nicht so problematisch
- wie ein menschlicher Irrtum, der aus einer Arroganz heraus dem Gegenüber mit anderer Meinung fast das Menschsein abspricht.
- Und die Ebene der Politik hätte sie ganz rauslassen sollen, denn da ist ja das Problem des Irrtums eigentlich von der Grundidee her schon verankert. Sonst hätte man in der Demokratie nicht den Machtwechsel als Schutzmechanismus eingebaut.
Ü3: Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Sollte dieser Text im Zusammenhang mit Goethes „Faust“ eingesetzt werden, ist sicher die folgende Seite interessant:
Goethe „Faust“ – Infos, Tipps und Materialien
https://textaussage.de/goethe-faust-themenseite
— - Sachtexte – Infos, Tipps und Materialien
https://textaussage.de/thema-sachtexte-infos-tipps-und-materialien-themenseite
— - Übersicht: Lernkurs Umgang mit Sachtexten
https://textaussage.de/uebersicht-lernkurs-sachtexte
—
- Sammlung von Sachtexten für Analyse- und Erörterungs-Übungen
https://textaussage.de/sammlung-sachtexte-deutschunterricht
—
- Sachtexte zum Thema „Medien“
https://textaussage.de/sammlung-sachtexte-deutschunterricht-thema-medien
— - Sachtexte zum Thema „Künstliche Intelligenz“ – bsd. praktische Nutzung der neuen KI-Chat-Programme für Fragen des Deutschunterrichts:
https://textaussage.de/ki-mia-praktische-erprobung-der-kuenstlichen-intelligenz-fuer-aufgaben-des-deutschunterrichts
—
- Youtube-Playlist
https://www.youtube.com/playlist?list=PLNeMBo_UQLv1bBiPiTy_JWGzGYKD9iBs3
— - Infos, Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
https://textaussage.de/weitere-infos